So könnte Tangounterricht sein…

 

Mein jüngster Artikel „Warum wollen Männer nicht tanzen?“ hat offenbar großes Interesse gefunden. Herzlichen Dank! Eine Kommentatorin schrieb mir Anmerkungen, über die ich länger nachdenken musste:

„Also, ich kann durchaus nachvollziehen, warum Männer nicht gerne tanzen. Zum einen sind beim Tanzen mehrere Dinge gleichzeitig gefordert:
* Hören der Musik
* Finden des Rhythmus
* Wissen, was man darauf tanzen will
* Rechtzeitiges Vermitteln an die Tanzpartnerin
* Die eigenen Schritte hinkriegen
.... ach ja, gut ausschauen soll es ja auch noch. Multitasking vom Feinsten!
Ich bewundere tatsächlich jede/n Führende/n, der/die das hinkriegt!“

Im ersten Reflex antwortete ich ihr: „Wenn ich als Mann all das beachten müsste, was du aufzählst, könnte ich auch nicht tanzen.“

Buchstabieren wir diese Abfolge einmal durch:

Aus welchen Gründen auch immer gibt es viele Männer, die nicht gerne tanzen, vor allem, weil sie fürchten, es nicht zu können und daher blöd auszusehen. Ehrlicherweise füge ich hinzu: Ebenso gibt es etliche Frauen, die gerne tanzen, obwohl sie es nicht können und es daher blöd aussieht.

Daher erscheinen in einem Kurs Paare, deren weiblicher Teil ganz scharf aufs Tanzen ist und zur unnötigen Beruhigung gesagt bekommt, die Damen müssten ja lediglich das mittanzen, was der Männe führt. Den Herren, die eh mit angezogener Handbremse und eingelegtem Rückwärtsgang erscheinen, wird statt einer nötigen Beruhigung verkündet, sie hätten sich um den großen Rest zu kümmern, trügen als „Führende“ die Gesamtverantwortung. Lecker, oder?

Im Anschluss wird irgendein komischer „Grundschritt“ gezeigt, den die Männer nun zu führen hätten. Um es ihnen möglichst schwer zu machen, pappt man sie hautnah an die Frauen, welche ihnen dann in den Hemdkragen müffeln, während die männlichen Partner sich im nach Chemie duftenden Gestrüpp der weiblichen Haartracht wohlfühlen sollen.

Klar, dass es bei solch minimalem Abstand nur zwei Alternativen gibt: den „richtigen“ Fuß zu bewegen oder auf den falschen zu treten. Lernen, so kennen wir es ja aus der Schule, ist ein schmerzhafter Prozess. Insbesondere, da nach vielem Zählen wie im Turnunterricht ad aeternam die gefürchtete Di Sarli-Schleife wimmert.

So sieht man in den Kursen Männer mit einem resignativ-verzweifelten Gesichtsausdruck, an denen Frauen hängen, deren Mimik signalisiert: „Ich kann doch nichts dafür, dass ich mit einem Versager tanzen muss!“

In meinem Tangobuch schrieb ich dazu:

„Der Tango ist nie der Grund dafür, dass eine Beziehung zerbricht. Er kann den Prozess aber deutlich beschleunigen!“

Gestehen muss ich allerdings, dass ich ebenfalls auf eine solche Form des Tanzunterrichts konditioniert wurde, die ich viele Jahre für „normal“ hielt und Probleme damit auf meine Unzulänglichkeit schob. Damals konnte ich auch noch nicht über solche Sätze von Tanztrainern lachen: „Diese Figur bauen wir in unsere Silberfolge ein.“

Wie könnte Tangounterricht – gerade bei Männern – besser funktionieren? Grob gesagt: Indem man das Gegenteil des oben Beschriebenen unternimmt.

