So wie Sophie

 

„Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.“

(aus dem 5. Flugblatt der „Weißen Rose“)

 

Die Geschichte mit der jungen Dame, die neulich auf einer „Querdenker“-Demo meinte, sich mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl vergleichen zu sollen, dürfte politisch Interessierten inzwischen bekannt sein. Näheres kann man in der Presse nachlesen:

https://www.tagesspiegel.de/politik/ich-fuehle-mich-wie-sophie-scholl-querdenken-rednerin-vergleicht-sich-mit-widerstandskaempferin/26647396.html

https://www.sueddeutsche.de/politik/hannover-sophie-scholl-querdenken-coronavirus-1.5123595   

Man muss anerkennen: Die Sprecherin hat sich wirklich alle Mühe gegeben, dass an ihrer Rede bis ins Detail gar nichts stimmt – nicht einmal der Satz  „Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel“. Die Münchner Studentin hätte ihren 22. Geburtstag erst im Mai 1943 feiern können. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz des berüchtigten Roland Freisler verurteilte sie jedoch bereits am 22. Februar 1943. Sie wurde noch am selben Tag durch das Fallbeil hingerichtet.

Ganz nebenbei: Berufung oder Revision waren damals nicht möglich – im Gegensatz zu heute, wo man jeden Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Maskenpflicht mit Widerspruch anfechten kann. Und dann entscheiden unabhängige Richter und keine Schergen eines Unrechtssystems.

Ich mag die junge Rednerin in Hannover weder mit Namen nennen noch die hinlänglich bekannten Zitate wiederholen, da sie beides nicht verdient. Wahr ist aber: Wer sich öffentlich hinstellt und ins Mikrofon spricht, muss auch Kritik aushalten – vielleicht nicht jede, aber viel und sehr deutliche.

Ungleich mehr Aufmerksamkeit verdient die damalige Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. In den Medien fallen meist nur die Namen der Geschwister Sophie und Hans Scholl sowie ihres Studienkollegen Christoph Probst, alle drei am selben Tag von den Nazis ermordet.

In Wahrheit reichten die Aktivitäten der Widerstandgruppe aber viel weiter. Es gab eine große Zahl von Unterstützern, welche die sechs verschiedenen Flugblätter der Weißen Rose“ in Süddeutschland, aber auch bis Berlin und Hamburg sowie in Österreich verbreiteten. Kontakte bestanden auch zur Wehrmacht und zur katholischen Jugendbewegung. Das sechste Flugblatt gelangte auf Umwegen nach England und wurde später in großer Zahl von britischen Maschinen über Deutschland abgeworfen.

Daher ist die Zahl der Justizopfer wesentlich größer: In einem zweiten Prozess wurden die Studenten Willi Graf und Alexander Schmorell sowie Professor Kurt Huber am 19. April 1943 zum Tode verurteilt und in der Folge hingerichtet. Weiterhin erhielten zahlreiche Helfer und Mitwisser Haftstrafen bis zu 10 Jahren. Auch Sophie Scholls Eltern wurden monatelang interniert.

Der Widerstand war vor allem christlich und humanistisch motiviert. Nachdem Sophie Scholl zunächst wegen des Gemeinschaftsideals im „Bund deutscher Mädel“ sogar Scharführerin wurde, wandte sie sich später christlich geprägten Gruppen zu. Sie verstand nicht, wieso eine jüdische Freundin im BDM nicht mitmachen durfte, warum die Bücher von Heinrich Heine oder Stefan Zweig verboten waren.

Entscheidend waren vor allem die Erfahrungen von Hans Scholl, Willi Graf und Alexander Schmorell an der Ostfront, wo sie auch von Massenhinrichtungen erfuhren. Ab Juli 1942 wurden Tausende von Flugblättern kopiert, verteilt und in Briefen verschickt. Ein weiterer Antrieb war die verlorene Schlacht um Stalingrad  im Januar 1943, in der etwa 150000 deutsche und doppelt so viele sowjetische Soldaten starben. 

