Tango-Anekdoten V

Weiter geht es mit seltsamen, verrückten und lustigen Tangogeschichten – alle selbst erlebt:

Zwei Welten

waren auf unserer einstigen Milonga nur durch eine Tür getrennt. In der Pfaffenhofener Tanzschule lief im großen Saal zur selben Zeit ein Übungsabend für Standardtänzer. Öfters lugten dortige Tanzende durch die Tür, um das komische Volk zu beäugen, welches sich da zu Klängen vom La Plata drehte. Geblieben ist von denen aber kaum jemand.

Mehr als einmal wurden wir gefragt, wie man denn mit Fremden so eng und auch noch verschwitzt (iih!) tanzen könne. Ein Paar floh zurück zum sicheren Standardufer mit den Worten: „Bei euch gibt es ja gar keinen klaren Rhythmus!“

Umgekehrt drehten Tangoleute durchaus gelegentlich im Nachbarraum einige Standard-Runden. Ist halt ein Vorteil, wenn man beides kann...

 

Mit fremder Zunge

Bei einem aus den USA stammenden Tänzerpaar, nennen wir sie einmal Jill und Jack, nahmen wir gelegentlich an Practicas in einem sehr geräumigen Privathaus teil. Dumm nur, dass die dortigen Gastgeber den Tango eher als Anlass zu gesellschaftlichen Treffen ansahen. Mehr als einmal verzögerte sich der Kursbeginn erheblich, da bei den ersten Tangoklängen plötzlich Tabletts mit Getränken und leckerem Essenskram hereingetragen wurden.

Weil die Musik wohl beim Essen störte, wurde sie lieber ausgeschaltet. Einmal dauerte das gemütliche Beisammensein so lange, dass hinterher niemand mehr Lust auf eine Practica hatte. Kurz vor elf verabschiedeten sich die meisten Gäste. Vor der Tür fragte ich meine Frau: „Gehen wir heute noch zum Tanzen?“ 

Unsere Lehrer waren hervorragende Tänzer, auch im Standardbereich. Nie werde ich vergessen, wie Jack einmal Karin aufforderte und mit ihr erfolgreich Tangobewegungen vollführte, die weder ihr noch mir bekannt waren.

Jacks Hinweise klangen sehr amerikanisch, beispielsweise „Linke Fuss, Doriss!“ oder „Schaut mal an, Jills Hinterbein!“ Einen seiner Sprüche benutzen Karin und ich stets, wenn wir auf einer Milonga wieder einmal Paare sehen, die – im Kürzel von Standard-Wertungsrichtern, „AT“ tanzen („außer Takt“): „Männ’r, hört mal an, wou is die Takt?“ 

Nachdem die Lehrer uns zunächst, wie damals üblich, auf die „Achterbasse“ dressierten, kam Jack eines Tages mit einem „New Concept“ an: Eine geschlagene Viertelstunde ließ er die Herren von einem Bein aufs andere pendeln, um dann – mit einem der Füße beginnend – voranzuschreiten. (Heute würde man „Caminar“ sagen.)

Leider wechselten die Anweisungen, nach wieviel Mal Pendeln dies mit welchem Fuß auszuführen sei. Schließlich fragte mich mein Nebenmann: „Nach wieviel Mal Pendeln gehst du jetzt vorwärts?“ Meine bereits leicht genervte Antwort: „Wenn’s mir zu blöd wird!“ 

Die Kundschaft der beiden zeichnete sich im Schnitt nicht direkt durch hohe tänzerische Begabung aus, was manche Übungsstunden sehr unterhaltsam machte. Ich erinnere mich an eine äußerst quirlige, kleine Südamerikanerin, die äußerst selbstständig tanzte. Ein Kurs-Kollege drückte es so aus: „Wennst bei der auf’n Ocho-Knopf drückst, hört die gar nimmer auf.“

 

Milongas zum Abgewöhnen

Oft genug gerieten wir bei unseren Tangofahrten auf derartig gruselige Veranstaltungen, dass ich mich heute noch frage, wie der Tango in Deutschland überleben konnte. Nichts beweist die Attraktivität von Musik und Tanz mehr als die Tatsache, wie wenig ihm fürchterliche Rahmenbedingungen schaden konnten!

Bei einer unserer Tangoreisen gerieten wir auf eine Milonga, welche als angesagteste der Stadt galt. Nie wieder haben wir eine derartig frostige und hochnäsige Atmosphäre wahrgenommen. Uns gelangen den ganzen Abend über weder verbale noch gar tänzerische Kontakte.

Als wir am nächsten Abend auf einer anderen Veranstaltung in dieser Stadt tanzten, wurden wir weit herzlicher begrüßt. Als wir die Gäste dort auf die Stimmung der anderen Milonga ansprachen, antwortete man uns: „Da habt ihr noch Glück gehabt – das vorletzte Mal gab es eine Schlägerei zwischen zwei Tänzern!“

Ein anderer Tanzabend versprach Mannigfaltiges: Begrüßungssekt, original argentinisches Grillen im lauschigen Innenhof nebst Salsashow. In Wahrheit standen auf dem Hof lediglich geparkte Autos, und nach Genuss eines lauwarmen Supermarkt-Proseccos erblickten wir auf der Tanzfläche lediglich einige Anfängerinnen, welche wegen des Männermangels versuchten, einander paarweise übers Parkett zu schleifen.

