Tango-Anekdoten IV
Weiter geht es mit meiner kleinen Serie von Tangogeschichten – meist ziemlich schräg, aber hundertprozentig selbst erlebt!
Carmencita
Die Tänzerin, welche wir nach der Disney-Termite benannten, war eine ziemlich resolute Dame – beruflich in leitender Position tätig. Sie gehörte zu den Tangueras, welche Tritte bis zur Ohrspitze des Partners als „Verzierungen“ bezeichnen. Die Qualität von Tänzern beurteilte sie sehr streng – viele von ihnen, so ihre Einstellung, könnten sie eben nicht richtig führen. Dass ich in Carmencitas Augen wohl zur etwas begabteren Minderheit gehörte, verschaffte mir eine Reihe von gesundheitsgefährdenden Tänzen mit ihr.
Nachdem dieser weibliche Bruce Lee einige Zeit verschollen war, ereilte mich ihre nächste Aufforderung auf einer übervollen Milonga, wo ich eine Tanda lang krampfhaft bemüht war, die übrigen Teilnehmer vor Tritten zu bewahren. Hernach erklärte sie mir ihre zeitweise Abwesenheit: ein Unfall mit anschließender Operation. Ich schluckte heldenhaft die Frage herunter, ob ihr der beim Tanzen zugestoßen sei, als sie hinzufügte: „Stell dir vor, eine Verletzung beim Tango!“
Da bleibt mir nur der Standardspruch einer Tangofreundin: „Warum wundert mich das nicht?“
Nofretete
Bei dieser ebenfalls ziemlich resoluten Dame hing der Spitzname mit ihrem Beruf zusammen (mehr deute ich lieber nicht an). Ihren Partner bezeichneten wir passenderweise als „Amenophis“.
Wir kannten die beiden von einer wöchentlichen Practica, bei der sie vor unserem Erscheinen die „Stars“ und zunächst sehr auf Kontakt mit uns aus waren. Das ließ in dem Maße nach, wie Karin und ich Fortschritte machten.
Nach längerer Zeit sahen wir die beiden wieder, als Tangofreunde von uns ihre eigene Milonga mit ziemlich gemischter Musik aufmachten. Die beiden nahmen keinerlei Notiz von uns. Als ich mit Karin einige Elektrotangos tanzte, wurden wir von ihren Blicken regelrecht erdolcht. Kurz darauf rauschten die zwei dann wieder Richtung Ausgang.
Einige Zeit später erhielt die Veranstalterin von ihnen eine Mail, in der sie weitere Einladungen abbestellten. Weiter schrieb „Nofretete“:
„Die Musik war für uns weitgehend schrecklich (wir sind deshalb nach 30 Minuten wieder gegangen) – aber: de gustibus non est disputandum. (…) Wenn ich elektronischen Kram hören will (was ich nicht will!), suche ich mir entsprechende Musik – es muss dann nicht ein ‚vergewaltigter‘ Tango sein für Leute mit Rhythmusproblemen. (…) Wir gehen zum Tanzen, um uns zu entspannen. (…) Wenn Tanz zur Religion stilisiert wird, ist das nichts mehr für uns.“
Das war 2007. Nach meiner Erinnerung gingen damals die ideologischen Auseinandersetzungen um die „richtige“ Musik los – während man vorher das Programm der DJs ziemlich entspannt beurteilte. Und ja: Es waren eindeutig die Vertreter traditioneller Vorstellungen, welche die Schärfe in die Debatte brachten.
Ich finde den obigen Text ziemlich ungehobelt – man kann auch höflicher ausdrücken, dass man mit der Musik wenig anzufangen wusste. Und wie „entspannt“ die beiden drauf waren, kann man klar erkennen. Zudem ist mir nicht aufgefallen, dass die Veranstalter irgendeinen pseudoreligiösen Bohei um das DJ-Programm gemacht hätten – im Gegensatz zu diesen Gästen.
