Lüders und die Zitaten-Schlacht
Schon wieder hat mir der Münchner Neo-DJ und Tangolehrer Jochen Lüders einen Artikel gewidmet! Nun bin ich zwar wegen seiner zahlreichen Kritik vor Größenwahn geschützt, darf aber immerhin feststellen: So ganz uninteressant dürften meine Texte jedenfalls nicht sein…
Lüders bemüht sich mit großem Fleiß im Zitate-Sammeln, mir Falschbehauptungen hinsichtlich der „Tanzbarkeit“ von Astor Piazzollas Musik nachzuweisen. Nebenbei kriegt auch noch Thomas Kröter sein Fett für einen entsprechenden Artikel ab.
Ich mag mich nun am Archiv-Wühlen nicht beteiligen – schließlich bin ich kein Musikhistoriker. Und unsere Auseinandersetzung soll auch nicht in den Bereich von Nachbarschaftsprozessen abgleiten, wo man sich wegen überhängender Kirschbaumzeige fetzt.
Eigentlich finde ich es schade, dass ich immer wieder zum negativen Zielobjekt dieses Autors werde. Wir sind uns in vielen grundlegenden Fragen völlig einig: Beide finden wir die üblichen Milongas oft öde und langweilig – und im Bereich der Neolongas sehen wir das als nicht viel besser an. Weiterhin überzeugt uns der konventionelle Tangounterricht nicht. Das wäre doch ein Grund, den anderen nicht mit Ausdrücken wie „Ignoranz“ und „Selbstgefälligkeit“ zu belegen.
Ein wenig ärgerlich bin ich allerdings, dass mich Lüders für den Autor eines Textes hält, den meine Frau verfasst hat. Aber es soll Männer geben, denen die Vorstellung schwerfällt, auch dem weiblichen Geschlecht könne die Anfertigung längerer Abhandlungen gelingen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/06/piazzolla-fur-laien.html
Der Artikel des Münchner Tangoexperten kulminiert in einem gedachten Zitat, das meine Einstellung persiflieren soll:
„Ich, Gerhard Riedl, widerlege alle Musikexperten, ‑wissenschaftler und ‑historiker, die behaupten, man könne zu Piazzolla (zumindest im herkömmlichen Sinne) nicht tanzen, ganz einfach indem ich zu seiner Musik tanze. Dabei lasse ich mir von niemand vorschreiben, was tanzen eigentlich bedeutet und kümmere mich auch nicht um konventionelle Definitionen von Tanz. Mir ist auch völlig egal, ob andere Leute das als dilettantisches Herumhampeln betrachten. Ich tanze so, wie ich die Musik empfinde und damit beweise ich, dass man zu Piazzolla tanzen kann und alle angeblichen Experten keine Ahnung haben.“
Hier der Originaltext: https://jochenlueders.de/?p=16464
Gut gebrüllt, Löwe!
Um nun mal zur Sache zu kommen:
Wahr ist natürlich, dass Piazzolla ab Mitte der 1950er Jahre keine Tanzmusik mehr spielen wollte. Er hatte sich ja stets geschämt, als „ernsthafter Musiker“ einst in Kabaretts Tangos runtergenudelt zu haben. Seine Kompositionen seien zum Zuhören. Wie stark hier die Proteststürme mitgespielt haben, mit denen er von der traditionellen Tangoszene bedacht wurde, bleibt offen.
Ebenso wahr ist aber auch, dass der Künstler keine Verbote ausgesprochen hat, seine Musik im Tanz umzusetzen. Wie hätte das auch funktionieren sollen? Jeder kann sich doch einen Tonträger kaufen und dazu tanzen!
Unbestritten ist weiterhin, dass seine Musik, die in den 1980-er Jahren in Tanzshows gespielt wurde, eine neue Generation für den Tango begeisterte – und dazu führte, dass junge Leute zu seinen Stücken tanzten. Und es gab viele neue Ensembles, die Piazzollas Kompositionen in tänzerischer Weise bearbeiteten und auf den Milongas spielten. Ich habe den Ausklang dieser Ära ja noch persönlich mitbekommen.
Und wenn nun „traditionelle“ DJs gebetsmühlenartig bekennen, sie legten keine Piazzolla-Stücke auf, da Piazzolla nicht wollte, dass man dazu tanzt, so halte ich das für eine dreiste Lüge. In Wahrheit spielt man diese Aufnahmen nicht, da die heutige Tangoszene, auf anspruchslose Schlagermusik konditioniert, mehrheitlich davon überfordert wäre – oder jedenfalls mehr „Kuscheltango“ erwartet.