Auf keinen Fall würde ich Anfänger von vorherein in enger Haltung zusammenspannen. Lasst die Menschen doch mal alleine tanzen – in anderen Kulturen klappt das sogar bei den Männern:

https://www.youtube.com/watch?v=4J5uMi759Hw

Und vor allem würde ich sofort Musik einsetzen. Gerade bei modernen Tangostücken gibt es oft wunderschöne Balladen, die auch vom Tempo her niemand überfordern. Ein Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=aSCtFG9oAbY

Wer das Stück von „Las Sombras“ für zu schwierig hält: Ich meine, es ist von Anfang an wichtig, zum Hören auf die Musik zu erziehen statt die Schüler auf einen Metronom-Schrammelrhythmus zu konditionieren. Und man kann ja zunächst nichts „falsch“ machen, da einzeln getanzt wird. Apropos: Ich schlage vor, den Begriff „Fehler“ im Tangounterricht zu eliminieren – würde ebenfalls die Stimmung der Tänzer aufhellen.

Wie ich schon dutzende Male betont habe (und auch zukünftig fordern werde), würde ich mir die Mär vom „Führen und Folgen“ verkneifen und von vornherein das Ziel stecken, dass Tango Teamwork ist. Im Paar müssen beide aufeinander hören, die Bewegungen und Impulse des anderen spüren: Fühlen statt Führen!      

Wenn ich mit einer guten, kreativen Tänzerin auf dem Parkett bin, gehe ich in einer großen Zahl von Fällen auf ihre Bewegungsideen ein, statt ihr ständig nur meine aufzudrücken. Ich glaube, dieser Austausch ist von Anfang an wichtig!

Paarweises Tanzen muss stets in einer sehr weiten Haltung beginnen (Kontakt über die gefassten waagrechten Unterarme). So haben beide Partner „Luft“, sich frei zu bewegen und dem anderen nicht auf die Füße zu steigen. Gerne darf die Tanzhaltung auch einmal aufgelöst werden.

Und zu den „Schritten“: Das Gehen („caminar“) ist wahrlich der einzige „Grundschritt“ im Tango – in zwei Systemen (parallel und gekreuzt) sowie in drei Spuren (voreinander, außenseitlich links oder rechts). Nimmt man dann noch (auch gedrehte) Wiegeschritte („cunitas“) hinzu und übt die Wechsel zwischen all diesen Bewegungen, ist man choreografisch für die nächsten zehn Kursstunden beschäftigt. Vor allem aber: Immer wieder auf die Musik hören und Improvisationen fördern!

Näheres finden Sie in meinem Tangobuch (in der 2. Auflage S. 142-194).

Ein Gegenargument lasse ich nicht gelten: „Bei einem solchen Tangounterricht würden die Schüler nicht lange bleiben und stattdessen Lehrende suchen, die mehr Figuren vermitteln.“

Na, sollen Sie doch! Ich halte die zunehmende Kommerzialisierung sowieso für den Tod des Tango. Ich meine, es würden sich genug erfahrene Milongueros (und Milongueras) finden, die solche Übungsstunden betreuen könnten – so wie es in der Tango-Frühzeit ja auch war. Und die hätten oft mehr tänzerische Routine (aus tausenden Milongabesuchen) zu bieten als „Profi-Tangolehrer“, die selber kaum noch tanzen, sondern nur noch Shows bieten und unterrichten.      

Gerne lasse ich über meine amateurhaften Vorschläge diskutieren und bin bereit, dazuzulernen. Schließlich verfüge ich über kein abgeschlossenes Tanz- oder Tanzpädagogik-Studium.

Das verbindet mich allerdings mit den meisten Lehrenden im Tango.

Dennoch bleibe ich bei dem, was ich schon 2010 in meinem Tangobuch geschrieben habe:

Warnung! Beenden Sie den Tangounterricht umgehend, wenn sich folgende „Reizvokabeln“ häufen:

          falsch / richtig

          Wir lernen zunächst die Schritte!

          Erstmal ohne Musik, ich zähle bis acht!

          …bauen wir in die Figur aus dem Anfänger II-Kurs ein…

          Die Frauen in diese Ecke, die Männer gegenüber…

          Der Mann führt, die Frau folgt.

          Wie sieht denn das wieder aus!

          Lernt man nur bei uns…

          Wird unserer Erfahrung nach in Buenos Aires so nicht getanzt!