Nicht nur bei Mumien führen Entwicklungen nicht immer zu einem appetitlichen Ende…
Tangolehrer: eine Diagnose
Für meine Kritik an dieser Spezies bin ich oft hart angegriffen worden. Nach Lesen meiner alten Texte bin ich aber wieder mal davon überzeugt: In unseren Tango-Frühzeiten haben wir eine solche Auswahl skurriler Typen erlebt, dass man mir meine Einstellung nachsehen möge.
Zur damaligen Zeit erkannte man Tangolehrer vor allem an zwei Eigenschaften:
Auf Milongas tanzten sie sie gut wie nie – und wenn, dann höchstens mit ihrer Partnerin.
Gegrüßt wurden von ihnen bestenfalls die eigenen Schüler, an allen, außer „Tango-VIPs“, rannten sie mit glasigen Augen vorbei – „Aliens“ eben. Ich schrieb damals:
„Speziell eine Tangolehrerin sieht mich nicht einmal, wenn ich sie im Abstand von einem Meter grüße. Ich überlege ernsthaft, ihr demnächst einmal einen weißen Stock nebst schwarz gepunkteter gelber Armbinde zu überreichen.“
Ein Tangolehrer und Autor ziemlich vergeistigter Bücher zum Thema bot in unserer Nähe eine Tango-Einführung nebst Milonga an und suchte hierfür noch männliche Springer. Also meldete ich mich an.
Der Gute war eigentlich ein ganz lieber Kerl, hatte allerdings extreme Probleme im Kontakt zu anderen Menschen. Von der Tango-Unterweisung zehre ich heute noch, allerdings war es die Veranstaltung mit dem extremsten Männermangel, die ich je erlebte: Ganzen 6 Tangueros standen an die 35 Frauen gegenüber.
Wir Tänzer taten unser Bestes, die Damen in Bewegung zu halten – bis auf den Meister, der meditierend in der Ecke saß. Eine Tangofreundin wagte es schließlich, ihn um einen Tanz zu bitten, was ihr auch – nach einer gewissen Pause – gewährt wurde. Ich fragte sie hinterher, wie es gewesen sei. Ihre Antwort: „Das Buch war besser.“
Bei meinem zweiten Springer-Job lernte ich den Unterrichtsstil eines Tangolehrers kennen, welcher maximal hochtrabend und unnahbar daherkam. Obwohl er schon lange im Geschäft ist und auch heute noch unterrichtet, vermochte ich seinem esoterischen Getue wenig abzugewinnen.
Zudem durfte ich eine etwas hysteride Mittfünfzigerin (Typ Grundschule – Religion und Handarbeiten, schwarze Turnschläppchen) ums Karree führen. In der zweiten Kursstunde entschloss ich mich dann doch, der reichlich verspannten Dame einen kleinen Tipp zu geben. Ihre hoheitsvolle Antwort: „Vielleicht führst du das nur nicht klar genug?“
Seither lautet meine Devise: Wenn nochmal Springer, dann nur mit Fallschirm!
Zu unseren Anfangszeiten gab es in einer
nahen Großstadt einen Tangolehrer mit eigenem Studio, der als etwas
verschroben, aber recht effektiv galt. Da ich häufig mit Schülerinnen des
Meisters tanzte, war ich aber nicht direkt überzeugt von dessen
Unterrichtsqualität. Und selber – so fand ich – tanzte er ziemlich grob und
uninspiriert. Die Damen, so sein öfters klotzig geäußerter Hauptvorwurf, kapierten sein Führung nicht.
Jahre später erfuhr ich eine herrliche Geschichte dazu: In den 1990-er Jahren besuchte angeblich eine Wallfahrergruppe aus dieser Stadt Buenos Aires, um sich von den dortigen Maestros ausbilden zu lassen. Der Einzige, welcher dabei absolut nichts gecheckt habe, sei unser Tangolehrer gewesen.
