Buchlesung

 Als mein Tangobuch 2010 herauskam, fürchtete ich am ehesten eine Vendetta der Tangolehrer und Veranstalter und nicht ein anonymes Gehetze auf Blogs und in sozialen Medien. Doch weit gefehlt! Auf Dutzenden von Milongas durfte ich Buchflyer und ein Ansichtsexemplar auslegen, und mehr als 20 Mal wurde ich zu einer Buchlesung eingeladen.

Als erste Interessentin meldete sich – noch vor Erscheinen der Erstausgabe – die Tangolehrerin Elisabeth Zagel mit dem Angebot, das Buch auf ihrer Milonga im Premier Ètage in München vorzustellen. Anscheinend hatte sich in den betreffenden Kreisen schon herumgesprochen, was da drohte: Die Stimmung uns gegenüber als Feinfrost zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Ich sehe noch heute vor mir, in welch großen Bögen die meisten Besucher den Büchertisch am Eingang umrundeten…

Umso mehr freute es mich, dass Elisabeth, die inzwischen München ebenfalls den Rücken gekehrt hatte, uns später zu einer Buchlesung auf ihrer Milonga in der Landsberger Gegend einlud. Da ich mit der Zeit dazu übergegangen war, mir die Texte jeweils per Manuskript zusammenzustellen, besitze ich noch den vollen Wortlaut der Lesung am 19.11.15. 

Viel Spaß!

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Die Tangobücher haben die Szene polarisiert: Hunderte von Rückmeldungen – inzwischen habe ich drei solcher Alben – umfassen das Spektrum von „selten so gelacht“ bis „da ist mir das Lachen vergangen“. In der Neuauflage heißt es dazu:

Mir war natürlich klar, dass ich ein sehr subjektives und pointiertes Buch geschrieben hatte – aber was wäre die „ernsthafte“ Alternative dazu gewesen? Sollte ich – wie in der Tangoszene hierzulande nicht unüblich – einige Wochen oder Monate in der argentinischen Hauptstadt verbringen mit dem vorrangigen Zweck, anschließend per „Erfahrungsmimikry“ den erstaunten Daheimgebliebenen das „Mysterium des argentinischen Tango“ zu erklären – so als „frisch latinogetünchter Klugscheißer“?

Der Tango ist multikulturell – daher darf, ja soll man ihn auch vor dem Hintergrund der einheimischen Szene betrachten. Über einen Mangel an Eindrücken und Ideen zu diesem Thema konnte ich mich wahrlich nicht beklagen. Hunderte von Malen hatte ich erlebt, wie dieses mit Pferdeschwänzen und geschlitzten Röcken aufgebrezelte „Glückspaket Tango“ an der Basis, also bei den Lernenden ankam, sie in die Flugbahn von höchster Verzückung bis zu vernichtender Bruchlandung katapultierte. Leidvoll hatte ich erfahren müssen, wie oft genug die „Falschen“ blieben und die „Richtigen“ gingen, wie man also die Sensiblen und Kreativen frustrierte, während die Rezepteanwender zum grauenhaften Typus des „regelbewahrenden Tangofunktionärs“ mutierten. Daher habe ich das Buch für die Menschen geschrieben, welche ich gerne öfter (oder überhaupt) auf den Milongas gesehen hätte – und Schrammen bei denen in Kauf genommen, welche sich sonst eh wichtig genug machen können.

Es war mein Ziel, den Tangoleuten möglichst pragmatische Tipps und Informationen zu liefern. Aber ich geb‘s ja zu: Die Satire war ebenso beabsichtigt, und da sie schon mir derartig Spaß machte, hoffte ich, meine Leser würden sich die nüchternen Passagen antun in der Vorfreude auf die nächste Pointe.

Bis heute meinen manche, mein „Milonga-Führer“ enthalte eine Auflistung deutscher Tangoveranstaltungen mit Bewertungen wie Parkettqualität oder musikalischer „Dudelfaktor“. Wenn das so wäre, so antworte ich stets, müsste ich bei der Fluktuation in der Szene alle paar Monate ein neues Buch herausbringen und mich in der Zwischenzeit mit den Unterlassungsklagen von Tangoveranstaltern herumschlagen…

Mein Buch ist eine Art „Reiseführer“ durch die Welt des Tango, mit Kapiteln zu allen wichtigen Fragen wie Gepflogenheiten auf Milongas, Unterricht, Musik, Tanztechnik und vielem mehr.

