Das Corona-Schloss der Intimität

 

Der Münchner Tangokritiker Joachim Beck – wer sonst – hat wieder einmal einen Corona-Skandal ausgegraben und auf der FB-Seite „Tango München“ veröffentlicht. Kommentiert hat das dort vorsichtshalber niemand:

„TANGO FESTIVAL ALS INFEKTIONSHERD – EIN VIERTEL DER GÄSTE COVID INFIZIERT

Vorletztes Wochenende ein TangoFestival in der Nähe von Berlin. Mit von der Partie: Ein nicht geimpfter CoronaInfizierter, der bei der EingangsKontrolle mit SchnellTest negativ getestet worden war. Das Ergebnis zehn Tage nach dem Event: 1/4 der Teilnehmer positiv getestet - darunter auch Geimpfte. Alle offenbar mit milden Verläufen.“

https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen (Post vom 7.9.21)

Beck bezieht sich dabei auf eine FB-Meldung von „Pedram Shahyar Tango“ vom 6.9.21. Der Betreffende scheint ein Festival namens „Intimacy Castle – Tango Camp“ mitgestaltet zu haben. Er berichtet nun, trotz zweifacher Impfung habe es ihn – ebenso wie ein Viertel der 100 Teilnehmer – erwischt:

"Wir versuchten alles, und machten die Regeln und Kontrollen noch schärfer als sein musste, aber Corona kam doch rein in unserem schönen Traumschloss. Es war herbstlich kalt im August, es war ein Camp, Abwehrkräfte runter, und wir mussten fast alles nach Innen verlagern. Dank der tollen Unterstützung der Community haben wir vorher, während und vorallem danach sehr viel getestet, ca. 1/4 der Anwesenden wurden innerhalb der ersten Woche positiv getestet! Aber fast alle sind geimpft, und wir sind mit allen die sich gemeldet haben in Kontakt. Alle haben leichte bis starke Grippesymptome."

Selber fühle er sich wie mit einer mittelstarken Grippe. 

„Ich machte nach dem Event letzte Woche jeden Tag einen Antigen-Test, 6 mal negativ. Dann PCR und Ergebnis war positiv. Erst dann schlug die antigen test auch positiv an. Die vielen negativen schnell tests gaben mir eine falsche Sicherheit, und so machte ich 2 grobe Fehler: ich ging ohne Maske auf einem vollen Straßenmarkt und war mit politischen Freunden kurz in einer Kneipe.

Was übrigens gut funktioniere war die Warnapp, die ziemlich genau auf die Tage im Camp rot anschlug.“

Er zieht diese Folgerungen: 

„Durch die Impfung können wir wieder gemeinschaftliches Leben beginnen. Das kulturelle Leben geht wieder los, und muss wieder los gehen. Es gilt weiterhin aber Vorsicht: denn auch wenn mir nach einer Impfung nichts schlimmes passieren kann, darf ich den Virus nicht dahin streuen, wo es außer Kontrolle läuft, und den falschen trifft.“

https://www.facebook.com/pedram.shahyar

Tatsächlich hatten die Organisatoren ziemlich viele Sicherheitsmaßnahmen angekündigt:

„Für die Teilnahme an unserer Veranstaltung benötigt ihr einen negativen Corona-Schnelltest der letzten 24 Stunden. Wir möchten, dass sich ALLE vorher testen lassen, auch alle Geimpften! Dabei sind wir sehr streng: kein negativer Test, kein Eintritt. Für alle Personen, die länger als 3 Tage bleiben: Wir bitten euch, das eigene Testkit mitzubringen und sich nach 2 Tagen testen zu lassen. Wenn euch das nicht möglich ist, lasst es uns wissen und wir stellen ein Testkit zur Verfügung. Aufgrund von Covid-Controll registrieren wir Adresse und Telefonnummer. Bitte bringt alle FFP-Masken für einige Innenbereiche und eigene Hygieneprodukte mit. Im Sanitärbereich liefern wir spezielle Hygieneprodukte.“

https://www.facebook.com/events/299613391826037

Klingt gut und bringt mich dennoch schon ins Grübeln: Das Konzept lautete also „3G“, und offenbar wurden lediglich Schnelltests (keine PCR) erwartet. Die Bestätigung eines offiziellen Testzentrums hat man wohl nicht gefordert. Waren es dann wenigstens „beobachtete Tests“ oder verließ man sich auf die eigenen Aussagen der Getesteten?

https://www.facebook.com/events/299613391826037

Ort des Geschehens war das um 1840 erbaute Schloss Schönow in der Uckermark. Die Lebensbedingungen im Camp lesen sich ziemlich frugal:

„Die wichtigste Schlafmöglichkeit ist Camping. Leider haben wir dieses Jahr keinen Zugang zu den Barraks (?). Aber wir haben den großen Saal des Gasthofs auf der anderen Seite des Schlosses. Hier befinden sich auch die Sanitäranlagen der Veranstaltung (die Sanitäranlagen im Schloss funktionieren nicht). Wer also nicht campen möchte oder kein Zelt hat, kann sich einfach Schlafsack und Matratze schnappen und in der großen Halle schlafen. Bei stärkeren Niederschlägen ist diese große Halle ein Refugio für alle, die es brauchen. Wir sind auf alle Wetterbedingungen vorbereitet.