In Sophie Scholls Gestapo-Vernehmungsprotokoll ist zu lesen:

„Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergießen zu unternehmen.“

https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/weisse-rose/61044/verhoerprotokoll-sophie-scholl?p=1

An der Münchner Universität schien damals Widerstand in der Luft zu liegen: Bei der 470 Jahr-Feier kam es zu heftigen Studentenprotesten, nachdem der Gauleiter Paul Giesler sich heftige Ausfälle gegen die „Drückeberger“ und vulgäre Anspielungen über die Studentinnen geleistet hatte: Sie sollten, statt sich herumzutreiben, lieber „dem Führer ein Kind schenken“, er werde seine Adjutanten vorbeischicken. Die Revolte ging aber rasch vorüber. 

Zwei weitere Personen verdienen es noch, beleuchtet zu werden: Bekanntlich wurden Hans und Sophie Scholl vom Hörsaaldiener und Hausmeister Jakob Schmid ertappt, als sie Flugblätter in den Lichthof der Münchner Universität warfen. Dieser lieferte sie der Universitätsleitung aus.

Als ihm die Amerikaner 1945 den Prozess machten, gab er an, lediglich seine Pflicht getan zu haben. Der Inhalt der Flugblätter habe ihn nicht interessiert – es sei eben verboten gewesen, solche zu verteilen. Daher legte er zweimal Berufung gegen das Urteil (5 Jahre Arbeitslager und Wegfall der Rentenansprüche) ein. Schließlich wurde er vorzeitig wieder auf freien Fuß gesetzt und bekam auch seine Rente. 

Der Gute war übrigens seit 1933 Mitglied der SA sowie seit 1937 der NSDAP und erhielt eine Belohnung von 3000 Reichsmark plus eine Beförderung. Bei einer von der Uni München ausgerichteten Jubelfeier zur Zerschlagung des studentischen Widerstands jubelten ihm hunderte Studierende zu, wofür er sich mit dem Zeigen des Hitlergrußes bedankte.

Die zweite Person ist der Scharfrichter Johann Reichhart, der dieses Amt in Bayern und teilweise auch außerhalb der Landesgrenzen von 1924 bis 1946 ausübte. Er exekutierte also im Namen der Weimarer Republik, des Dritten Reiches und auch der amerikanischen Besatzungsmacht insgesamt über 3000 Menschen. Ende Mai 1946 erfuhr er, dass er wegen einer Namensverwechslung zwei Unschuldige hingerichtet hatte. Er weigerte sich hinfort, dieses Amt auszuüben, lernte allerdings den amerikanischen Sergeanten John C. Woods an, der die Verurteilten des ersten Nürnberger Prozesses exekutierte.

Spezialisten werden halt immer gebraucht. 

Worüber ich aber noch lange nachdenken werde: Der Henker Reichhart äußerte später, er habe noch nie jemanden so tapfer sterben sehen wie Sophie Scholl.

Hätte jemand von uns heute diesen nahezu unfasslichen Mut aufgebracht? Ich sicher nicht.

Dazu kommt ja, dass diese Studenten und ihr Professor gar nicht besonders unter den Schikanen des Nazi-Regimes litten – sie lebten alle in gutbürgerlichen Verhältnissen. Was sie antrieb, war das sinnlose Sterben um sie herum. Dem haben sie sich entgegengestellt – auch unter Einsatz ihres eigenen Lebens.

Im Vergleich dazu verdient dieses Häufchen Unglück, welches sich neulich auf einer Querdenker-Bühne produzieren musste, kein Bild, keine Namensnennung und erst recht kein weiteres Zitat dessen, was es sich da zurechtgestammelt hat. 

Vielmehr haben das vor allem die verdient, welche sich vor 77 Jahren gewaltlos – nur mit der Kraft des Wortes – einem Unrechtsstaat in den Weg stellten und dafür mit ihrem Leben bezahlten.  

So wie Sophie.


Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fe_Rose

https://de.wikipedia.org/wiki/Sophie_Scholl

https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Giesler

https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Schmid_(Pedell)

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Reichhart

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