Die in der „falschen Rolle“ tanzen
Rein zufällig fand ich auf Facebook heute einen Text von Kira Makarova. Die Tangolehrerin, Veranstalterin und Showtänzerin lebt und arbeitet in Paris, wo sie eine Tangoschule gegründet hat.
Die Autorin beschreibt ziemlich schonungslos die Probleme einer Single-Frau im Tangogeschäft.
Ich habe ihren Artikel aus dem Englischen übersetzt:
Als professionelle Tangotänzerin und eine Frau, deren Hauptrolle zunächst in der einer Followerin bestand, war es extrem schwer, sich in der Tangoszene als Lehrerin und Künstlerin ohne einen festen Partner zu etablieren.
Obwohl wir heute von der Gleichwertigkeit beider Tanzenden sprechen, wird die Rolle des Führenden in der Tangowelt immer noch als „Hauptrolle" angesehen. Das heißt, wenn wir einen professionellen Leader ohne Partner neben eine professionelle Folgende ohne Partner stellen, würden die meisten Veranstalter den Führenden als Lehrer oder Künstler bevorzugen. Aus irgendeinem Grund gibt es eine unsichtbare, unausgesprochene Übereinkunft, die impliziert, dass ein führender Lehrer unabhängiger/interessanter/legitimer ist als ein folgender.
Und da die meisten Führenden in der Tangoszene immer noch Männer sind, schafft dies eine extrem ungesunde Dynamik für die meisten Frauen im Tango, einschließlich uns Profis. Selbst nach vielen Jahren harter Arbeit, Kursen, Übungen, Reflexion und Forschung sind wir immer noch von Männern abhängig, ob sie uns als Partnerin „nehmen" oder nicht. Ja, es gibt weniger von ihnen, also sind sie es, welche „die Wahl haben".
Ich kenne einige unglaubliche Tänzerinnen, die mit jemandem ein Tanzpaar gebildet haben, aber sobald die Zusammenarbeit beendet ist, hat sich der Führende eine viel vorteilhaftere Position verschafft als die Folgende. Mehr Jobangebote, mehr Auftritte, mehr Anerkennung – und ich spreche noch nicht einmal von der langen Schlange fantastischer Follower, die mit ihm arbeiten wollen.
Ausgezeichnete Folgende, die sich nach einem Partner und einer Möglichkeit sehnen, endlich zu tanzen, zu unterrichten, ihre Kompetenz einzusetzen und ihr berufliches Potenzial voll auszuschöpfen. Und das Traurige ist, dass sogar weibliche Organisatoren männliche Führende einladen, weil sie selbst gerne mit guten Führenden tanzen möchten.
In diesem Teufelskreis leiden wir also unter der beruflichen Diskriminierung, aber am Ende fördern und unterstützen wir sie selbst, indem wir männlichen Tänzern den Vorzug vor weiblichen Tänzern geben.
Die Bewegung der weiblichen Führenden wächst seit einigen Jahren schnell und wir arbeiten verdammt hart daran, gute Führende zu werden und uns von diesem Geschlechterbann zu befreien, aber natürlich braucht es Zeit, um diese ZWEITE Rolle genauso gut zu meistern wie unsere ERSTE ROLLE. Ich hoffe wirklich, dass Frauen in 10 Jahren genauso viel und so gut führen werden wie Männer heute, aber was machen wir in der Zwischenzeit? Kämpfen wir weiterhin doppelt so hart um jeden Job, weil uns anfangs die „falsche" Rolle zugewiesen wurde? Selbst, wenn wir sie lieben und wirklich gut darin sind?
Und was noch schlimmer ist: Dass diese Situation den männlichen Führenden ein unfaires Vertrauen in ihr berufliches „Verhalten" gibt. Raquel Greenberg hat einen großartigen Beitrag darüber geschrieben – genau wie sie erhalte ich oft Angebote von verschiedenen Tänzern, die mir anbieten, in meiner Schule zu unterrichten, Workshops mit mir zu machen usw.
Das bedeutet, dass ich ihnen mein Netzwerk zur Verfügung stellen, ihnen meine Kunden vermitteln muss, meine Schüler davon überzeugen muss, dass sie gute Lehrer sind, einen Haufen Verwaltungsarbeit zu leisten habe, damit diese Veranstaltung funktioniert, und dann das Honorar zahlen muss, das ich stattdessen mir selbst hätte geben können... und das alles nur, um die „Ehre" zu haben, dass sie vorbeikommen!
Und obwohl die meisten Gespräche in einem freundlichen Ton verlaufen, wagen es einige von ihnen, mich aufzufordern, ihre Flugtickets, ihren Transport vor Ort, ihre Mahlzeiten oder/und ihre Unterkunft zu bezahlen (…). Anstatt uns also in die Rolle eines legitimen Partners zu versetzen, werden wir als ihre persönliche Agentin/Managerin/Verwalterin eingesetzt. Nur weil sie Führende sind. Nicht ein einziges Mal habe ich eine ähnliche Anfrage von einer Frau erhalten!
