„Oummmm – Pa“
„Expertendiskussionen im Sinne von ‚Mein Tango ist fei öchtör als deiner‘ können in anderen Gruppen geführt werden. Da ist zum Teil sogar Raum für Missionierungsaktionen.“ (Manuela Bößel)
Die Berliner Autorin Lea Martin hat sich nun noch einmal (nach ihrem Tangodanza-Artikel, siehe unten) mit dem internationalen Tangostar Nicole Nau beschäftigt. Im Interview geht es um „Die Struktur des Tango Argentino“. Das klingt doch interessant!
Die gebürtige Düsseldorferin, so erfährt man, habe ein Buch geschrieben, welches „in den nächsten Jahren“ herauskommen solle. Sie möchte eine „verschüttete Geschichte“ erzählen, da ja stets nur der Sieger, nicht der Verlierer, diese schreibe.
Nun gut – bei der jüngeren deutschen Geschichte könnten einem da Zweifel kommen. Aber das ist ein anderes Thema…
Selber geschrieben habe sie das Werk aber nicht, sondern eher das in Worte gefasst, was ihr der Gatte Luis Pereyra erklärt habe.
Wenn ich es richtig verstanden habe, lautet die Kernaussage, die Wurzeln des Tango lägen in der argentinischen Folklore.
Auch da komme ich ins Grübeln: Was war dann mit den ganzen Immigranten aus Europa, die jenen multikulturellen Mix namens Tango stark beeinflussten? Selbst das Instrument Nummer eins, das Bandoneon, stammt aus Deutschland!
Was Nicole Nau von der geheimnisvollen „Struktur“ erzählt, welche sozusagen die Basis der Tangomusik darstelle, habe ich nur ansatzweise verstanden. Sicherlich hat unser Tanz auch „schwarze“ Wurzeln, welche stark Rhythmisches beitragen. Auch darf man Tango nicht nach dem Metronom tanzen. Und klar, es kommt darauf an, wie in einem Paar beide die Musik hören – nicht nur der Mann (hierzulande freilich eine relativ neue Botschaft). Sicherlich muss man die Musikstruktur eines Tangostücks fühlen – zählen allein reicht nicht. Was ich mir nun aber genau unter diesem „oummmm – pa“ vorstellen soll, ist mir weitgehend verborgen geblieben.
Ich habe auch kein Musikstudium absolviert, nach dem ich wahrscheinlich solche Aussagen verstehen würde:
„Im Tango ist die Struktur binär. Der Sechs-Achtel-Takt ist der Takt unserer Folklore. Er gruppiert sich in zwei Dreiergruppen. Die Folklore Argentiniens ist also auch binär. In den meisten Milongas nimmt die Gitarre den Sechs-Achtel-Takt und spiegelt sie in den Zwei-Viertel-Takt der Milonga.“
In Südamerika jedenfalls, so erfahren wir, sei der Tanz viel mehr ins gesellschaftliche Leben integriert als in Deutschland. Dafür würden bei einem Fest schon mal die Tische beiseitegeschoben. Seltsam: Argentinische Gastpaare sitzen nach meiner Erfahrung auf Milongas eher herum als das Parkett zu erobern. Zumal, wenn es sich um Tangolehrkräfte handelt.
Aber vielleicht sollte ich auf die weiteren fünf Teile des Interviews warten, die bereits angekündigt sind, um mehr Erleuchtung zu erlangen.
Für heute kann ich nur sagen:
Meine Skepsis setzt stets dann ein, wenn mir mal wieder die „letzten Geheimnisse“ des Tango angeboten werden – natürlich mit tiefsten Wurzeln in einer möglichst fremden Kultur: sozusagen die „Jod S 11-Körnchen“ für den heimischen Milonga-Sittich. Und das Ganze in bedeutungsschwerem Geraune.
Wer die Geschichte mit dem Tierfutter-Zusatz nicht kennen sollte:
„Kurz die wahre Geschichte zu TRILL und den Jod-S11-Körnchen aus erster Hand?
Der Kunde verlangte von der Agentur (...) einen emotionalen Begriff für das zu chemisch anmutende Jod-Ingredient. Die Agentur war stolz auf den Begriff ‚Sonnenscheinkörnchen‘. Der Kunde bemerkte die Tücke dieses Monsterwortes und verlangte etwas Kürzeres, das auch auf einer Packung lesbar war. Statt einen neuen Begriff zu kreieren, blieb das ‚S‘ und die Anzahl der 11 verbleibenden Buchstaben O-N-N-E-N-S-C-H-E-I-N -Körnchen.
Der Kunde war glücklich. Die Agentur auch. Der Verbraucher glaubte an ein Wundermittel. Das waren noch Zeiten!“
Kommentar dazu:
„Viele Marken laufen hintereinander her, denken nicht mehr eigenständig und ‚einfach‘ vom Verbraucher her, sondern sie packen aus ihrer Innensicht mit großer Selbstüberschätzung ihre pseudo-technologischen und gekrampften Nachhaltigkeits-Parolen in Purpose-Worthülsen und technischen Schwulst. Sie hoffen darauf, den Verbraucher zu beeindrucken.“
https://www.coenenpartner.de/da-waren-ja-jod-s11-koernchen-von-trill-verstaendlicher/
Nicole Nau jedenfalls bekennt:
„Ich habe zwanzig Jahre lang diesen anderen Tango gemacht und blieb immer hinter der Musik, unzufrieden. Ich hatte das Gefühl, ich erreiche ihn nur wie durch eine Glasscheibe. Du kannst reingucken und stehst trotzdem draußen. Ich habe es nie geschafft zu sagen, es wird echt für mich. Und dann bin ich auf Luis gestoßen und habe mitbekommen, dass er die Musik vollkommen anders aufnimmt, nämlich aus den alten Wurzeln, aus denen sie entstanden ist, und plötzlich hat sich alles erschlossen, alle Türen haben sich geöffnet.“
Abgesehen davon, dass mir Tänzerinnen lieber sind, die aus eigenem Impuls zu Erkenntnissen kommen:
In den Jahren davor hat Nicole Nau es mit ihrem früheren Partner, Ricardo Klapwijk, im Tango zu Berühmtheit geschafft – international und vor allem in Argentinien. Von dem spricht sie jedoch gar nicht mehr.
Vielleicht stimmt ihre Einsicht ja doch: Es schreibt immer der Gewinner die Geschichte – nie der Verlierer.
Quelle: https://www.tangosociety.de/post/die-struktur-des-tango-argentino
Ich bitte die Nicole Nau-Fans herzlich, von Verdammungen abzusehen. Natürlich ist die Künstlerin eine hervorragende Tangotänzerin, und auch ihr Unterricht mag sehr gut sein. Das befreit sie jedoch nicht von Kritik, wenn sie fragwürdige Interviews gibt!
Und hier zur Versöhnung noch ein wenig PR (für den Moderator kann ich nichts):
https://www.youtube.com/watch?v=61zTNy3TnAw
Edit: Auch dieses Video ist inzwischen wohl der Nicole Nau-Zensur zum Opfer gefallen!
Zum Weiterlesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/10/ergebenheitslyrik-zum-tango-hochadel.html
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