Tatsachen und Meinungen
Kritik an meinen Artikeln nehme ich oft sehr ernst. Neulich kam sie wieder einmal von Klaus Wendel, der mit Blick auf mich schrieb:
Während er faktenfrei Dinge behauptet, also Meinungen, werden diese, je nach Gutdünken, wenn er widerlegt wird, auch nur als Meinung deklariert oder als Fakten, um bloß nicht festgenagelt zu werden. Man findet in seinen Artikeln keinen Hinweis darauf, was nun Meinung oder Fakten sein sollen.“
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/10/das-wort-zum-samstag_19.html
Ich habe nun einen Beitrag aus dem Bereich „Tango-Satire“ (192 Veröffentlichungen) ausgewählt, indem ich meine nichtsahnende Tangofreundin Manuela Bößel bat, mir eine Zahl von 1 bis 192 zu nennen. Sie entschied sich für 34, worauf ich den 34. Artikel (von heute ab gerechnet) wie folgt bearbeitete:
Fakten ließ ich in schwarzer Schrift stehen, während ich „Meinungen“ (also persönliche Einschätzungen und Wertungen) rot markierte. Lesen Sie selbst:
Tango am Propylän und mit Klimergrät
Die Propyläen an der Westseite des Münchner Königsplatzes wurden von Leo von Klenze im Auftrag von König Ludwig I. in Form eines Tempeleingangs (Propylon) errichtet. Sie sind neben dem Obelisken am Karolinenplatz das einzige Bauwerk Leo von Klenzes, das Ludwig I. der Stadt München übereignete.
https://de.wikipedia.org/wiki/Propyl%C3%A4en_(M%C3%BCnchen)
Die Facebook-Seite „Tango München“ ist für mich stets eine Quelle reinen Vergnügens. Zum einen, weil dort nie ernsthaft über Tango informiert oder gar diskutiert wird. Bestenfalls geraten gelegentlich einige Kampel aneinander, welche dem jeweiligen Gegner zeigen wollen, wo der Tango-Hammer hängt. Wer die ganzen Streitereien nachlesen möchte:
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/M%C3%BCnchner%20Tango
Vorwiegend ist „Tango München“ jedoch eine Werbeseite für ortsansässige oder in die Landeshauptstadt einfallende Tango-Promis, welche ihr lichtvolles Tun in vollmundigem Duktus anpreisen. Da sie dazu fallweise nicht wirklich fähig sind, entsteht eine gigantische und sehr lustige Stilblüten-Sammlung.
Ich habe einmal Beispiele aus den letzten zweieinhalb Wochen zusammengestellt:
Spitzenreiter ist Levent (Pardon: Le Vent) Göksu, der regelmäßig Amokläufe durch die deutsche Grammatik, Syntax und Orthografie verübt. Von Interpunktion wollen wir gar nicht erst reden. Leider passt sich der einst Unangepasste nun wohl dem Münchner Mainstream an und bietet weitgehend traditionelle Musik.
Gerade eben erst verwendete er den Pluralis Majestatis – ob so ganz unbewusst, darf bezweifelt werden:
„Am Samstag Abend dürfen
Wir zur Tango Show am Königsplatz
DJ Marino begrüssen
Mit Schallplatten und PC“
Schon das ein Rätsel: Wie begrüße ich jemanden mit Schallplatten und PC? Indem ich einen Triumphmarsch abspiele?
Der gute Levent ist aber auch ein Meister der holpernden Metrik:
„DJ Oscar Busso macht für uns heut die Musik
und ich le Vent die Akustik.“
Eine Spitzenleistung des germanistischen Gagaismus dürfte die folgende Ortsangabe darstellen:
„Sonntag gibts Open Air Tango im Propylän
Tango am Königkspaltz am Propylän.“
Als Chemiker frage ich mich, ob hier das Gas Propylen (besser: Propen) gemeint sein könnte. Vielleicht betreibt man damit ja am Königsplatz die Lautsprecher.