Ich fordere auch keineswegs, man „solle“ oder gar „müsse“ zu solchen Stücken tanzen. Wer’s nicht kann oder mag, soll es bitte lassen – ich möchte nicht noch mehr Elend erleben! Wofür ich seit vielen Jahren werbe, ist lediglich, auf den Milongas gelegentlich auch den Tänzerinnen und Tänzern eine Chance zu geben, die mehr musikalische Herausforderungen suchen. Doch da ist es mit der viel beschworenen „Achtsamkeit“ nicht weit her. Stattdessen wird knallhart „Mainstream“ durchgezogen.
Mir fällt zu der ganzen Debatte der letzte Samstag ein, wo wir einen „Tanz in den Herbst“ mit einer wunderschön altmodischen „Tanzkapelle“ besuchten, welche die nostalgischen Hits vergangener Zeiten wieder aufblühen ließ: Von „Quando, quando, quando“ bis „Volare“ war alles dabei – und man durfte zu „Man müsste Klavier spielen können“ einen heißen Tango aufs Parkett legen. Wir Vier waren umgeben von „Ehepaar-Tanzkreis-Paaren“ und interpretierten zum Erstaunen anderer Gäste Foxtrotts mit Milongaschritten und zwirbelten Ochos im Rumba-Rhythmus.
Dennoch absolut friedliche Koexistenz – und keiner fragte, ob man das dürfe oder müsse. Und keiner überlegte wohl, ob Hans Otto Borgmann seinen „Tango notturno“ (eine Filmmusik) zum Tanzen, Zuhören oder Zuschauen komponiert hatte.
Überhaupt hatte diese Frage in unseren ersten zehn Tangojahren keine Bedeutung. Wir unterschieden damals grob zwischen „groovt wie Drecksau“ und „da hängt der Hund tot überm Zaun“. Musikhistorische Studien wären uns nicht in den Sinn gekommen. Und wenn wir zu einem Stück nicht tanzen wollten, haben wir’s einfach gelassen.
Nach dem Ende der obigen Veranstaltung fragte der Pianist und Bandleader, ansonsten als professioneller Komponist und Dirigent eher der „ernsten Musik“ zugetan, meine Frau, ob sie als Tänzerin mit der Spielweise zufrieden gewesen sei. Sie antwortete (im Namen von uns allen), man habe sehr schön dazu tanzen können.
Der Grund für diese Erkundigung: Der Chef ist ein absoluter Nichttänzer. Durch Karins Aktivitäten kenne ich eine dreistellige Zahl von Musikern – vom reinen Amateur bis zum gut bezahlten Profi. Und diese Eigenschaft trifft auf die überwältigende Mehrheit zu: Sie können nicht tanzen und haben auch kein Interesse daran.
Daher frage ich solche Leute – und erst recht Komponisten – nie danach, ob man nach deren Ansicht dazu tanzen solle oder dürfe. Sie haben schlichtweg meist keine Ahnung! Das gilt auch für den Begründer des Tango nuevo.
Daher finde ich es schade, dass Jochen Lüders sich beim Erklingen eines Stücks erst einmal musikhistorisch vergewissern muss, ob der Komponist diesen Titel zum Zuhören oder Tanzen bestimmt hat. Vielleicht gebricht es ihm im Elfenbeinturm ein wenig an Praxis. Auf den eher raren Veranstaltungen mit gemischter, interessanter Musik habe ich ihn seit Jahren nicht gesehen. Da könnte er Paare erleben, die zu Piazzollas Musik gerne und sehr schön tanzen.
Kürzlich habe ich das Video eines jungen Swing-Tanzpaars verlinkt, das atemberaubend musikalisch Mozarts „Kleine Nachtmusik“ interpretiert. Ich hoffe, die beiden haben sich vorher musikhistorisch darüber informiert, ob der Wolfgang Amadeus seine Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur KV 525 (1787) als Tanzmusik gedacht hat. Fragen kann man ihn ja leider – wie auch Astor Piazzolla – nicht mehr!
Herr Riedl,
AntwortenLöschenEs ist nur noch sehr selten, dass ich hier auf Ihrem Blog antworte, aber bei diesem Artikel konnte ich nicht anders:
Jochen Lüders fordert Sie auf seinem Blog auf, ein paar Quellen zur Belegung Ihrer Meinung zu liefern, um mal die von Ihnen so oft geforderte Sachlichkeit auf die Probe zu stellen und Sie verweigern diese mit einer - mit Verlaub - billigen Ausrede.
