Tango Talk entdeckt die Konfrontation
Zur Vorgeschichte: Ich hatte ihr Projekt vor über zwei Monaten auf meinem Blog besprochen und dabei einige (wie ich finde, nicht bösartige) Kritik geübt. Ich wies die beiden aber sicherheitshalber auf meinen Artikel hin und fragte, ob sie dennoch mit mir reden wollten.
Wie immer habe nicht ich mich um eine Veröffentlichung beworben – ich warte stets, dass andere mir etwas anbieten.
Meine Kritik an dem Podcast hatte ich damals so formuliert:
„Man lässt die Leute auf vorbereitete, artige Fragen antworten, ohne wirklich einmal nachzuhaken, Probleme oder gar Widersprüche auf den Punkt zu bringen, auch einmal lästig bis unbequem zu werden. Stattdessen spult man die Themen nach dem Motto ‚Aha. Nächste Frage‘ ab.“
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/09/tango-talg.html
Natürlich bedeutet das nicht, dass man Gästen auf Teufel komm raus mit Konfrontationen kommen, unfreundlich oder schroff agieren soll. Aber ein guter Journalist stellt halt Nachfragen, wenn ihn eine Antwort nicht zufriedenstellt. Erst dann wird es oft spannend. Und man könnte Leute aussuchen, die nicht hundertmal gehörten Mainstream reproduzieren.
Nun, das ist den beiden Podcastern mit meiner Person jetzt ja gelungen! Schon bei ihrem Intro ließ Sabine Holl keine Zweifel daran, wohin die Reise gehen würde. Schade nur, dass sie sich dabei einige sachliche Unkorrektheiten leistet:
· So ist es missverständlich, dass eine „übernatürliche Anstrengung“ nötig sei, in meinem Blog erwähnt zu werden. Man muss lediglich einen übergroßen Blödsinn zum Tango veröffentlichen – oder etwas ganz Tolles. Und wie „Tango Talk“ zeigt, reicht auch ein mittelmäßiger Podcast.
· Ich habe mir deutlich mehr als eine Folge angehört. Das widerspräche sonst meinen Vorstellungen einer gründlichen Recherche. Man kann das im obigen Artikel nachlesen.
· Das Format der verschriftlichten Interviews gibt es auf meinem Blog schon länger – das habe ich nicht erst bei „Tango Talk“ entdeckt. Ein Beispiel:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/05/als-wir-noch-auf-den-milongas-lernten.html
Nach einiger Zeit des Gesprächs biss sich Sabine Holl an dem Begriff „Satire“ fest, den sie angeblich genauer recherchiert habe. Na ja… was dann kam, kenne ich aus vielen Besprechungen: Satire müsse lustig sein, dürfe nicht konfrontieren oder gar in Meinungsstreit ausarten, die andere Position zerlegen. Ich fürchte, sie verwechselt Satire da mit Humor.
Kurt Tucholsky schrieb dazu in einem oft zitierten Artikel:
„Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel. Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: ‚Nein!‘“
https://tucholsky-gesellschaft.de/indexalt.htm?KT/Texte/satire.htm
Andere Sichtweisen sind, mit Verlaub, ein wenig kleinbürgerlich. Dabei habe ich das schon 2014 so schön erklärt:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2014/12/was-kann-die-satire.html
Außerdem versuchte man immer wieder, mir die Rolle des „Provokateurs“ zuzuschieben, der seine „Satire“ nur einsetzt, um mehr Bücher zu verkaufen oder im Blog mehr Beachtung zu finden. Ich habe das ein ums andere Mal geduldig zu widerlegen versucht.
Den Anlass, aus dem ich mein Tangobuch schrieb, wünsche ich niemandem. Und wenn es doch einträte, rate ich, bei der Chemo den Zugang so legen zu lassen, dass die Schreibhand frei bleibt.
Und wer sich auch nur ansatzweise mit den vielen Artikeln im Blog beschäftigt, sollte einsehen, dass ich mindestens genauso gerne lobe wie kritisiere:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/12/wo-bleibt-das-positive.html
Ausführlich ventiliert wurde auch das Thema, ob ich nun sachlich kritisiere oder Personen angreife. Auch da wurde ich (nach meinem Eindruck) nicht wirklich verstanden. Verwunderung erregte ebenfalls, dass ich nicht nur über Tangothemen schreibe – ich halte das aber eher für einen Ausweis meines breiten Interesses. „Tango-Fachidioten“ gibt es in der Szene bereits genug.
Während ich in unserem Tanz wohl nicht konservativ genug bin, mangelt es mir bei Themen wie „Gender- und Identitätspolitik“ scheinbar an Progressivität. Dabei ist mein Respekt vor Minderheiten riesig – nur, wenn sie sich dann wie Mehrheiten aufführen und bornierte Ideologien verbreiten, halte ich das für kabarettistisch verwertbar.