Wir haben vereinbart, meine Lesung an der Länge einer Tanda zu orientieren. Daher nun drei „Gustostückerl“ aus meinem Buch: 

Kein Thema wird vor und hinter den Kulissen so heiß diskutiert wie der Selektionsfaktor Nummer eins beim Tango: Das Auffordern regelt schließlich den Zutritt zur Tanzfläche.

Daher nun einige – nicht ganz satirefreie – Tipps für Frauen, um aufgefordert zu werden:

So kommt man an den Mann! 

·        Den manischen Betätigungszwang eindämmen! Halten Sie es mal eine halbe Stunde allein auf Ihrem Stühlchen aus, anstatt unentwegt von einer Gesprächspartnerin zur anderen, zur Bar bzw. aufs Klo zu rennen! (In oberpfälzer Dialekt: „Wäi a legerte Henn“) Möglicherweise soll das die coole Botschaft transportieren: „Ich bin so beschäftigt, dass ich gar nicht zum Tanzen komme!“  Wundert Sie dann das Ergebnis?

·        Nicht statuenhaft und mit grimmiger Miene in einen Drei-Meter-Schal wickeln, so gar keinen Kontakt suchen und die optische Information aussenden: „Ich weiß, dass ich unattraktiv bin und schlecht tanze, daher wird mich sicher keiner auffordern!“

·        Mehr Selbstvertrauen zeigen! Dem Giga-Tänzer, welcher einen Neuling wählt, reichten zuvor einige kurze Blicke aufs Parkett, um zu wissen, worauf er sich einlässt. Die zaudernde Reaktion „Ich bin aber noch Anfängerin“ ist somit kontraproduktiv. (Ich beantworte diese meist mit dem Satz: „Das ist mir schon klar!“)

·        Einen exponierten, gut ausgeleuchteten Sitzplatz suchen! (Die im Dunkeln sieht man nicht…)

·        Mit Männern (nicht mit Frauen!) sind Smalltalks anzuraten, da hierbei eine Tanzaufforderung herausspringen könnte. Aber nun nicht penetrant einem Alphatänzer nach dem anderen auf die Pelle rücken und zutexten, falls frau auf einen Rest an weiblicher Solidarität Wert legt!

·        Keinesfalls mit Telekommunikations-Geräten herummachen (auch nicht zum Herbeirufen besserer Tänzer) – diese gerade bei den Jüngeren verbreitete Unsitte ruft bei mir stets die Frage hervor: „Wo hat die gerade ihre Gedanken – will sie jetzt telefonieren, simsen, surfen oder tanzen?“ Also, Ladies: Das bläuliche Leuchten wollen die Tangueros in euren Augen sehen und nicht auf dem Mobilfunk-Display!

·        Füße sichtbar platzieren! Daran erkennt ein erfahrener Tänzer nämlich, ob es sich um einen nicht tanzenden Gast (Camel-Boots für Höhen ab 1500 m  oder Riemchensandalen bis 100 m Strand-Entfernung), eine Anfängerin (flache Halbschuhe oder Turnschläppchen), eine Nuevo-Tanguera (Sneakers) oder eine typische Tangofrau (Tanzschuhe mit Absatz) handelt.

·        Blick zur Tanzfläche, dem vorbeischwebenden Wunschtänzer ein Lächeln schenken (tunlichst, wenn der seinen Supergancho endlich hingekriegt hat)!

·        Männer und Hunde sind ja soo sensibel – daher für jede Kleinigkeit (wie einen halbwegs akzeptablen Tanz) überschwänglich loben, dann holt Bello auch immer wieder das Stöckchen und Karlheinz seine Dame!

Beim letzten Tipp möchte ich meine Frau zu Wort kommen lassen:

„Seit ich es gelassen abwarten kann, ob mich andere Tangueros auffordern, bekomme ich viel mehr Tanzeinladungen.“ 

Merke: Unglücklichsein schreckt ab!

Als wir vor 16 Jahren mit dem Tango anfingen, hatte er den Charakter einer Subkultur, inzwischen ist er zur Branche geworden. Es gibt ein riesiges Angebot von Festivals, Kursen, Workshops, Tangoreisen – natürlich inklusive Tanzschuh- und Kleiderverkauf. Wie nützlich ist das alles?

Wir lernen Tango  

„Im Tangounterricht lernt man Tango tanzen“: Dieser Satz klingt ebenso plausibel, wie er inhaltlich grottenfalsch ist! Wenn Sie meinen, durch 90 Minuten Instruktionen pro Woche würden Sie merkliche Fortschritte machen, sind Sie schief gewickelt: Diese Einstellung macht eventuell Ihren Tangolehrer glücklich, Sie aber nicht!

