Ein Eis für Seppi und Lars

Diesmal, liebe Leserinnen und Leser, mute ich Ihnen zunächst eine Biologie-Frage zu, die ich in meinen Oberstufen-Kursen – in spaßärmerer Version – öfters gestellt habe: 

Lars, der Sprössling wenig erziehender, großstädtischer Pädagogen-Eltern, hat es einfach, wenn er mal wieder ein Eis möchte. Er muss die Bitte nur äußern. Sie ihm zu verweigern käme einer Vergewaltigung der kindlichen Seele gleich.

Seppi, das oberbayerische Landkind, hat es da deutlich schwerer. Ein Eis, so die dörfliche Lesart, sei teuer und unnötig. Der gute Junge muss also stundenlang quengeln, bis er vielleicht mal in den Genuss der gefrorenen Süßspeise gelangt.

Ab Anfang November entschließen sich nun aber beide Elternpaare: Eis im Winter ist ein No-Go. Bis Ende März gibt es keins mehr – ohne Ausnahme. Shutdown.

Frage: Welches Kind wird sich schneller mit der neuen Regelung abfinden? Die Antwort finden Sie am Schluss des Artikels!

Wie ich darauf komme? In Leipzig bekamen gestern zirka 20000 Seppis und Larse ihr Eis auch im November: Obwohl eine Demo der „Querdenker“ wegen des (erwartbaren) Ignorierens der Infektions-Schutzmaßnahmen nach kurzer Zeit von der Polizei für beendet erklärt wurde, durfte man sich dennoch bis in die Nacht auf den Straßen tummeln. Die gewohnte linke Folklore inklusive. Stichwort: „Deeskalation“. Über 30JournalistInnen wurden attackiert. Und ein völlig durchgeknalltes Oberverwaltungsgericht Bautzen hatte den Auflauf in der Innenstadt (statt auf dem Messegelände) erlaubt.

Der ehemalige Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, Christian Wolff, sagte dazu: 

„Doch erst nach drei (!) Stunden wurde dann endlich die Kundgebung durch die Stadt Leipzig aufgelöst. Jeder Restaurant-Betreiber, jeder Veranstalter, jeder Sportvereinsfunktionär, jeder Kinobetreiber muss sich heute verklappst vorgekommen sein: Da dürfen sich 20.000 Menschen (und mehr) auf dem Augustusplatz versammeln und gegen alle Bestimmungen der Corona-Schutzverordnung des Freistaates Sachsen verstoßen, während alle Restaurants seit Montag geschlossen und alle kulturellen Veranstaltungen verboten sind.“

https://www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/corona-querdenken-gegendemonstrationen-100.html 

Worum es mir geht:

Wir alle mussten seit Beginn der Corona-Krise viel lernen. Was vielleicht nur Biologen wissen: Der höchste Mechanismus, das Lernen durch Einsicht, bildet bei Primaten – auch außerhalb Leipzigs – lediglich die Spitze des Eisbergs (ja, Kalauer).

Schon eine Honigbiene (im Gegensatz zu einem Querdenker ein soziales Lebewesen) lernt nach dem Mechanismus der Konditionierung: Wenn sie auf einer gelben, ovalen Blüte Nektar oder Pollen findet, wird sie bevorzugt diese Pflanzen anfliegen. Ein zunächst neutraler Reiz (Farbe und Form der Blüte) wird also durch eine Belohnung („positive Verstärkung“) zu einem bedingten Reiz.

Den berühmten Pawlowschen Hund durften Sie doch sicher im Bio-Unterricht kennenlernen: Das Bimmeln einer Glocke ist Bello so lange Wurst, bis es dazu eine gibt. Kann er das Geräusch und die Fütterung verknüpfen, tropft bei ihm schon beim Klingeln allein der Sabber. 

Bei Lehrern fehlen offenbar oft die positiven Verstärkungen. So sagte mir einmal ein älterer Kollege: „Mir ist es nach 40 Dienstjahren immer noch nicht gelungen, beim Schulgong Speichel abzusondern.“ (Kalauer Ende)

Sinn ist stets der Erlernen der Bedeutung von Signalen, also Herdplatte = heiß oder rote Ampel = Gefahr. 

Neben dieser „klassischen Konditionierung“ fanden die amerikanischen Psychologen Watson und Skinner die noch weitreichendere „instrumentelle (oder operante) Konditionierung". Hier lernt man die Bedeutung von Verhaltensweisen.

Schulbeispiel ist die berühmte „Skinner-Box“. Ein Versuchstier wird in einen Käfig gesperrt, in dem es durch Betätigen eines Mechanismus eine Fütterung bewirkt. Beispiel: Taube pickt gegen Scheibe – Futterkorn fällt in Schale. Hier wird ebenfalls durch positive oder negative Verstärkung („Belohnung“ bzw. „Bestrafung“) eine bedingte Aktion oder Hemmung gelernt. (Ein Stromschlag beispielsweise würde dazu führen, dass die Taube nie mehr gegen die Scheibe pickt. Auch, wenn es den überlebt.)

