Die richtige und die falsche Rolle
Auch im beruflichen Bereich haben es Tangotänzerinnen nicht leicht. Vor einem Dreivierteljahr übersetzte ich einen Text der Tangolehrerin Kira Makarova, welche die Schwierigkeiten einer Single-Frau in diesem Metier beschreibt: Immer noch werde die Aufgabe des Führenden als die „Hauptrolle“ gesehen:
„Und da die meisten Führenden in der Tangoszene immer noch Männer sind, schafft dies eine extrem ungesunde Dynamik für die meisten Frauen im Tango, einschließlich uns Profis. Selbst nach vielen Jahren harter Arbeit, Kursen, Übungen, Reflexion und Forschung sind wir immer noch von Männern abhängig, ob sie uns als Partnerin ‚nehmen’ oder nicht. Ja, es gibt weniger von ihnen, also sind sie es, welche ‚die Wahl haben’.
Wenn sie einen männlichen Kollegen zu einer Lehrveranstaltung an ihrer Schule einlade, trage sie die ganze Arbeit der Organisation. Und die eingeladenen Kollegen erwarteten öfters auch, dass sie neben dem Honorar auch noch alle Spesen übernehme. Man setze sie somit als persönliche Managerin ein. Gegeneinladungen würden aber so gut wie nie ausgesprochen.
Daher ihre Aufforderung:
„Für die Folgenden: Trauen Sie sich, eine Gegenleistung zu verlangen: Ich tue etwas für dich, dann tue du auch etwas für mich!”
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/03/die-in-der-falschen-rolle-tanzen.html
Ich fürchte, das wird nichts werden – schließlich können die Herren auf ein fügsameres Geschöpf zurückgreifen. Man muss sich ja nur die Attitüde vieler Showtänzer ansehen: Sie bestimmen, wo es langgeht, und schwenken dabei ein beliebiges, sexy herausgeputztes Weibchen herum. So ist halt Tango…
Ein ähnliches Phänomen beschäftigt mich
schon seit Jahren: Die Halbwertszeit von Beziehungen ist in der
beruflichen Tangoszene ja überschaubar. Bei Unterschreitung der Knusprigkeitsgrenze
werden die Damen häufig substituiert. Klar, der große Maestro kriegt ja im
Dauerkontakt mit jungem Gemüse das eine oder andere Angebot. Die Neue
ist dann meist ein, zwei Jahrzehnte jünger. Bei den professionell arbeitenden
Damen tritt dieser Effekt seltener auf. Vielleicht, weil diese nicht so leicht
an deutlich jüngere Männer herankommen – oder mit etwas mehr Vernunft gesegnet
sind. Und das Publikum will ja den reifen Mann sehen, der ein junges Ding vernascht, nicht umgekehrt!
Die Nachfolgerin wird dann im Schnellkurs zur Bühnenreife gebracht – und lässt sich gerne sowie dekorativ herumwirbeln. Nun gut, diesen Effekt kennen wir von allen Promis.
Was mir aber speziell im Tango immer wieder auffällt: Die Expartnerinnen werden möglichst schnell aus der Biografie entfernt. Ich kenne aus meinem Umfeld Tangolehrer, die nun in derselben Stadt bereits mit der dritten Partnerin unterwegs sind. In ihrer öffentlichen Vita klingt es aber so, als seien sie aus der Ferne in Deutschland aufgeschlagen und hätten umgehend mit dem aktuellen Schneckerle ein Tangoinstitut gegründet. Dazwischenliegende Ehefrauen und Kinder bleiben unerwähnt. Von den abgelegten Partnerinnen hört man meist nichts mehr. Den wenigsten gelingt es, solo weiterzuarbeiten oder mit einem neuen Tänzer ähnlich erfolgreich zu werden.
Man kann natürlich einwenden, das alles sei doch Privatsache. Aber es handelt sich um Männer, welche vorher öffentlich mächtig mit ihren Partnerinnen angegeben, sie auf zahllosen Erotik-Imponierfotos dargestellt haben. Und dann das erinnerungstechnische Nirwana?
Gut, man hat einen Menschen einst geliebt, war mit ihm erfolgreich – und schließlich trennten sich die Wege, aus welchen Gründen auch immer. Bei einem Mindestmaß an Souveränität sollte man doch dazu stehen können!
Ich meine, in unserem Tanz kommen spezielle Gründe hinzu. Nicole Nau schreibt in ihrem Buch „Tanze Tango mit dem Leben“: Tanzpaare, welche sich privat getrennt hätten, sollten das nicht an die große Glocke hängen, falls sie noch gemeinsame Showauftritte haben wollten. Die würden sie sonst oft nicht mehr bekommen.
Vor vielen Jahren waren wir häufig zu Gast in einem Tangostudio, das von einem berückend schönen Paar geleitet wurde. Bereits im Foyer prangte eine riesige Bildtapete, welche die Protagonisten in einer herzallerliebsten Pose zeigte. Der Laden lief sehr gut, bis die beiden sich privat trennten, beruflich aber zunächst weiterhin zusammenarbeiteten. Und obwohl das ohne Getöse ablief, ließ der Besuch deutlich nach. Irgendwie roch es – obwohl das überlebensgroße Foto immer noch an der Wand pappte – nach „Mausoleum einer einstigen Liebe“.