DJs werden in München oft angepriesen, wobei die unterschiedlichsten Namen fallen. So ganz haben sich offenbar die Spitzenkräfte noch nicht herauskristallisiert. Da muss Laura Cairo schon betonen, wie gerne ihre Angestellten an der Apple-Konsole für sie tätig sind:
„ab 21:15 Uhr die besten Djs die gerne moderne und traditionelle Tangos gerne mischen, auch Neo-Tango Djs“
Auch die Stimmung der Milonga muss natürlich hervorgehoben werden:
„Wir tanzen jeden Freitag im gemütliche und liebevolle Atmosphäre!“
Martha Giorgi drückt das so ähnlich, aber ebenso falsch aus:
„Ich freue mich riesig aus eine Stimmungsvolle Milonga mit Euch!“
Das neue Talent Martina Ferrarotti rührt ebenfalls kräftig in der Buchstabensuppe:
„Für unseren Tango Argentino Kurs um 21:15h suchen wir heute eine Follower (ab guter Mittelstufe bis ca 170cm) für eine Leading Lady.“
Tja, wenn die Mittelstufe in München bis 170 cm geht – wie groß sind die Tanzenden dann erst in der Oberstufe?
Eine Erfolgsgarantie bietet Martha Giorgi an:
„Wenn du dich anmeldest hast du Freude am Tango gesichert!"
Diese Verheißung riss den studierten Germanisten und DJ Olli Eyding zu dem leicht anglizistischen Kommentar hin:
„Die beste Show ever - und als Lehrer extrem fruchtbar, zugewandt und inspirierend“
Vorsicht, extrem fruchtbarer, zugewandter Tangolehrer – das kann Familienkrisen auslösen!
Spezialistin in der Zubereitung von Denglisch-Risotto ist und bleibt in München Michaela Lugo:
„Smile, Hug, Fall in LOVE!
Zauberhaft Tango Tanzen - the perfect match aus IN und OUT Door! Save the Date AND Join Us!!!
Jede Menge Platz, geschmeidiger Boden, ein Dach aus hängenden Gärten und natürlich das einmalig prickelnde Ambiente - WELCOME EVERYBODY!“
Bei solch pseudomodischem Geschwafel prickelt’s bei mir auch!
Die Tango Connection nimmt Anleihen aus dem Speisekarten-Deutsch:
„Ich freue mich diese authentische Dúo aus Rosario mit sehr viel Pfeffer zu präsentieren!!“
Na, wenn man die zwei mit sehr viel Pfeffer genießbar machen muss, schmecken sie ohne wohl ziemlich fade…
Wer sich kurz fasst, so wohl der Ansatz von Sylvia Viñez, macht weniger falsch:
„Boden: super
Luft: super
Menschen: super
Voilá!“
Das kann ja stimmen – nur sagt man damit halt auch kaum etwas aus. Schon gar nicht zur gebotenen Musik, aber die ist in München eh nur selten ein Thema.
So kommt die Milonga La Lunita zur Beschreibung des Musikauflegers mit nur einem Wort aus:
„DJ ShiPik aus Frankfurt *Juhuu*!“
Einen zweiten Platz in der Kategorie „sprachliche Bruchlandungen“ nach Levent Göksu belegt sicherlich Laura Cairo mit solchen Ankündigungen:
„Wir feiern heute (…) Geburtstag. mit Geburtstag-Vals!!
und auch (…) Geburstag, mit oder ohne Ihm
Wir freuen uns total über ein Top Tango-Dj und schöne Fest mit Euch im Lo de Laura!!“
Da mag auch ihr Partner Ulrich Avenarius mit einer schrägen Formulierung nicht nachstehen:
„Ich freue mich, wenn viele von Euch kommen. Da macht das auflegen nochmals mehr Spaß.“
Da hat es ihm aber wohl schon vorher mehr Spaß bereitet – auch wenn vielleicht weniger Publikum da war, oder?