Im Kurs kriegt man etwas gezeigt - Tanzen dagegen lernt man nur durch Tanzen, fast egal wo, nicht aber egal, wieviel! Im Unterricht bekommen Sie alles Mögliche: Erklärungen zur Technik, zum gegenseitigen Erspüren von Bewegungen (hoffentlich viele), choreografische Elemente (vulgo: „Schritte“ – hoffentlich wenige), Kritik und (möglichst viel mehr) Ermutigung. Wenn es gut geht, können Sie diese Anregungen ein paar Mal ausprobieren – für die anschließenden paar tausend Versuche sind Sie selbst verantwortlich!

Das Elend vieler Tangokurse besteht für mich auch darin, dass oft „Schritte“ erklärt werden, das heißt, die Tangobewegung wird auf das Setzen der Füße fokussiert. So sieht es dann auch aus: Während die übrigen Körperteile irgendwo hängen, wird der Tango zu einer Folge von Bodenkontakten.

Ein Tipp: Konzentrieren Sie sich auf Ihre Körpermitte und versuchen Sie, Schritte zwar schnell anzusetzen, aber dann, wenn die freien Beine abgehoben haben, möglichst lange in der Luft zu bleiben (also 1 Millimeter über dem Boden). Dabei machen Sie den gewünschten Bewegungsweg, und erst, wenn es gar nicht mehr geht, suchen Sie wieder den Bodenkontakt. Sie verlängern also die Zeit vor dem Belastungswechsel: Das nennt man „Schweben“! Die dahinter stehende Philosophie liegt in dem Satz:

„El Tango pasa entre los pasos“ - „Der Tango geschieht zwischen den Schritten.“

Soll heißen: Die „Schritte“ sind nichts weiter als die der Schwerkraft geschuldeten Bodenberührungen, da wir nicht fliegen können. Versuchen aber sollten wir es, indem wir die Phasen in der Luft verlängern. Damit wird das Unterrichtskonzept der „Figuren“ auf den Kopf gestellt (oder auf die Füße?): Entscheidend sind die Körperaktionen, und die finden halt zwischen den Bodenberührungen statt! 

Und: Beobachten Sie herausragende Tanzpaare – falls Sie auf Ihrer Milonga keine finden, notfalls auf tausenden von „Youtube“-Videos! Achten Sie aber nicht auf die „Schritte“, sondern auf grundlegende Techniken wie die Ruhe im Oberkörper, das einspurige Gehen, die Klarheit der Bewegungen, das Timing usw. In meinem Buch finden Sie hierzu viele Anregungen! 

Es gibt eben nicht den „einen, richtigen“ Weg zum Tango – jeder muss seinen eigenen finden. Die wichtigsten Hilfsmittel des Tänzers sind Schuhe, Internet und Navigationsgerät: Machen Sie sich auf die Suche nach neuen Lehrern, anderen Übungspartnern und Milongas! Draußen wartet ein ganzes Weltkulturerbe: interessantere Lokale, bessere Musik, tollere Tänzerinnen und Tänzer – und darauf wollen Sie zugunsten Ihres „Tangostammtisches jeden Freitag“ verzichten? 

Zu den Gründerzeiten des Tangos gab es keinen „Unterricht“ – man traf sich untereinander, übte und tauschte Ideen aus. Tanzte man damals so viel schlechter? 

Warnung! Verlassen Sie den Tangounterricht umgehend, wenn sich folgende „Reizvokabeln“ häufen:

·        falsch / richtig

·        Wir lernen zunächst die Schritte!

·        Erstmal ohne Musik, ich zähle bis acht!

·        Die Frauen in diese Ecke, die Männer gegenüber…

·        Der Mann führt, die Frau folgt.

·        Wird unserer Erfahrung nach in Buenos Aires so nicht getanzt!

·        Wo habt ihr denn das her?

·        Soll das etwa Tango sein?

Frage: Was haben ein Kondom und ein Tangokurs gemeinsam? Manchmal braucht man’s halt, aber ohne ist es schöner!

Die Sinnfrage zum Schluss

Warum also geht man zum Tango?

Der Autor Raimund Allebrand schreibt: „Wer für länger im Tango landet, macht entweder eine Psychotherapie, hat eine solche hinter sich oder hätte sie dringend nötig.“ 

Allgemein glaube ich, dass die Tangoszene von einer immensen Neugier geleitet wird. So habe ich es oft erlebt, dass bei der Eröffnung einer Milonga der Laden rappelvoll war, ebenso bei Events wie Livemusik oder einer „Tango-Show“ – und zwar unabhängig von Stil oder künstlerischem Niveau des Angebots. In der Folge herrschte dann fallweise wieder gähnende Leere. 