          Wo habt ihr denn das her?

          Soll das etwa Tango sein?

P.S. Jochen Lüders, Gymnasiallehrer für Sport und Englisch, hat zur Widerlegung meines Artikels einen längeren Text verfasst, den ich gerne zur Lektüre empfehle:

https://jochenlueders.de/?p=15695

Meine Stellungnahme findet sich unten bei den Kommentaren.

Kommentare

  1. wer keinen Paar - Tanz lernen will, ist bei Jerusalema gut aufgehoben und kann viel Spass erfahren..... wer Tango lernen will und sich daran erfreuen möchte, dem muss klar sein, dass es nur miteinander und dem Einklang der Musik geht, und dass die/ der Geführte Vorschläge projiziert und spiegelt, .... also Einigung muss schon herrschen, und eine Tanzrichtung , man kann auch Abmachungen treffen durch die Tanzhaltung.... aber ich habe bisher in 22 Jahren nur sehr wenige Männer getroffen, die sich gerne führen lassen, bezw. der Frau/ Geführte überlassen wollen, was angesagt ist... man wird als Frau/ Projizierende meist aus seiner Verzierung rausgerissen oder bekommt erst gar nicht den Raum dafür, und ...-... umgekehrt kenne ich wenige Frauen, die den aktiven Teil beim Paartanzen übernehmen wollen, auch wenn es mittlerweile immer mehr werden....und diejenigen, die beide Rollen tanzen, möchten bei angesagter Folgenden Rolle, sich ganz einfach hingeben, und nicht in regelmässigen Abständen innerhalb der Tanda

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    2. Sorry, anonyme Kommentare werden nicht veröffentlicht.

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  2. ... wieder übernehmen... wie soll das bei einer gut besuchten Milonga in einem begrenzten Raum möglich sein? - es muss Regeln geben, und es muss im Paar eine Person das Navigieren übernehmen.

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  3. .. es gibt ausserdem viele Umstände und Nuancen beim Tanzen, dass man bestimmte hier gemachte Vorschläge bei einer gut besuchten Abendveranstaltung( Milonga) schwer anwenden kann... wenn dann zum Schluss , gegen Ende einer Solchen mehr Raum auf der Tanzfläche besteht, könnte man das ausprobieren... wie viele kamikaze Tänzer habe ich schon erlebt die mit ihrer Tanzpartnerin sonst was anstellen, ohne sich um die anderen Tänzer auf der Tanzfläche zu scheren... leider ist meine Erfahrung so, dass man eben viel lernen muss, bis ein soziales Miteinander auf eine geteilten Tanzfläche Allen Tänzern Freude bereitet.

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    1. Liebe Vio,

      danke für die interessanten Gedanken zu meinem Artikel. Ich kann einigem durchaus zustimmen.

      Es ging mir aber nicht um einen „konventionellen“ Rollenwechsel, sondern darum, dass der „Führende“ der „Folgenden“ einfach mehr Interpretationsspielraum einräumt und auch auf ihre Ideen eingeht.
      Sicherlich ist das nur mit viel Routine zu erreichen. Aber man sollte Anfängern den Weg in diese Richtung nicht durch einen ungeeigneten Unterricht verbauen.

      Persönlich habe ich tolle Erfahrungen mit Partnerinnen, die sich nicht nur „hingeben“, sondern aktiv mitgestalten wollen. Und sicherlich können sie auch Signale zum Navigieren geben. Ein solcher Tanzstil muss keinesfalls sehr ausladend oder gar rücksichtslos ausfallen.

      Ich stelle halt immer wieder fest, dass man bei der Beurteilung neuer Konzepte sehr vom Status Quo ausgeht – hier zum Beispiel von der Annahme, auf Milongas müsste generell wenig Platz auf dem Parkett sein. Um solche Veranstaltungen mache ich einen Bogen, da ich Platz zum Tanzen brauche. Ich schwimme auch nicht gern in einem Bassin mit 50 Zentimeter Wassertiefe.