Diese Lernvorgänge kann man in vielfältiger Weise variieren. Führt beispielsweise nur jede hundertste Betätigung des Mechanismus zu einer (also sporadischen) Belohnung, werden die Tiere zu „Akkordarbeitern“. Besonders schön ist die „Aberglaubendressur“: Hier wird das Fallen des Futterkorns nicht durch das Tier ausgelöst, sondern durch einen internen Zufallsgenerator. Besonders lernfähige Tiere konditionieren so eine zufällige Aktion zum Zeitpunkt der Fütterung mit der Belohnung. Man kann dann Tiere beobachten, die sich fortwährend nach links oder rechts drehen, mit den Flügeln schlagen oder gegen die Scheibe picken. 

Diese Verwechslung von Koinzidenz und Kausalität soll es auch beim Menschen geben… 

Wie kann man nun diese Lernvorgänge so einsetzen, dass sie zum Tragen von Masken führen?

Klar, man könnte den Mund- und Nasenschutz positiv verstärken. Das tun die Politiker nach Kräften, indem sie ständig die große Mehrheit der verantwortungsbewussten Bürger preisen. Man muss nur wissen: Solch pauschale Lobhudelei wirkt ziemlich schwach, da der Mensch in Rankings denkt. Ein Kompliment funktioniert viel stärker im Komparativ – wenn man somit als besser hingestellt wird als andere. Aber mehr als eine Maske pro Gesicht geht halt nicht…

Sollen die Ordnungskräfte nun an alle kontrollierten Maskenträger einen finanziellen Bonus verteilen oder doch lieber ein Eis im November? Aber dann müsste man zum Schlecken ja den Gesichtsschutz abnehmen!

Bleibt also nur die negative Verstärkung – also konsequent von jedem Maskenlosen ein Bußgeld verlangen. Von jedem – keine Ermahnungen mehr, kein erhobener Zeigerfinger! Und das nun gerne vorgezeigte Attest kann der Betreffende ja dann im Widerspruchsverfahren vorlegen – und prüfen lassen, ob es sich um einen pauschalen Download aus dem Internet handelt. 

Und der Bescheid muss schnell kommen! In der Verhaltenslehre nennt man das Kontiguität: enge zeitlich-räumliche Verknüpfung von Handlung und Verstärkung. Liegen diese Dinge zu weit auseinander, wird etwas Näherliegendes konditioniert, beispielsweise der böse Richter statt des nackerten Gesichts für die Strafe verantwortlich gemacht. 

Gebote und Strafen müssen zudem gleichmäßig und nachvollziehbar sein. Um auf Seppi und Lars zurückzukommen: Ab November gibt’s hat ein Eis mehr. Auch nicht bei noch so viel Gedöns. Punkt. Und nicht vielleicht doch, falls die Sonne scheint oder Papi gut gelaunt ist…

Bewertet man den Umgang mit der Maskenpflicht nach biologischen Kriterien, nimmt er sich desaströs aus. Das beginnt schon damit, dass in den einzelnen Bundesländern ganz verschiedene Bußgeld-Regelungen gelten: In Sachsen-Anhalt ist das gebührenfrei, in diversen Regionen wie Berlin oder Brandenburg kommt man mit 50 € davon, 60 € kostet es dann schon in Sachsen und Thüringen, während man in Ländern wie Bayern oder NRW 150 € löhnt – falls die Knete wirklich verhängt wird und man nicht nur mit dem Zeigefinger wackelt.

https://www.bussgeldkatalog.org/verstoss-maskenpflicht/

Und die Ordnungswidrigkeit meldet dann die Polizei dem Gesundheitsamt, dieses wiederum (falls man dort gerade Zeit hat) der Bußgeldstelle. Bei Nichtgefallen dann Einspruch binnen 14 Tagen, Gerichtsverhandlung schätzungsweise in einem halben Jahr.

Die Strafe folgt auf einem sehr langen Fuße… 

Was lernt der gemeine Maskenrenitenzler daher? Strafen dafür gibt es kaum einmal, und wenn, dann nicht sofort. Am ehesten ist man noch in dieser Gefahr, falls man allein oder zu Wenigen unterwegs ist. Praktisch gar nichts kann einem passieren, wenn man sich mit Tausenden anderer Bekloppter zusammentut. Dann kann man sich auch noch als Freiheitsheld fühlen und die Staatsmacht am Nasenring durch die Manege führen.

Aber den gesetzestreuen Bürgern geht es doch jedenfalls gut? Na ja, nicht ganz: Da hat man alle Vorschriften befolgt, als Gastwirt, Theater- oder Kinobetreiber teure Umbauten vorgenommen, Hygienepläne erstellt… und nun sorgen die „Freiheitshelden“ allen voran für einen neuen Shutdown. 

Kurzum: Sozial adäquates Verhalten wird bestraft, asoziales belohnt. 

Menschenaffen-Horden funktionieren umgekehrt. 

P.S. Auflösung der Rätselfrage:

Man spricht hier von einer Extinktion", also der Auslöschung eines Lernvorgangs durch einen neuen. Natürlich wird Seppi länger nerven als Lars. Er hat es ja gelernt, dass er erst nach ausführlichem Gedöns sein Eis bekommt (sporadische Belohnung). Ausnahmsweise haben das also die Lehrer-Eltern richtig gemacht.

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