Auch für die gute Luft („buenos aires“) hat Laura Cairo mit dieser Premium-Aussage gesorgt:
„mit Klimergrät für den Sommer!“
Rätselhaft scheint zunächst Aneta Orliks Gesuch:
„Ich suche einen Anhänger für WS mit Vinicius.
Über den Leiter: Ich bin 36 Jahre alt, sportlich, 180cm Höhe.
Hat jemand von euch Mädels Interesse? Pm an mich“
Nach längerem Grübeln meine ich, des Rätsels Lösung gefunden zu haben: die Rache des Google-Übersetzers! Der hat ihr wohl für „Folgende“ den Begriff „Anhänger“ untergejubelt – und „Führender“ wurde mit „Leiter“ bezeichnet. Aber egal – welches Mädel bisse nicht schon bei „180 cm Höhe“ an?
Da muss ich an den genialen Kevin Seidel denken, der vor Urzeiten Kurse für „Anhänger ohne Vorkenntnisse" anbot.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/kevin-seidel-el-che-nie.html
Nun sind mir natürlich die Einwände klar, welche dieser Artikel auslösen wird:
Was denn eine gut formulierte Werbung mit dem eigentlichen Zweck, dem Tanzen, zu tun habe? Und ob mir eigentlich bewusst sei, dass für viele der obigen Akteure Deutsch nicht die Muttersprache darstelle?
Um schon mal damit anzufangen: Würde ich ein Schuhplattel-Studio in Buenos Aires eröffnen, wäre mir von vornherein klar, dass ich mich nicht auf meine paar Brocken Schlager- und Tangospanisch verlassen dürfte. Selbstverständlich würde ich einen kundigen Spanisch-Muttersprachler mit dem Lektorat beauftragen. Meinen lustigen bayerischen Akzent könnte ich dann ja noch im Unterricht vermarkten.
Was aber noch schwerer wiegt: Die meisten der obigen Akteure werden wohl für sich die Vokabel „Profi“ beanspruchen. Sorry, ihr Leute, dann muss aber auch das Drumherum hierfür Zeugnis ablegen!
Würde ich mit einer ausländischen Firma – ganz gleich, was die liefert – einen Vertrag abschließen, der in einem Filser-Deutsch gehalten ist? Oder käme mir der Einwand in den Sinn: Wenn’s da schon nicht stimmt, wie wird sich dann der Rest gestalten?
Was mir bei vielen Tango-Themen, die ich bearbeite, immer wieder auffällt: Der hohe Anspruch auf Professionalität und die ziemlich dilettantisch herummurksende Praxis. Warum lassen wir es nicht beim Tango als Subkultur? Dann fielen die peinlichen Widersprüche weit weniger auf!
Nicht vergessen dürfen wir bei der bayerischen Landeshauptstadt, dass auch führende Politiker die deutsche Sprache oft gewaltig malträtiert haben. Leuchtendes Vorbild war der frühere Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber. Warum auch immer er 2002 die Kanzlerwahl verlor: Die Sprache allein hätte gereicht!
https://www.youtube.com/watch?v=uF6u0S61soI
Quelle: https://www.facebook.com/groups/13265391185 (30.6.-15.7.22)
Fazit
Ganz überwiegend werden Tatsachen zitiert: Ohne die vielen wunderbaren Äußerungen Münchner Tangogrößen wäre dieser Artikel nicht möglich geworden. Dazu liefere ich persönliche Einschätzungen, welche die satirischen Stilmittel der Übertreibung, Überspitzung und Ironie sowie „uneigentliches Sprechen“ enthalten.
Ich finde, das kann man – mit etwas Leseerfahrung – jeweils ganz gut zuordnen.
P.S. Falls nun jemand auf die Idee kommen sollte, ich müsste dies an weiteren (gar noch von ihm ausgesuchten) Artikeln erneut anstellen: Dazu bin ich gerne bereit – allerdings wegen des Zeitaufwands nur gegen ein Honorar von 50 bis 100 € (je nach Länge des Textes).
Tja, früher an der Hauptschule wär’s kostenlos gewesen…
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