      Danke für den Kommentar und beste Grüße
      Gerhard Riedl

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  4. Ich denke, viele Lehrer haben schon sehr viel versucht. Mir ist nicht bekannt, dass sich - unabhängig von persönlichem Geschick und Charisma - etwas breit durchsetzen konnte.
    Wichtig erscheint es mir, dass man sich, insbesondere bei Paaren, über Erwartungshaltung, Rollenverteilung und Partnerwechsel klar wird. Der nötige Lernaufwand kann ja sehr asymmetrisch sein und nicht für jeden sind Milongas das Ziel.

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    1. Ja,leider.

      Ich sehe halt wieder (kommerzielles) Mainstream-Denken. Wieso muss es der einzige Maßstab sein, ob sich etwas "breit durchsetzt"?
      Ich glaube, es gäbe durchaus Lernende, welchen die geschilderten Ideen helfen könnten. Aber man hängt im Tango halt an den alten Vorstellungen.

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  5. Ich kenne den Spruch:
    "Es gibt keine Fehler, nur Variationen."

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    1. Mir passieren selbst beim Spazierengehen bisweilen Fehler wenn ich unachtsam bin. Da halte ich es für zielführender, Anfängern beizubringen, wie man sich selbst und den Partner stabilisiert und weiter tanzt.

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    2. Oder Solotanz mit Rollator...

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  6. Und ich kenne aus meinem Unterricht (bei einem studierten Tanzpädagogen 😉 ) die Übung, dass man eine Übungssequenz (nicht mit festen Figuren zu verwechseln!) zu verschiedenen Musiken tanzt und dabei eben lernt, Dynamik und Stil entsprechend anzupassen....das ist aber mal wieder ein Beispiel von jenseits des Tellerrandes.

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  7. Jochen Lüders17. Mai 2022 um 20:55

    https://jochenlueders.de/?p=15695

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    1. Jochen Lüders Artikel enthält einige satirische Elemente, die mich durchaus amüsiert haben. Leider dominiert dennoch ein ziemlich gehässiger Tonfall, den ich schade finde. Daher möchte ich nur kurz auf einige Punkte eingehen:

      Unzutreffend ist Lüders Darstellung, ich hielte Tangounterricht eigentlich für völlig überflüssig. Dann wäre der Titel meines Artikels, den er sogar inhaltlich übernimmt, ziemlich sinnlos. Ich stelle mir eine solche Unterrichtung nur anders vor als die übliche.

      Ein wenig „Unterrichts-Erfahrung“ habe ich durch häufiges Üben mit anderen schon (siehe auch unsere Wohnzimmer-Practicas). Darauf basieren viele meiner Ideen.

      Meine Forderung, die Begriffe „falsch“ oder „Fehler“ aus dem Tangounterricht zu eliminieren, bedeutet nicht, dass man im Tango nichts „falsch“ machen kann. Ich sehe darin vor allem einen psychologischen Ansatz, den Krampf aus der Unterrichtssituation herauszunehmen. Und es ist nicht alles falsch, was der Stilistik des einzelnen Tangolehrers widerspricht.
      Daher machen auch die Tanzenden im Artikel „Stehschmusen" nichts falsch. Es gefällt mir nur nicht.

      In ganzen Passagen verwechselt Lüders Schulunterricht – vorwiegend in wissenschaftlichen Fächern – mit einer Freizeitbeschäftigung, welche vor allem Entspannung und Spaß bereiten soll. Niemand will in normalem Tangounterricht ein Zeugnis bzw. eine Qualifikation erwerben. Daher gibt es auch keine Noten.

      Die Situation in den Standard- und Lateinamerikanischen Tänzen beschreibt Lüders ganz zutreffend. Das war der Grund, wieso ich mich später dem eher improvisierten Tango verschrieben habe.

      Natürlich muss man im Tango auch Grundbewegungen erlernen (auch „Schritte“ genannt). Ich wehre mich lediglich dagegen, dass diese Fertigkeiten oft alles andere (und wichtigere) dominieren. Das Kreuz jedoch sollte man nicht lernen.

      Die Schlussaufzählung, aus der Lüders umfangreich zitiert, war Satire. Das sollte man eigentlich erkennen.

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