Mach mal Pause?

Kürzlich erlebte ich einen Tanz mit einer Tanguera, mit der ich schon lange nicht mehr das Vergnügen hatte. Drei Stücke lang war ich hingerissen von ihren Fähigkeiten, die mir gar nicht mehr so in Erinnerung waren. Da es Gott sei Dank keine Cortinas gab, fiel mir die Frage leicht, ob denn noch ein vierter Tanz genehm sei. Ich glaube, ihre Zustimmung war ehrlich gemeint.

Prompt ergoss sich der kalte Wassereimer: Die Veranstalter, so war unschwer zu erkennen, wollten nun zur Pausenansprache schreiten. Hilflose Blicke: Na, dann halt beim nächsten Mal – vielen Dank, war toll…

Nun hätten wir mit der Fortsetzung natürlich warten können, bis die Rhetorik-Attacke vorbei war – aber wir wussten beide: Das kann sich ziehen. Und wenn wir viel Pech hatten, feierte vielleicht noch ein Gast seinen Geburtstag, was uns dann gezwungen hätte, noch mindestens zwei anstrengende Walzer anzusehen. Auf jeden Fall aber wäre der glückliche Flow weg, den wir gerade erlebten.

In solchen Situationen suche ich unverzüglich mein Zigarettenetui sowie das Weite. Vor der Haustür besteht noch eine kleine Chance, das gerade Erlebte nachzuempfinden. Statt mir anhören zu müssen, wem man für die Bereitstellung von Kuchen oder Fingerfood sowie das Tischerücken zutiefst dankbar zu sein habe, welches Jubiläum irgendwer feiere und wann sowie wo die nächste, unvergleichliche Milonga oder der demnächst unvermeidliche Workshop sich zu verwirklichen drohe. Was dann natürlich auch die restlichen anwesenden Veranstalter an die Rostra treibt, um gleichfalls ihre Tango-Wohltaten anzupreisen. Nicht selten tritt noch die anwesende Marketenderin auf, um die Fummel und Puschen am Verkaufsstand zu bewerben, den ich vorher per weitem Bogen zu ignorieren trachtete.

Ferner scheint es in vielen Fällen gesetzlich festgelegt zu sein, dass von mehreren möglichen Rednerinnen und Rednern jeweils der rhetorisch Unbegabteste mit der Aufgabe betraut wird. Dann wird ein ellenlanger, in Schleifen gelegter Sermon abgelassen, anstatt wenigstens – erstens, zweitens, drittens – die wichtigen Infos kurz und knapp herüberzubringen (die man meist eh schon aus dem Internet kennt).

Von den eigenen Auftritten weiß ich, wie man mit einer guten Sprechtechnik auch größere Säle per Naturstimme zu beschallen vermag. Oder alternativ ein Mikrofon sachgerecht einstellen und handhaben kann. Aber solche technischen Geräte können keine Wunder wirken: Wenn oben schlecht gesprochenes Deutsch reinkommt, kommt es aus dem Lautsprecher auch nicht anders raus. Höchstens lauter und meist ein wenig verzerrt.

Ich kenne einen Milongaveranstalter, der jede seiner Ansprachen mit dem Satz „Nur ganz kurz…“ begann. Daran gehalten hat er sich nie. Hätte er Kurt Tucholskys „Ratschläge für einen schlechten Redner“ gekannt, wüsste er, dass es für eine gute Ansprache nur eine optimale Einleitung gibt: „Ich komme zum Schluss“.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/04/nur-ganz-kurz.html

Ganz schlimm wird es, wenn es was zu feiern gibt: Dann kann man die nächsten zwanzig Minuten vergessen. Es muss zwingend mit einem sektähnlichen Getränk angestoßen werden – was ich stets verweigere: Wenn es schon mal Promi-Brause sein darf, dann bitte Champagner und nicht der übliche Discounter-Prostsecco. Sorry, aber man gönnt sich ja sonst nichts…

Im ungünstigsten Fall hat der Jubilar noch eine Torte mitgebracht – worunter leider keine weibliche Begleitung, sondern ein meist häuslich zusammengebaztes Konglomerat aus Zucker, Sahne und Buttercreme zu verstehen ist. Da wäre es mir noch lieber, wenn eine Schnitte aus der Torte spränge. Weniger wegen des Anblicks denn hinsichtlich der kürzeren Dauer.