Und so kommen sie, genießen die Früchte unserer harten Arbeit über die Jahre, bedanken sich und gehen, ohne etwas zu sagen. Immer wieder sehe ich, wie andere berufstätige Frauen in meiner Umgebung in dieselbe Falle tappen. Und wir lassen uns immer wieder darauf ein, in der Hoffnung, dass er vielleicht dieses Mal, wenn ich mich für ihn anstrenge, bereit ist, regelmäßig mit mir zusammenzuarbeiten, mir im Gegenzug einen Auftritt anzubieten, mir vorzuschlagen, ein Paar zu werden usw.
Aber die Wahrheit ist: Gute Führende sind heute zu bequem, um ihr Rampenlicht zu teilen, alles läuft perfekt für sie, warum sollten sie sich um eine Partnerschaft kümmern?
Natürlich habe ich keine richtige Lösung im Kopf, abgesehen davon, dass jeder die Doppelrolle für die Zukunft und die Gesundheit unserer Tango-Gemeinschaft beibehalten sollte... Es gibt jedoch ein oder zwei Dinge, die wir bereits heute tun können:
Für die Führenden: Achten Sie darauf, dass Sie einen Deal vorschlagen, von dem alle profitieren, wenn Sie eine Zusammenarbeit anbieten. Sie brauchen Arbeit? Schlagen Sie eine Gegenleistung vor, auch zu freundschaftlichen Bedingungen, die Geste zählt!
Für die Folgenden: Trauen Sie sich, eine Gegenleistung zu verlangen: Ich tue etwas für dich, dann tue du auch etwas für mich!
Für alle: Erkennen Sie die Professionalität und die Bedeutung der Tänzerinnen an, auch wenn es ihre einzige Rolle ist! Vertraut ihnen und ihrer Kompetenz, alle zu unterrichten, in ihrer Fähigkeit, allein zu arbeiten, eure Gemeinschaft zu beleben, ihr Wissen und ihre Leidenschaft für diesen Tanz zu verbreiten. Sie verdienen es!
Mir waren diese Einblicke in das „professionelle Tangogeschäft“ bislang verwehrt. Allerdings wundern sie mich nicht. Ob Anfängerin, ältere Tänzerin oder Profi: Im Zweifel ziehen sie alle den Kürzeren – weil sie weiblich sind.
Die Benachteiligung der Frauen in unserem Tanz ist keine kühne Behauptung, sondern eine Tatsache. Auch wenn Männer alles dafür tun, dieses Problem kleinzureden.
Daher werde ich weiterhin Beiträge von Tänzerinnen veröffentlichen, welche den Mut haben, diese Verhältnisse klar anzusprechen und dagegen anzugehen. Leider gibt es zu wenige davon.
Ich habe auf YouTube einige Tanzvideos von Kira Makarova gefunden und mache gerne noch etwas Reklame für sie:
https://www.youtube.com/watch?v=fdHJyuMcsqs
Und hier tanzt sie in beiden Rollen:
https://www.youtube.com/watch?v=o4c95q_yqbY
Hallo Gerhard,
AntwortenLöschenich fand es sehr interessant den Artikel von Kira Makarova zu lesen. Danke für Deinen Hinweis darauf.
Ich werde bei reisenden Tangolehrern (m/w) künftig auf diesen Aspekt einmal etwas mehr achten.
Bislang hatte ich nicht den Eindruck, dass die Männer da sehr stark überwogen – das lag aber vielleicht daran, dass ich meine Wahrnehmung nie auf diesen Aspekt gerichtet habe.
Als ich in Freiburg mit dem Tanzen begann, gab es mindestens EINEN männlichen Lehrer, der damals ALLEIN unterrichtet hat. Soweit ich das vom Hörensagen weiß, hat dieser Lehrer (lange vor meiner Zeit) gemeinsam mit mindestens zwei Damen (aufeinanderfolgend) unterrichtet. Diese beiden Damen haben danach dem Tango in der hiesigen Region (auch jeweils ALLEIN) überragende Lehrerdienste erwiesen.
Intuitiv hatte ich von Anfang an eigentlich immer den (rational völlig unreflektierten) Eindruck, dass ohne (einzelne) Damen oder die jeweiligen Damen eines Paares, in Freiburg wahrscheinlich überhaupt nie eine „Tango-Szene“ der momentanen Qualität entstanden wäre. Es gäbe nach meiner Wahrnehmung kaum Veranstaltungen; es gäbe kaum Unterricht – und daher vermutlich auch kaum Tänzer (m/w).
Ganz SICHER bin ich mir jedenfalls: Ohne das „Nudging“ meiner Frau existierte für mich bis heute noch kein bewusster Unterschied zwischen Tango Argentino und Salsa.
Viele Grüße,
Matthias
Lieber Matthias,
Löschenklar, wir müssen den Frauen im Tango für vieles sehr dankbar sein.
Die Frage ist halt, wie es "hinter den Kulissen" zugeht, wie viel sie dort zu sagen und zu bestimmen haben.
Daher fand ich den Beitrag von Kira Makarova sehr interessant.
Danke und beste Grüße
Gerhard