Ich zitiere: […] „Ich mag mich nun am Archiv-Wühlen nicht beteiligen – schließlich bin ich kein Musikhistoriker. Und unsere Auseinandersetzung soll auch nicht in den Bereich von Nachbarschaftsprozessen abgleiten, wo man sich wegen überhängender Kirschbaumzeige fetzt „[…], während Sie in Ihrem letzten Artikel „ER HAT DAS SCHLIMME WORT GESAGT“ gleich 26 Zitate aus Ihrem Archiv herausholten.
Soll das etwa keine Zitatenschlacht sein?
Die gleiche Energie hätten Sie doch mal zur Belegung Ihrer Aussagen aufbringen können.
Dieser Widerspruch in zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen ist schon ein Treppenwitz.
Aber ist ja schon Tradition auf Ihrem Blog.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Lieber Herr Wendel,
Löschenich habe überhaupt nichts gegen die Verwendung von Zitaten. Sie sollten nur einen relevanten Sinn haben.
Was meinen Artikel „Er hat das schlimme Wort gesagt“ betrifft: Hier habe ich durchaus selbstkritisch Vorwürfe untersucht, ich würde Kraftausdrücke wie „idiotisch“ oder „dämlich“ verwenden. In der Summe kam heraus, dass ich dies nur sehr selten tue. Aber bei den wenigen Beispielen habe ich mir natürlich überlegt, wie ich das anders hätte formulieren können.
Beim Artikel von Jochen Lüders dagegen frage ich mich halt, wozu der ganze Aufwand gut sein soll. Nur um nachzuweisen, dass ich Piazzollas Intentionen falsch einschätze? Wir alle haben Piazzolla nicht persönlich gekannt – und schon gar nicht seine vermutlich sich ändernden Einstellungen während seines Lebens.
Für das Zitat von Piazzollas Witwe, das Lüders anzweifelt, hat mir ein Leser auf Facebook nun die genaue Quelle genannt. Aber auch das habe ich nicht mehr veröffentlicht. Wozu auch?
Die Kernfrage ist doch, warum die große Mehrzahl der DJs weiterhin einen Bogen um das Werk des Komponisten macht, obwohl es durchaus Tänzerinnen und Tänzer gibt, die sich gerne dazu bewegen würden. Und diese DJs erwecken den Eindruck, dass sie damit ein „Verbot“ Piazzollas beachten.
Nun weiß jeder bessere Künstler, dass er die Rezeption seiner Werke nicht bestimmen kann. Sicher, Piazzolla wollte Musik zum Zuhören und nicht zum Tanzen komponieren. Ich wüsste aber nicht, dass er mal geäußert hätte, zu seiner Musik solle oder gar dürfe man nicht tanzen. Und selbst wenn: Es ist die freie Entscheidung anderer, ob sie sich daran halten wollen. Und das hätte Piazzolla sicherlich auch respektiert.
Übrigens finde ich es nicht sehr fair, wenn Sie hier einen Kommentar in relativ zurückhaltender Manier hinterlassen und auf einem anderen Blog verbal gegen mich herumholzen. Vielleicht sollten Sie sich mal entscheiden, welchen Weg Sie gehen wollen.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Auf Jochen Lüders Blog sammeln sich nun die Kritiker, die mir gerne eins mitgeben möchten. Auf meine Seite traut man sich eher weniger, da müsste man schon mal seinen richtigen Namen nennen. Ein Kommentator namens „Astor“ schreibt:
AntwortenLöschen„Haben Sie recht, wenn Sie ständig behaupten, Piazzolla ‚hat nie gebeten, nicht zu seiner Musik zu tanzen‘, oder hat Lüders recht, wenn er anhand mehrerer Zitate bzw. Quellen nachweist, dass Piazzolla wollte, dass die Leute zuhören (und nicht tanzen). Da Sie auch in Ihrer (erbärmlichen) „Antwort“ kein einziges Zitat (bzw. keine einzige Quelle) anführen, die Ihre Behauptung stützen würde, ist die Angelegenheit entschieden. Eine angemessene Reaktion wäre das Eingeständnis, dass Sie sich halt all die Jahre geirrt haben. Wäre ja nicht weiter schlimm, denn ‚es irrt der Mensch so lang er strebt‘. Aber auf so ein Eingeständnis wird man bei Ihnen vergebens warten, stattdessen schwurbeln Sie lieber über ‚große Weltpolitik‘ und ‚Faustball-Sport‘.“
Ich habe meinen Standpunkt viele Male erklärt. Was bringt es eigentlich für die Musikauswahl auf den Milongas, ob nun Kollege Lüders oder ich den Ruhm als „authentischer Piazzolla-Erklärer“ einheimsen?
