Tanzen Sie Neotango?
Kürzlich ergab sich in einer Facebook-Gruppe eine nette Diskussion anlässlich der Einladung zu einem Neotango-Event.
Der Berliner Tanguero Jürgen Kühne, der in solchen sozialen Medien oft mit dezidierten Ansichten beeindruckt, befand dazu:
„Leider tanzt fast niemand Neotango zu Neotango...“
Ob er sich dabei mit einbezieht, bleibt offen.
Offenbar missfiel ihm die Antwort eines anderen Kommentators:
„Zum Glück sind wir da in der Interpretation ziemlich frei und weit aufgestellt. Und bis jetzt war ich froh darüber, dass es diese leidigen Diskussionen wie beim traditionellen Tango nicht gab. So von wegen: Wann ist ein getanzter Tango ein richtiger Tango?“
Da plädierte Herr Kühne dann schon für die Beibehaltung der Schubladen:
„Nicht richtig oder falsch, sondern zu Vals tanzt man eher 3/4, zu Milonga Milonga, zu klassisch klassisch, warum also nicht zu Neotango Neotango...“
Doch so leicht ließ sich der Andere nicht beeindrucken:
„Wie tanzt man den Neo? Gibt es dazu ein stilgerechtes Regelwerk, oder ist es der Interpretationsfähigkeit der Tanzenden überlassen? Genügt es schon, wenn man den traditionellen Tango großzügiger und freier auslegt, oder muss man bestimmte Bewegungsabläufe einbauen, um es Neo nennen zu dürfen? Muss man vielleicht sogar gewisse Regeln der Rücksicht aufgeben, damit es Neo genannt werden darf? Ich finde, das Thema ist viel zu umfangreich, als dass man sich auch hier irgendwie einschränken sollte oder gewissen Normen unterwerfen. Seien wir doch einfach froh um jeden, der zu Neomusik den Tango gemäß seinen Fähigkeiten schönst möglich interpretiert, und erfreuen uns der daraus erwachsenden Vielfalt.“
Seinen Worten, so befand jedoch Jürgen Kühne, gebe es nichts mehr hinzuzufügen:
„Wir müssen hier keine Wortklauberei betreiben. Wenn jemand Neo tanzt, zu Musik, die sich deutlich von den drei anderen Varianten unterscheidet, dann erkennst du es, denn der Tanz ist kein klassisch, kein Vals und keine Milonga. Dafür gibt es doch die unterschiedlichen Tangoversionen, dass man sie auch passend zum jeweiligen Musikstil tanzt, Ende Diskussion.“
Quelle: https://www.facebook.com/groups/1512218832349881 (Post vom 26.9.23)
Nun mal nicht so schnell: Das Ganze erinnert mich an einen Artikel, in dem ich Anfang des Jahres ein sehr erfahrenes Showtanzpaar besprochen habe, das sogar die Interpretation eines Tango nuevo hinlegte. Aus ähnlicher Ecke gab es damals Urteile wie „Turnerei“ oder „schrecklich anzusehen“. Und meine Berliner Lieblings-Tangolehrerin, Ines Moussavi, gab zu Protokoll:
„Ich finde diesen oberlehrerhaften, besserwisserischen Riedl einfach grauenvoll, sorry!“
Nun, immerhin hat sie meinen Namen richtig geschrieben – so viel Glück hab ich nicht immer.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/01/stravaganza.html
Tja, wie man’s macht, ist es verkehrt: Tanzt man nicht auf moderne Weise, wird es bemängelt – und tut man es, wird dieser Stil heruntergeputzt!
Wobei ich dem Berliner Tangoexperten Recht geben muss: Sicher unterscheidet sich ein getanzter Neotango vom aneinander gepapptem Rumgeschiebe mit den üblichen Minischrittchen. Wobei natürlich die einzelnen Tanzstile sehr unterschiedlich ausfallen können.
Das könnte beispielsweise so aussehen:
https://www.youtube.com/watch?v=Bkf9qqnu9cE
Oder, noch etwas abgedrehter, von zwei Frauen, die ich auch schon persönlich erlebt habe:
https://www.youtube.com/watch?v=4IfPirE-d3w
Meine bescheidene Frage wäre nur: Wo und zu welcher Musik soll man denn Neotango tanzen? Ich besuchte heute Nachmittag eine der nicht sehr häufigen Milongas, bei welcher der DJ sogar mal eine Runde „Gotan“ auflegte. Von den Tanzenden traute sich kaum jemand, mal auf Abstand zu gehen, Soloaktionen einzubauen, eventuell die Tanzhaltung aufzugeben, sich frei zu bewegen. Und dabei hätte man sogar das gehabt, was vielen solchen Veranstaltungen fehlt: Platz.
Man kann halt eine Szene nicht anderthalb Jahrzehnte auf Tofuwürschtl konditionieren und ihr dann vorwerfen, dass sie kein Steak grillen mag und kann. Unentwegt trichtert man den Neulingen ein, dass große Schritte, extravagante Bewegungen und artfremde Musik zu meiden seien – um ihnen dann vorzuwerfen, es nicht zu können.
Und ganz sicher werden wir uns nun keine Códigos abringen lassen, wie denn moderne Musik zu tanzen sei. Das überlassen wir den Tango-Ideologen historischer Bauart!
Die Sache erinnert mich an einen meiner Lieblingswitze süddeutschen Zuschnitts:
Ein Bub geht beichten und bekennt: „Ich hab den Madeln zugschaut, wie sie Purzelbäum gschlagen haben.“ Der junge Kaplan aus Norddeutschland hat sprachliche Schwierigkeiten und bittet den jungen Mann, das vor dem Beichtstuhl zu demonstrieren. Zwei alte Damen, welche ebenfalls auf Schuldbekenntnis und Absolution warten, sehen irritiert zu. Dann meint die eine zur anderen: „Zu dem jungen Kaplan geh i ned beichtn, da is mir die Buaß zu schwaar!“
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