Nach einigen Jahren gab der auch sein Studio auf. Gelegentlich sah man ihn noch auf den Milongas. Als er einmal nahe an mir vorbeitanzte, hörte ich, dass er seiner Partnerin im entscheidenden Moment die Anweisung „Gancho“ ins Ohr raunte…
Ähnlich von sich überzeugt war ein Lehrer, der vom Standardtanz zum Tango gewechselt war. Ich erlebte einmal eine Unterichtsstunde, bei der er die beim letzten Mal behandelte Figur mit jeder seiner Schülerinnen probierte. Fazit: Sie könnten es alle nicht. Wobei seine Lieblingsbeschäftigung aber darin bestand, im Sitzen lange und gescheit daherzureden. In der von mir überblickten Zeit übernahm er drei verschiedene Milongas, welche er alle in den Sand setzte.
Regelmäßigen Kursunterricht genossen Karin und ich nicht viel länger als ein Jahr – bei einem Ehepaar, das in jeder Hinsicht eine Monopolstellung innehatte: Im Umkreis von etwa 100 Kilometern gab es keine Alternative. Auch daher waren ihre Veranstaltungen stets gesteckt voll.
Wir erlebten die beiden zunächst als äußerst freundlich und zugewandt, nahmen mit der Zeit aber einen deutlich diktatorischen Unterton wahr: Methodisch gut aufbereitet wurde eine strikte Abfolge von „Figuren“ gelehrt – neben der „Achterbasse“ gab es noch die bis zwölf reichende „Salonbasse“ oder die „kleine Linksdrehung“. Eine Milonga-Version für Fortgeschrittene hört auf den schönen Namen „Tippel-Tango“.
Wer vorschriftswidrig tanzte, gar noch mit „Fremd-Choreografien“, konnte cholerische Anfälle auslösen. Der Besuch anderer Tangoveranstaltungen war verpönt. Als sich in der Gegend doch auch Konkurrenten niederließen, parkten die beiden angeblich schon mal vor deren Tür, um „abtrünnige“ Schüler herauszufinden, welche dann zur Rede gestellt oder gleich mit Hausverbot belegt wurden. Wir lernten später ein Tangopaar kennen, welches eigentlich diese Lehrer bewunderte und von seiner Verbannung (es hatte für eine andere Milonga geworben) noch nach Jahren völlig traumatisiert war.
Ich stieg aus einem laufenden Kurs aus, als mir die Chefin mitteilte, eine Milonga-Schrittfolge, die ich mir irgendwo abgeschaut hatte, gebe es nicht. Ich bin der Dame heute noch dankbar für diesen Hinweis. Er war für uns der Startschuss für den Besuch zahlloser anderer Veranstaltungen, wo wir auf dem Milonga-Parkett mehr lernten, als wir in dieser Schule je hätten erreichen können.
Vielleicht hätte uns sonst das Schicksal mancher treuer Schüler gedroht, das ich in meinem Tangobuch so beschrieben habe:
„Auffallend ist hierbei die immer größere Übereinstimmung mit den Tangolehrern (Kleidung, Blick, Tanzstil) – wobei es leider umgekehrt wie bei Haustieren ist, wo irgendwann das Herrchen seinem Hund ähnelt…“
Zu meiner Anekdoten-Sammlung erhielt ich kürzlich die Mail einer Tangofreundin, in der sie schrieb:
„Schöne Artikel! (…) Mei, alte Zeiten, und schön, dass wir dabei waren... Heute haben wir nimmer so viel Unterstützung und müssen viel Spinnerei ganz allein erledigen.“
Ich bin ebenso froh, dass wir den Tango noch zu den „Gründerzeiten“ vor zirka 20 Jahren erlebt haben. Es liefen damals tatsächlich viele „Spinner“ herum – aber halt meist im Sinne von Kreativität und Individualität. Man erhielt wahnsinnig viele Anregungen, konnte sich das abschauen, was einem gefiel.
Wenn ich mir dagegen die geklonten Tangopaare von heute betrachte, möchte ich denen oft zurufen: Ihr habt was versäumt!
Fortsetzung folgt!
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