Schon oft habe ich mir vorgenommen, auf einer Milonga auch mal etwas zu essen. Nach einem Blick auf die Tanzfläche vergeht mir so gut wie immer der Appetit – und ich erinnere mich, dass ich beim Tango Kalorien verbrauchen und nicht aufnehmen möchte. Aber leider gehört es zum deutschen Irrsinn, dass Feiern zwangsläufig mit Nahrungsaufnahme verbunden ist.

Gerät man dann noch auf einen Tango im Frankenland, so findet in der Mitte der Veranstaltung – also wenn die letzten Gäste gekommen und die ersten noch nicht gegangen sind der so genannte „Zahltango“ statt: Während der DJ die Besucher mit etwas besonders Gräulichem von der Piste vertreibt (im heutigen Tango keine leichte Aufgabe), laufen fleißige Helfer herum und kassieren den Eintritt. Besteht zusätzlich noch Rede- oder Feierbedarf, kann das Ganze sich beträchtlich hinziehen.

Etwas aus der Mode gekommen sind zeitraubende Verlosungen – offenbar ist nach der Corona-Pandemie und vor dem Energie-Desaster kein Geld mehr da. So können auch Krisen durchaus Positives bewirken!

Manchmal kommt es mir vor, als wolle man auf den Milongas alles Erdenkliche unternehmen, um mich vor einem emotionalen Flow zu bewahren. Dazu halten viele DJs schon einmal Musik parat, die mich wenig inspiriert. Sollte ich dennoch mal ins Träumen geraten, reißt mich die Cortina zuverlässig aus meiner Versenkung. Zusätzlich muss dann noch etwas mitgeteilt oder gefeiert werden – und wenn es ganz schlimm kommt, ist ein mehr oder weniger berühmtes Tangopaar anwesend, welches es nicht lassen kann, mindestens drei ziemlich ähnliche Stücke vorzutanzen – plus zwei Zugaben.

Nun muss ich schuldbewusst gestehen: Auch ich war schon der Quell tanzunterbrechender Aktivitäten. In meiner Vor- und Frühgeschichte ließ ich mich vom einen oder anderen Veranstalter dazu beschwatzen, mittendrin eine Zaubervorstellung zu geben. Auch ein „Tango-Kabarett“ und Ähnliches haben wir schon aufgeführt – und etliche Buchlesungen gehalten.

Zu meiner Verteidigung kann ich höchstens anführen, dass auf diese Einlagen meist in der Ankündigung der Milonga hingewiesen wurde – wen es nervte, der hatte die Chance, fernzubleiben. Und wir arbeiteten hart daran, unterhaltend zu sein. Dennoch würde ich solche Unterbrechungen heute nur noch mit größter Vorsicht angehen – die Gefahr ist riesig, dass sie von dem ablenken, was für mich die Faszination des Tango ausmacht: Musik und Tanz in Reinkultur.

Und diese ganze Ansageritis könnte man beispielsweise durch Flyer auf den Tischen ersetzen. Daten und Fakten als gesprochenes Wort merkt sich eh kaum jemand. Und wenn es gar nicht anders geht: Ansprachen rhetorisch knapp und interessant halten.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass sich bei diesem Thema zwei grundverschiedene Ansätze gegenüberstehen: Viele wollen halt den sozialen Event – mit Essen, Trinken, langen Gesprächen und einer Menge Gelächter und Gegacker. Der Minderheit, zu welcher ich mich zähle, geht es um die Faszination einer Bewegung zur Musik, um „Träumen mit den Füßen“. Dieser Gegensatz ist prinzipiell unauflöslich – man kann sich ihm nur dialektisch nähern.

Leider besteht oft ein Teufelskreis: Je mehr eine Veranstaltung den Charakter einer „Party mit Tanzgelegenheit“ annimmt, desto stärker der Einmarsch von Feierwilligen, für die das Tanzen eher Nebensache ist. Ein Parameter ist nach meiner Beobachtung die Anzahl der mitgebrachten Kuchen-Container respektive Nudelsalat-Tupperschüsseln.

Aber warum diesen Leuten die Laune verderben? Ich schlage allerdings vor, dann den umgekehrten Weg zu gehen und mehrfach am Abend den Partybetrieb mit einer Runde Tango zu unterbrechen…

Mach mal Pause? Na klar, warum denn nicht? In meiner Tanzschulzeit hat mir dazu allerdings ein Schluck Cola gereicht – denn wir männlichen Pubertäter reimten schon damals:

„Eine Cola vor dem Tanz hebt die Stimmung und den Schwung!“

https://www.youtube.com/watch?v=v_giA_XJsSg

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