Nach zwei Stunden erschien der Chef, ein äußerst missgelaunter Kubaner, mit einer Großpackung Grillwürstchen, die dann auf einem Minigrill zwischen zwei geparkten Autos erhitzt wurden. Anschließend hörten wir, die Salsashow falle aus, da der hierfür vorgesehene Studiobetreiber gerade beleidigt nach Hause geradelt sei.

Eine andere Milonga war kulinarisch kaum interessanter: Bei unserer Ankunft ein leeres Parkett, speisende Paare und kaum hörbare Musik – die hätte wohl bei der Unterhaltung gestört. Wein und Sekt waren schon alle, übrig bleib lediglich selbstgesprudeltes Mineralwasser. Über den fast schon aufgegessenen Nahrungsmitteln prangte ein Schild: „Eintritt inklusive Büfett und Getränken 15 Euro“. Ich fragte anschließend den DJ: „Was kostet es denn mit Tango?“ Immerhin drehte er dann lauter!

 

Tango-Freaks

Mein ganzes Leben lang habe ich nicht so viele schräge Typen kennengelernt wie beim Tango. Ein kleine Auswahl: 

Jeder ordentliche Tangolehrer hat einen Lieblingsschüler, der die Ansichten des Meisters auswendig beherrscht und auf den Milongas einen Ehrenplatz zur Rechten des Gurus erhält. Einer davon, obwohl gewichts- und bewegungsmäßig nicht unbedingt tango-hochbegabt, fiel immer wieder durch höchst laut sowie fachmännisch geführte Dialoge mit seinem Herrn auf. Als das Gespräch einmal auf eine gerade in der Stadt weilende argentinische Startänzerin kam, fragte er seinen Chef: „Und, wie fühlt sich die so an?“

In meiner Anfängerzeit, in der ich noch mit „erlaubten“ und „verbotenen“, „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Schritten und Figuren haderte, half mir insbesondere das Vorbild zweier Tänzer, wie sie verschiedener nicht hätten sein können:

Der eine war klein und filigran, mit unglaublich schnellen und kreativen Bewegungen. Meine Art, Milonga zu tanzen, ist heute noch beeinflusst von seinen wirbeligen Aktionen. Er gab mir einmal einen Rat, den ich heute noch beherzige: „So lange die Frauen schnurren, gibt’s diesen Schritt!“

Der andere, mit der Statur eines übergewichtigen Preisringers, tanzte derart klar und zwingend, dass er mit jeder Tanguera klarkam. Ich fragte ihn einmal, wie er dies schaffe. Sein Tipp: „Beim Führ’n derfst dir nix scheiss’n!“ Als wir uns wieder einmal auf einer Milonga über den Weg liefen, allerdings beide auf dem Parkett, rief er mir nur zu: „Du springst heit wieder rum wia a Zieg’nbock!“

Mein bester Tangolehrer war der äußerst korpulente Sohn einer Tanzschulbesitzerin. Da der junge Mann eine Zeitlang eine dem Tango verfallene Freundin hatte, war er auch auf diesem Terrain sehr gewandt. Bei einer wöchentlichen Practica tanzte er uns jeweils am Anfang mit einer nichtsahnenden Schülerin eine Figur vor, die ihm wohl erst Minuten vorher eingefallen war. Manchmal schickte er auch die anderen Frauen vor die Tür, damit sie nicht mitbekämen, was die Männer dann führen sollten. Anschließend ging er zu einem anderen Unterricht oder eine rauchen.

Wenn er wieder zurückkam, tanzte jedes Paar eine andere Figur. Wenn ihn einer fragte, ob das so richtig sei, meinte er nur: „So ungefähr“ oder „Kann man auch machen“. Mit der Zeit merkten wir, dass es ihm gar nicht um eine spezielle Schrittfolge ging, sondern eher darum, bei uns Technik, Kreativität und Austausch zu fördern. Wir haben von diesen Abenden riesig profitiert, da wir miteinander übten anstatt ständig von einem Tanzlehrer bestrahlt zu werden.

Legendär waren seine Sprüche: Die Führung von Ganchos beschrieb er mit der Metapher „Methode Killerwal – abtauchen und angreifen“. Da er tänzerisch mit jeder Partnerin klarzukommen schien, fragte ich ihn einmal, was er mache, wenn eine Tanguera ständig nach hinten von ihm wegfalle. Grinsend erzählte er mir: Er sei in einem solchen Fall drei Tangos hintereinander nur nach vorn marschiert. Als ihn seine Partnerin fragte, wann denn mal etwas anderes komme, antwortete er ihr: „Wenn du aufhörst zu führen.“

Fortsetzung folgt!        


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