Wie kann man das Tango-Publikum verjüngen? Meine Argumente verfingen auch da nicht. Es gebe ja junge Leute, die sich für traditionelle Musik begeisterten. Mein Eindruck vor Ort ist da ein anderer – aber so hat halt jeder und jede persönliche Erfahrungen. Meine erstrecken sich allerdings auf über 3000 Milongabesuche in 24 Jahren. Dazu gibt es übrigens einen aktuellen Artikel von mir:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/08/muss-der-tango-altern.html
Und die allfälligen Debatten über „Tangoregeln" kenne ich nun seit Jahren rauf und runter. Für mich ist Paartanz ein Ausdruck individueller Gestaltung, die natürlich ihre Grenzen in der gegenseitigen Rücksichtnahme hat – jedoch keine „Gruppenmeditation". Aber dieser Widerspruch ist wohl kaum auflösbar.
Leider nahm das Gespräch im letzten Viertel eine Wendung, die ich journalistisch nicht für besonders klug halte: Man erklärte mir nun, was die Idee des Podcasts sei – und informierte einen Zauberer über „magische Momente“. Merke: Der Fokus muss auf der Person bleiben, die man befragt. Nicht mal Marietta Slomka belehrt Politiker darüber, wie das ZDF arbeitet…
Insgesamt fand ich es aber gut, dass man mich nicht im „Eiapopeia-Stil“ einseifte, sondern durchaus konträr zur Sache ging. Ich meine, das sollten die beiden öfters unternehmen, es wäre interessanter und spannender. Und mir war klar, dass ich nicht der Liebling meiner Gesprächspartner bin – was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.
Lustig fand ich es, dass Holl und Ringlstetter diese Folge nun auf Facebook genau in der Weise bewerben, die sie mir vorhielten: Seht her, hier geht es heiß zur Sache!
„Episode #24 des Tango-Talk Podcasts erwartet euch heute mit einem seltenen ‚Streitgespräch‘: Wir hatten den umstrittenen Blogger und Tango-Buchautor Gerhard Riedl zu Gast im Studio - und haben ihn nicht mit Wattebällchen beworfen.
Warum er ein Fan von Shitstorms ist und wie sein Rezept für eine Verjüngung der Tango-Szene aussieht - auch das hört ihr in der aktuellen Folge. So viel sei vorab verraten: Es wurde nicht laut - außer beim Intro mit Dieter und mir.“
https://www.facebook.com/MicroTangueros
Tja, so läuft halt das Marketing…
Wobei anfügen ist: Ein „Fan von Shitstorms“ bin ich überhaupt nicht. Aber vielleicht sollte das Satire sein…
Auf Facebook gab es nun Lob für den Podcast von Ex-Blogger Cassiel, der erwartungsgemäß mit der „Rampensau“ Gerhard Riedl wenig anzufangen weiß und schreibt: „Mein Tango ist weniger konfrontativ und wahrscheinlich harmonischer.“ Mag sein – nur sein Blog verdient diese Attribute nun wahrlich nicht!
Unterm Strich möchte ich mich bei Sabine und Dieter für das interessante Interview herzlich bedanken. Es hat Spaß gemacht – als Dialektiker komme ich bei kritischen Fragen erst so richtig in die Gänge. Und wenn es dazu eines Beweises bedurft hätte. Man muss einander nicht mögen und kann dennoch gepflegt mit dem anderen streiten.
Bitte den Podcast unbedingt anhören: https://www.tango-talk.de/podcast/
Bleibt noch die Titelfrage zu beantworten:
„Braucht der Tango die Kontroverse, Gerhard Riedl?“
Nein, nicht unbedingt – und schon gar nicht im wirklichen Leben. Widerspruch wird aber dann nötig, wenn Absolutheits-Ansprüche aufkommen: Was denn der „wahre Tango“ sei, der „richtige Tanzstil“, die „erlaubte Musik“ oder das „vorschriftsgemäße Verhalten“ auf den Milongas. Oder wie ich als Blogger gefälligst zu arbeiten hätte.
Dann ist aus der Pörnbacher Gegend weiterhin mit Satire zu rechnen…
Illustration: www.tangofish.de |
P.S. Da mir vorgeworfen wurde, in meinem Artikel ausgerechnet den ersten Podcast der Reihe besprochen zu haben, werde ich die neue Ausgabe im November rezensieren. Also: Gebt euch Mühe!
Die Kommentare von Sabine Holl (und meine Antworten) habe ich auf Wunsch der Verfasserin gelöscht.
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