Neben dem „Event“ ist sicherlich der „soziale Kuschelfaktor“ entscheidend, und zwar gerade außerhalb der Tanzfläche. Man sucht die „Nestwärme“ der Szene (wobei man gegen fallweise kühlere Temperaturen erstaunlich resistent ist), das allwöchentliche Treffen mit Bekannten, obgleich (oder weil?) man von ihnen kaum mehr weiß als den Vornamen. Das Wohlgefühl im festen Paar hingegen ist offenbar weniger wichtig, sonst könnte man ja zu Hause im Wohnzimmer tanzen. Wenn also „nichts los ist“, kommen beim nächsten Mal noch weniger Gäste! Umgekehrt ist dieser Teufelskreis noch eindrucksvoller: Sind (aus welchem Grund auch immer) viele Besucher da, so steigert sich jener Effekt bis zur Überfüllung: 

Prinzip: Man rennt auf eine Milonga, weil alle hinrennen.

Insbesondere den „erotischen Kuschelfaktor“ sollte man nicht unterschätzen. Lange Zeit konnte ich es nicht verstehen, wieso viele Tangomenschen nach einer Lernphase so gar kein Interesse mehr zeigten, ihre tänzerischen Fähigkeiten weiter auszubauen, sich mit der Musik oder gar dem kulturellen Hintergrund des Tango zu befassen. Offenbar reichen etlichen Besuchern gewisse bewegungsmäßige Grundfertigkeiten als Eintrittskarte (oder böse formuliert: „Lizenz zum Fummeln“) für Veranstaltungen, auf denen man ziemlich rasch und unkompliziert in engen Kontakt zum anderen Geschlecht kommt. So holt man sich seine regelmäßige, von außen benötigte Hormondosis ab (plus den neuesten Tangotratsch) – und das war’s dann auch schon…

Keinesfalls unterschätzen sollte man die Rolle der konkreten Partnersuche! Gerade auf Milongas mit eher jüngerem Publikum fällt mir immer wieder eine sehr angespannte, schwer zu beschreibende Stimmung auf. Am heftigsten ist der hormonelle Overload auf der Tanzfläche zu spüren: Viele Paare bewegen sich völlig autistisch, die Männer – mit Blick nach unten – total von den zu drehenden Figuren absorbiert, die Partnerinnen ganz auf die Vermeidung von „Fehlern“ sowie ihre (vermeintlich) laszive Ausstrahlung konzentriert.

Satire: Ein ähnliches Phänomen beobachte ich jedes Frühjahr in unserem Wintergarten, wo hormonbesoffene Singvögel (trotz Raubvogelsilhouette) öfters in voller Fahrt gegen eine Scheibe knallen…

Der schon zitierte Autor und Psychologe Allebrand schreibt dazu: „Tango hat das Image des Macho – also kommen Männer, denen Maskulines fehlt; und er gilt als enorm weiblich – folglich treten Damen auf, die mit der Fraulichkeit ihre Probleme haben.“ Er konstatiert, „dass sich der Tango als symbolischer Ersatz für emotionale Defizite nicht nur anbietet, sondern geradezu aufdrängt. (…) Tango verspricht Leidenschaft ohne Leiden und Erotik ohne Hingabe – mithin ist er anziehend auch für den, der zu beidem nicht fähig ist.“ 

Sich dergestalt die „Sinnfrage“ zu stellen, ist gewiss „harter Stoff“, könnte einen aber weiter bringen als die unreflektierte Dauerteilnahme am Ritus der „Wallfahrt nach Buenos Aires“…

So landen wir zum Schluss wieder bei der Ausgangsfrage: Warum also geht man zum Tango? Auf keinen Fall möchte ich irgendjemand die „richtigen Motive“ vorschreiben, sondern lediglich meine Sichtweise zum Nachdenken anbieten: Tango ist kein Vehikel, weder für Ruhm, Geld noch Liebe. Und schon gar nicht ist er eine Ersatzphilosophie oder -religion. Tango ist eine wunderbare Musik und ein faszinierender Tanz mit einem vielschichtigen kulturellen Hintergrund. 

Fazit: Tango ist einfach Tango, sonst gar nix. Reicht doch, oder?

Und ein Leben ohne Tango ist möglich, aber sinnlos…

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P.S. Wer es noch nicht kennen sollte: Von einer Buchlesung gibt es auch ein professionell hergestelltes Video:


Kommentare

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