Nebenbei hoffe ich natürlich, dass sich hinter „Astor“ nicht der Geist Piazzollas verbirgt. Aber dafür gibt es keinerlei Indiz.
Die Herrschaften, die nicht zu Piazzollas Musik tanzen wollen, haben auch eine Abneigung gegen eine halbwegs gepflegte und angemessene Ausdrucksweise.
AntwortenLöschenSo finden sich in den Kommentaren auf dem Blog von Jochen Lüders die folgenden Begriffe:
„erbärmlich“
„Teflon-Riedl“
„Teflon-Gerd“
ein Vergleich mit Alice Weidel
„rummurksen und sich blamieren“
„ausgesprochen kindisch“
„diffamieren“
„Unverschämtheit“
„lächerlich“
Sorry, aber in dieser Umgebung fühle ich mich ähnlich wohl wie in einer Vorstadtkneipe mit lauter Besoffenen.
Daher: Wer einen respektvollen Meinungsaustausch möchte, muss ich halt auf meine Seite bemühen. Bei den Verbal-Kraftprotzen werde ich keine Stellung mehr beziehen.
Klaus Wendel hat am 15.10.23 auf seiner Facebook-Seite den Artikel von Jochen Lüders verlinkt.
AntwortenLöschenWalter Reetz kommentierte das so:
„Ich denke, es darf jeder selber urteilen, ob er Piazzollas Musik tanzen kann bzw. möchte oder nicht. Das Wesen des Tango ist breit genug, um das jedem Tänzer zu überlassen. Das hat niemand anders selber zu entscheiden als der Tänzer selbst.“
Wendels Replik:
„Es geht in diesem Artikel wohl nicht darum, ob hier jemand den Menschen verbieten will, im privaten Umfeld dazu zu tanzen, sondern um Riedls unbewiesene Aussage, dass Piazzolla gesagt haben soll, seine Musik sei zum Tanzen komponiert worden oder man solle dazu tanzen. Du hast zwar das Wort ‚verbieten‘ nicht benutzt, aber Dein Kommentar umschreibt das mit anderen Worten. Dass sich seine Musik, auch auf Grund seiner komplexen Struktur, nicht für Durchschnitts-Hobby-Tänzer eignet, müsste jedem klar sein. Aber, dass viele Hobby-Tänzer glauben, sich musikalisch dazu bewegen zu können, aber eigentlich damit völlig überfordert sind, fällt ihnen leider nicht auf, sodass sie sich unfreiwillig in der Öffentlichkeit damit blamieren. Aber ich finde Deine Reaktion auch etwas zeitgemäß, da man heutzutage oft behauptet, dass man Menschen etwas verbieten möchte, wenn man etwas kritisiert, wie z.B. das Schnitzel. (Damit haben sich Weidel, Aiwanger & Söder ein paar Wählerstimmen verschafft.) Diese ‚Schnappatmungsreaktion‘ Kritisieren = Verbieten hat sich sehr etabliert.
Im Übrigen ist der Begriff ‚Tanzbarkeit‘ ziemlich verwaschen, denn Bewegung ‚während Musik läuft‘ bedeutet nicht unbedingt musikalisches Tanzen.
Deine Behauptung, jeder könne selbst beurteilen, ob er etwas kann, widerspricht jeder Motivation, sich für etwas zu qualifizieren. Ob jemand etwas möchte, wird hier gar nicht in Frage gestellt.“
Meinen Artikel als Antwort darauf verlinkt Wendel lieber nicht.
Da ich auf seiner FB-Seite nicht kommentieren kann (er bei mir schon), stelle ich hier fest:
Meine „Aussage, dass Piazzolla gesagt haben soll, seine Musik sei zum Tanzen komponiert worden oder man solle dazu tanzen“ stellt eine freie Erfindung Wendels dar. Ich habe das oft genug richtiggestellt.
Seine Vergleiche mit politischen Populisten finde ich geschmacklos, ebenso seine maßlos arrogante Einstellung gegenüber Hobbytänzern.
Das Urteil darüber, wer sich mit seinen Sprüchen öffentlich blamiert, überlasse ich den Lesern.