Ist das auch der Grund, warum Expartnerinnen so konsequent aus der eigenen Vita entsorgt werden? Möchte man damit die Tangosaga aufrecht erhalten, wonach sich zwei finden und für immer beieinander bleiben – auf der Bühne wie im Leben? Ohne Krisen oder gar Trennungen?
Ich fürchte, der durchschnittliche Tangokunde möchte die schöne Illusion konsumieren, dass die beiden auf der Bühne wirklich so scharf aufeinander sind, wie sie vorgeben. Und nicht ein privat längst zerstrittenes Paar bilden, welches halt bei der Show seinen Arbeitsvertrag erfüllt.
Glauben wir dann auch, dass sich Schauspieler im Film wirklich verlieben – oder Pornodarsteller tatsächlich den Spaß haben, welchen sie inszenieren? Törnt es uns ab, wenn ein im Privatleben schwuler Mann angeblich eine schöne Frau verführt? Dann wären wir als Zuschauer mit verantwortlich für solche Lebenslügen!
Ich meine, ein wenig mehr Realismus täte uns allen gut. Woher wissen wir denn, ob Paare aus unserem privaten Umfeld wirklich so harmonisch zusammenleben, wie sie vorgeben – oder zu Hause nicht längst die Fetzen fliegen respektive man sich heimlich bereits umorientiert hat? Aus Erfahrung weiß ich: Da kann man sich gewaltig täuschen! Nur: Was geht es uns an?
Die internationale Startänzerin Nicole Nau hat die Umwandlung von Biografie in Belletristik perfekt hinbekommen – das muss ihr der Neid lassen:
Bekanntlich wurde sie in den 1990er Jahren mit ihrem Partner Ricardo Klapwijk nicht nur in Argentinien sehr populär. Das Paar schaffte es sogar auf zwei Briefmarken (2000 und 2001), und trotz der europäischen Abstammung galten sie als Muster des „authentischen“ Tango argentino.
Ende 1988 trafen sich die beiden zufällig bei einem Besuch in Buenos Aires, wie Nicole im nachfolgenden Video 2002 noch erzählt. Allerdings waren sie wohl schon seit 1995 privat getrennt, da die Düsseldorferin sich unsterblich in den argentinischen Startänzer Luis Pereyra verliebte. Was sie sieben Jahre später nicht davon abhält, öffentlich von ihrer schicksalhaften Begegnung mit Ricardo zu erzählen. Sogar eine Verfilmung ihrer Liebesgeschichte sei angedacht.
Das hat sie dann aber sehr schnell bleibenlassen und stattdessen ihren Expartner schonungslos aus ihrer Biografie entfernt – auch auf Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicole_Nau
Ebenso gibt es kaum noch Videos ihrer Tänze mit Ricardo, welche ich immer noch sehr bewundere. In ihrem 2013 erschienenen Buch „Tanze Tango mit dem Leben“ schreibt sie über das Jahr 1994:
„Ich habe einen holländischen Tänzer kennengelernt und lebe und arbeite mit ihm zusammen. Aber wir verstehen uns nur auf der Bühne. Privat bin ich einsam. (…) Das Gefühl, keinen echten Lebenspartner zu haben, der mir Halt und Geborgenheit gibt, Familie bedeutet, das empfinde ich als großes Manko in meinem Leben.“
Na ja, man darf hinzufügen, dass sie mit diesem Mann sogar verheiratet war…
Auch auf die besagten Briefmarken hat sie nur einen halben Blick übrig:
„Im vergangenen Jahr ist in Argentinien sogar eine Briefmarke zur argentinisch-japanischen Freundschaft mit meinem Bild gedruckt worden.“
Wohlgemerkt: mit ihrem Bild. Der Typ, der sie darauf im Arm hält, war wohl irgendein Japaner…
Wenn das eigene Format auf eine Briefmarke passt, muss das nicht am Postwertzeichen liegen!
Während seine Expartnerin ihre etwas gereinigten Geschichten dutzendfach erzählt, hat Ricardo Klapwijk hat sich meines Wissens bislang nie öffentlich zu dem Ganzen geäußert. Die internationale Star-Karriere setzte nur seine Exfrau fort. So ist er wohl einer der wenigen Tangueros, die „in der falschen Rolle“ tanzten!
Und hier noch das letzte Fernseh-Interview der beiden aus dem Jahr 2002:
https://www.youtube.com/watch?v=Bc5ZYszfJ80&t=508s
Hier muss ich etwas korrigieren gerhard: in november 2001 haben nicole und luis sich näher kennengelernt, nicht in 1995.
AntwortenLöschenIm groben stimmt dein bericht.
was nicole schreibt in ihr buch ist ihr ist selbstverständlich ihr private Sichtweise.
Vielen Dank für den Hinweis!
LöschenIch kann mich nur auf Quellen beziehen, und die sind bei Nicole oft sehr vage. Leider!
Was das Thema "arm candy", dekoratives Anhängsel, angeht: es gibt da eine Tänzerin namens Eugenia Parilla. Einfach mal in Youtube eingeben. Das Beste, was ich nach diversen Videos gesehen habe, war daß ihr Tänzer gerade so mithalten konnte.
AntwortenLöschenFürwahr eine höchst expressive Tänzerin! Vielleicht widme ich ihr mal einen Artikel. Vielen Dank für den Hinweis!
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