Tango-Anekdoten VI

 

Heute geht es vor allem um die fragile Tangobeziehung zwischen Männern und Frauen. Nach meinen Erlebnissen kann ich nur sagen: Welches Geschlecht am meisten spinnt, kann ich auch nach über 20 Jahren Tango nicht einschätzen.

Frauenmangel

war zu unseren Anfangszeiten ein äußerst seltenes Phänomen – im Schnitt kam damals auf zwei Tänzerinnen ein Tanguero. Das hat sich mittlerweile ziemlich angeglichen. Klar, wenn man gerade Anfängerinnen und / oder ältere Damen stundenlang sitzen lässt, ist es kein Wunder, dass viele weibliche Wesen sich ein anderes Hobby suchen. Zudem, so meine ich, befriedigt die heutige, sehr enge und reduzierte Tanzweise zu eintöniger Musik eher das männliche Bedürfnis nach „Stehkuscheln“, während die Tangueras, da mit besserem Musikgefühl ausgestattet, es oft gerne abwechslungsreicher und abenteuerlicher hätten.  

Einen Männerüberschuss erlebte ich bevorzugt, wenn ich mal alleine unterwegs war. In einer solchen Situation saß ich mit zwei Leidensgenossen zusammen; wir philosophierten über die ungewöhnliche Situation, während um uns herum die Kollegen schon die mentalen Startblöcke für den Run auf die wenigen Tänzerinnen beim Musikwechsel einschlugen.

Mein Bekannter zur Linken meinte: „Im Wilden Westen würden wir jetzt rausgehen und uns duellieren“, während der Gesprächspartner zu meiner Rechten, da mit Begleiterin erschienen, der Situation etwas Positives abgewinnen konnte: „An solchen Abenden fährst du wenigstens mit einer total zufriedenen Partnerin nach Hause!“

Nett war auch die Einschätzung eines anderen, ebenfalls mit Dame erschienenen Tänzers: „Ist doch gut, wenn man was zum Tauschen dabei hat!“ Ein Milonguero bezeichnete Frauen, mit denen er zum Tanzen ging, gerne als „Proviant“. Für den „kleinen Hunger zwischendurch“ hat man also schon mal was dabei…

 

Nie sollst du mich befragen 

Der frühere Männermangel löste bei Tänzerinnen oft schwerste Depressionen wegen stundenlangen Herumsitzens aus. Eine Tangofreundin nannte solche Milongas „ein teures Mineralwasser“. Den Frauen dann Trost zu spenden ist wahrlich nicht leicht. Selbst Sätze wie „Was  wäre dir denn hier wirklich entgangen?“ führen kaum zum Ziel. Also versuchte ich, Tangueras mit folgendem Joke zu erheitern: „Welche beiden Fragen darfst du beim Tango nie stellen? Warum tanzt der nicht mit mir? Und zweitens: Warum tanzt der mit mir?“

Beides kann beim Tango ganz verschiedene Ursache haben – auch bei Tangueras. Daher ist auch die Behauptung Käse, der Cabeceo würde nur Paare zusammenführen, welche wirklich freiwillig miteinander aufs Parkett wollen. Aber vielleicht denkt sich eine Tänzerin beim Zunicken auch: „Bevor ich noch länger rumsitze, tanze ich halt mit diesem Idioten!“

Eine Tänzerin meinte einmal bei derlei Gesprächen, für sie gebe es nur eine verbotene Frage: „Wie war ich?"

 

Reden ist Silber…

Ich weiß nicht, wie viele schöne Tandas mir in über 20 Jahren schon „verquatscht“ wurden, wenn sich Bekannte plötzlich neben mich setzten und ein längeres Gespräch begannen. Dass ich gerade drauf und dran war, jemanden aufzufordern, kam ihnen nicht in den Sinn. Das lässt sich aber noch steigern, wenn männliche Bekannte am Ende der Musikfolge aufstehen und sich mit den Worten „Jetzt muss ich mal wieder tanzen“ auf genau die Tanguera stürzen, die ich schon im Visier hatte.

 

Ob blond, ob braun

Aus mir unerfindlichen Gründen suchen sich ältere Tänzerinnen beim oft langem Herumsitzen zur Unterhaltung gerne jüngere Kolleginnen. Befinden sich die beiden somit nebeneinander, passiert ihnen umgehend das Erwartbare: Die Jüngere wird aufgefordert, die andere bleibt wieder allein. Das kann man öfters wiederholen.

Ich mag mich in solchen Situationen nicht gerne als alter Depp profilieren, der natürlich die junge Blonde mit dem Schmollmund auffordert, und bitte daher im Zweifel zuerst die Ältere um einen Tango.

Oft genug ist das tänzerisch die bessere Wahl. Ich erinnere mich an einen Abend, wo ich einen Kollegen beobachtete, als er auf die attraktivere Tänzerin zusteuerte, während ich in seinem Windschatten ihre Kollegin aufforderte, die sich als hervorragende Tänzerin entpuppte. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich genüsslich meinen Kameraden, der sich verzweifelt mit einer ziemlich bockbeinigen jungen Dame abquälte. 

Manchmal kann sich höfliches Verhalten durchaus lohnen!

 

Sitzen bleibende Frauen

sind mir ein Ärgernis, das ich irgendwann nach Möglichkeit durch eine Aufforderung beende. Oft ergaben sich dadurch wunderbare Tänze, die bewiesen, wie dämlich die üblichen Auswahlkriterien der Tangueros sind (Aussehen, Bekanntheit).

Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem meine Partnerin derart überirdisch gut tanzte, dass ich es nicht fassen konnte, wieso man sie zwei Stunden lang ignoriert hatte. Einen gewissen Gegensatz zu ihrem hoch eleganten Tanzstil bildete ihr zutiefst bayerischer Dialekt. Nach einigen Traumtangos meinte sie: „Jetz‘ dad ich nua no gern wiss’n, wia du Milonga tanzt!“ Das Glück wolle es, dass als nächstes Stück „Tango nero“ von Cáceres erklang. Wir flogen nur so übers Parkett! Das Schlusswort der Tanguera klang wieder landestypisch: „Mei‘, host du an Schwung drauf!“ 

Vor langer Zeit suchten etliche Damen ihr Heil im Angriff, indem sie von sich aus Tänzer aufforderten – ein Verhalten, das wir Männer damals ganz normal fanden. Klar, bei manchen Tänzerinnen stellte sich berechtigt die Frage: „Fordert die keiner auf, weil sie niemand kennt – oder weil sie alle kennen?“

Jahrelang war ich das Lieblingsopfer einiger ziemlich unterirdischer Tangueras, von denen ich pro Abend zu mindestens einem Pflichttanz ausersehen wurde. 

Eine ziemlich bejahrte Dame erschien auf der örtlichen Milonga stets erst nach 22 Uhr, da sie vorher – wie sie oft erzählte – noch im Fernsehen den „Tatort“ gucken musste. Bei der nächsten Milonga-Runde war ich dann dran: Mir fiele bei dieser Tanzart immer so viel ein, so ihre Begründung. Glücklicherweise erfuhr „Queen Mum“, wie wir sie nach ihrem Bewegungsmuster nannten, nicht alles davon…

Ähnlich penetrant auf den Zeiger ging mir eine andere Tanguera, die mich, lange vor der Propagierung des Cabeceo, ausdauernd und intensiv anzustarren pflegte. Half das nichts, schritt sie zur direkten Aufforderung. So gegen halb Zwölf war ich meist ein zweites Mal dran. Begründung: Sie müsse jetzt gleich heim, da sie nicht zu spät schlafen gehen wolle. Offenbar führte also ihr Weg ins Bett unweigerlich über einen Tanz mit mir. 

Bekanntlich halte ich nichts von Körben. Das brachte mir im Lauf der Zeit sicherlich eine dreistellige Zahl grauenhafter Tänze ein. Meine Hoffnung, die betreffenden Damen müssten doch irgendwann merken, das mir der Tanz mit ihnen null Spaß machte, erfüllte sich oft erst nach Jahren. Dennoch habe ich dies immer als Tribut an den Tango hingenommen. Wenn er nur Vergnügen bereiten würde, wäre er vermutlich längst verboten…

Dennoch packte mich gelegentlich die Verzweiflung. Einmal sagte ich zu einer Tangofreundin, die mich zu einer Milonga begleitete, kurz vor dem Eingang: „Wenn heute die … wieder da ist, erschlage ich sie.“ Darauf meine Bekannte: „Gut, ich helf dir dann, die Leiche im Hof zu vergraben.“ 

Eine sehr gefragte, heute noch existierende Milonga in einer benachbarten Großstadt besuchten wir nur anderthalb Mal. Es herrschte dort eine geradezu gespenstische Stimmung – so als ob jeder jeden belauere. Kein Zweifel: Dort wurde „Rangordnungstango“ getanzt. 

Am zweiten und letzten Abend fiel mir ein Damenpaar auf, das seit Beginn noch kein einziges Mal getanzt hatte und lediglich in Gespräche vertieft war. Nach längerer Zeit forderte ich die eine der beiden auf. Ihre hoheitsvolle Reaktion: „Gerne, wenn du bitte wartest, bis wir unser Gespräch beendet haben. Du kannst dich ja so lange zu uns setzen.“

Meinen ersten Impuls, gleich wieder zu gehen, verwarf ich. Das konnte noch spannend werden! Gegen Ende des nächsten Tangos erhielt ich die Tanzerlaubnis. Als nach wenigen Takten Schluss war, meinte sie: „Das war aber ein kurzes Stück.“ Meine Replik „Wenn wir Glück haben, kommt noch eins“ quittierte sie mit stoischer Miene. Mitten im nächsten Tanz musste  sie kurz unterbrechen, weil sie nun plötzlich die Brille in der Frisur störte, die sie umständlich herauspulte und auf einem Tisch ablegte. In der folgenden Musikpause war ein Umzug an eine andere Stelle des Parketts angesagt. Begründung: „Hier zieht’s!“ Nach dem zweieinhalbten Tango war dann Schluss: „Du musst mich entschuldigen, ich habe noch eine Verabredung.“

Nachdem ich mich mittels einer tollen Tanzrunde mit Karin wieder halbwegs eingekriegt hatte, verließen wir den „Tango-Zauberberg“. Eine gerade eintreffende Tangofreundin fragte uns am Ausgang verblüfft: „Was, ihr wollt schon gehen?“ Warum wir es denn gar so eilig hätten? Meine Antwort: „Ein Psychiater könnte hier ein Vermögen verdienen. Warum diese Leute auch immer hier sind – zum Tanzen kann es nicht sein!“

Fortsetzung folgt!

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