Wir servieren Frühstück, Nachmittagsbuffet, Abendessen und Late-Night-Büfett. Wir kochen gemeinsam, daher sollte jeder Gast während der Veranstaltung 2 Stunden in der Küche helfen. Wir versorgen euch mit allem, was ihr braucht, bringt auch gerne Dinge mit, die ihr speziell für euch oder Freunde mögt.“

https://www.facebook.com/events/299613391826037/?post_id=354369036350472&view=permalink

Offenbar eher ein „Tango-Zeltlager“ ganz nach meinen geheimsten Wünschen. Dazu war wohl das Wetter mies, also drängelte sich der ganze verfrorene, feuchte Haufen im Saal einer Gastwirtschaft, wo dann an die 100 Leute auf dem nackten Boden plus Isomatte übernachteten. Vom Schloss aus Fußmarsch zum Klo… Gab’s im historischen Gemäuer wenigstens einen Wasserhahn zum Händewaschen?

Als Corona-Virus hätte ich mich dort wohlgefühlt: Es gab ja nicht nur Milongas, sondern haufenweise Workshops für Tango und alle möglichen anderen Künste wie Yoga oder buddhistische Liebes-Meditation. Und wer sich da noch nicht ansteckte, hatte ja beim gemeinsamen Kochen und Essen noch eine Chance. Mehr Intimität geht kaum...

Die Organisatoren der viertägigen Sause reagierten wie folgt:

Liebe Freunde, wie wir euch während des Tango-Camps auf Schloss Schönow informiert haben, hatten wir am Freitag einen positiven Corona-Test. Diese Person war im Schloss nicht sehr präsent. Sonntag bekamen wir die Informationen von 2 weiteren positiven Tests von Teilnehmern, die während der ganzen Zeit in der Veranstaltung waren. Man fuhr mit der ersten Person zum Schloss. Beide sind nicht geimpft. Die am Sonntag positiv getestete dritte Person ist vollständig geimpft. Alle wurden Mittwoch und Freitag negativ getestet, also hoffen wir, dass sie nicht hoch infektiös waren.

Wir bitten euch in den kommenden Tagen vorsichtig zu sein. Bitte lasst euch so oft wie möglich testen. Denken Sie daran, dass es nach der Infektion einige Tage dauert, um infektiös und vernünftig für die Geschwindigkeitstests zu sein. Also bitte schnellstmöglich testen machen, und das auch am kommenden Wochenende.“

Ein einziger Kommentator stellte die Frage, die mich ebenfalls sofort ansprang:

„Verstehe ich das richtig? Die Organisatoren des Tango Camps haben die Veranstaltung also einfach weiterlaufen lassen, ohne die Teilnehmer umgehend nach Bekanntwerden des positiven Testergebnisses am Freitag zu informieren? Und es wurde weiter getanzt bis Sonntag?“

https://www.facebook.com/events/299613391826037/?post_id=354369036350472&view=permalink

Man mag mich gerne für übervorsichtig halten – aber ich hätte die Veranstaltung nach Bekanntwerden des ersten Coronafalls sofort abgebrochen. Aber nach den sehr kryptisch formulierten Teilnahme-Gebühren ging es da wohl um eine Summe von mindestens 20000 Euro. Da drückt man schon einmal ein Auge zu…

Nach den Informationen auf Facebook waren 20 Prozent der Teilnehmer weder geimpft noch genesen. Zumindest bei denen hat man offenbar grob fahrlässig nicht nur mit der Gesundheit, sondern auch mit deren Leben gespielt.

Es ist halt ein Unterschied, ob man sich für vielleicht drei Stunden auf einer Milonga trifft oder an die 100 Stunden auf einem solchen Camp. Schon allein das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung um den Faktor 33. Und im Gegensatz zu einer kleinen Milonga à la Pörnbach mit einem Dutzend Teilnehmern waren es dort 100. Die Chance, sich auf einem solch großen, viertägigen Event zu infizieren, ist somit fast 300 Mal höher. