Demokratie ist, was uns nützt

 

Zu einem meiner kürzlich erschienenen Artikel erreichte mich gestern die Mail eines Lesers. Die Bundesregierung, so meint er, habe anscheinend meine Beiträge gelesen, da sie zu ähnlichen Schlussfolgerungen komme wie ich.

Na immerhin – das steigert meine Eitelkeit erheblich!

Statt eines „kleinen Militärputsches“, so des Lesers ironische Sichtweise, reiche doch der neueste  Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Hierbei zitiert er dessen geplanten § 28a:

„11. Untersagung, soweit dies zwingend erforderlich ist, oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Versammlungen oder religiösen Zusammenkünften“ 

So gehe das schließlich auch – damit habe es sich dann wohl endlich „mit diesen doofen Demonstrationen erledigt“. Und „diese lächerlichen Oberverwaltungsgerichte et al. braucht dann endlich auch keiner mehr anzurufen – oder gegen deren Urteile Einspruch zu erheben… denn das wäre dann ja alles ziemlich zwecklos. Ist ja dann alles wunderbar gesetzlich geregelt. Diese Variante ist doch eigentlich auch ganz elegant – ganz ohne Militärputsch.“

Ich finde, dies stellt eine typische „Querdenker-Logik“ dar. Tatsachen gelten nur dann, wenn sie den eigenen Thesen nützen. 

Vielleicht zur Nachholung der in der Schulzeit versäumten Staatsbürgerkunde:

Das Demonstrationsrecht hat in unserem Land noch nie schrankenlos gegolten. Der Artikel 8 des Grundgesetzes bestimmt: 

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Das zugehörige Versammlungsgesetz gibt es seit 1953, es wurde seither mehrfach geändert und durch Landesgesetze ergänzt. Dass nun der Gesetzgeber die aktuellen Corona-Regelungen nicht mehr nur auf dem Verordnungsweg, sondern durch eine Gesetzesergänzung festschreiben will, halte ich für den richtigen Weg. Über ein Gesetz stimmen nämlich Parlamente ab – hier Bundestag und Bundesrat. Und die dortigen Mehrheiten kamen aufgrund von Wahlen zustande. Ich halte dies für ziemlich demokratisch.

Und natürlich kann man konkrete Verwaltungsentscheidungen auf der Basis der neuen gesetzlichen Regelung weiterhin vor den Gerichten angreifen, hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin Gültigkeit. Erst recht dürfte das neue Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Dies beurteilt dann, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist. So viel zur Gewaltenteilung, einem essenziellen Prinzip unserer Demokratie. 

Das Ganze mit einem „Militärputsch“ zu vergleichen, ist dummes Zeug. Der wäre wesentlich einfacher anzustellen als die Bemühungen der Politik, mit Milliarden-Aufwand das Schlimmste zu verhindern – und mit Millionen von Überstunden in der Verwaltung. Ebenso abartig erscheint mir die Anmaßung der querdenkenden Minderheit, sich als „das Volk“ zu gerieren. Im neusten Politbarometer des ZDF wird bestätigt, was die Demoskopen schon seit Monaten vermelden: Eine außergewöhnliche Mehrheit befürwortet die derzeitigen Corona-Schutzmaßnahmen.

86 Prozent der Befragten halten die Proteste dagegen für „nicht gut“. 58 Prozent finden die derzeitigen Regelungen „gerade richtig“, 26 Prozent meinen sogar, sie „müssten härter ausfallen“. Nur 14 Prozent halten sie für „übertrieben“.  

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-rueckhalt-fuer-geltende-massnahmen-100.html

Klar, und auch diese Minderheit darf sich zu Wort melden – und im Zeitalter des Internets kann man dies nicht nur durch Demonstrationen zum Ausdruck bringen. Aber Demokratie heißt halt auch, den Willen der Mehrheit zu respektieren – und nicht nur das, was der eigenen Überzeugung entspricht. Bei Trump über Ballweg bis zu Hildmann steht diese Erkenntnis noch aus: Demokratie ist nicht nur das, was einem persönlich nützt.

Heute Nachmittag wird es in unserer friedlichen Region turbulent: Ausgerechnet das verschlafene Städtchen Aichach hat „Querdenken 821“ (also die Augsburger Fraktion) als Ort der bekannten Aufläufe auserwählt. Eine breite Initiative von Politikern (CSU, SPD, Grüne) und anderen Bürgern hat nun veröffentlicht, die Herrschaften seien in ihrer Stadt nicht willkommen. Dafür erhielt die Gruppe in wenigen Tagen über 1200 Unterschriften aus der Region.

https://www.wir-aus-aichach.de/

Warum gerade Aichach? Wahrscheinlich, weil der dortige Leiter des Gesundheitsamts, Dr. Friedrich Pürner, wegen seiner kritischen Äußerungen zu bestimmten Corona-Maßnahmen der bayerischen Regierung in Ungnade fiel und wegversetzt wurde. Obwohl der Amtsarzt immer wieder betont, es gehe ihm lediglich um die medizinische Diskussion, er lasse sich nicht von irgendwelchen Gruppen vereinnahmen, versucht man wohl genau das. 

Meine Meinung dazu: Die Abordnung Pürners an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in einer Nacht- und Nebelaktion halte ich für völlig verfehlt. Wenn man meint, er hätte sich beamtenrechtlich falsch verhalten, muss man halt ein Disziplinarverfahren anstrengen. Dabei wäre zu prüfen, ob sich der Leiter des Aichach-Friedberger Gesundheitsamtes an das „Mäßigungsgebot“ gehalten hat – sprich: Seine Ansichten lediglich als Privatperson geäußert hat, sich in seiner staatlichen Hoheitsfunktion dagegen der nötigen Zurückhaltung befleißigt hat. Schließlich muss er als Behördenchef auch genau die Maßnahmen umsetzen, die er kritisiert. 

Stattdessen hat man nun einen „Märtyrer“ geschaffen, und Aichach hat die „Querdenker“ am Hals. Schönen Dank auch. 2000 Demo-Teilnehmer waren angekündigt, 1000 wurden erlaubt. Und die sollen auf dem Volkfestplatz bleiben, statt durch die enge Innenstadt zu ziehen. Mit Maske natürlich. Man darf gespannt sein. Ich hätte ja den Besuch der Intensivstation des Aichacher Krankenhauses vorgeschlagen. Am besten ohne Maske. 

Na gut, dann lassen wir uns heute von einer vierstelligen Zahl von Hanseln darüber informieren, dass es Corona nicht gibt, oder jedenfalls nur als normale Infektion auf Schnupfenbasis, dass wir bereits in einer Diktatur leben oder kurz davor sind, und dass an COVID-19 bislang noch nicht genug Menschen gestorben sind, um überzeugend zu wirken. Wussten wir zwar alles schon – ist aber okay.

Ebenso hielte ich es allerdings für demokratisch, wenn mal die zehnfache Menge an Menschen artikulieren würde, dass sie das Ganze für ausgemachten und verantwortungslosen Schwachsinn halten. Die Initiative „Wir aus Aichach“ hat aber schon angekündigt, nicht dagegen auf die Straße zu gehen – wegen der Infektionsgefahr. Stattdessen will man Transparente mit Sachinformationen zu Corona an den Fenstern befestigen. Motto: „Anstand raushängen lassen“.

Finde ich auch nicht schlecht.

P.S. „Die Demo in Aichach soll nicht wie Leipzig werden“, schreibt die Bürger-Initiative. Das wäre zu wünschen:

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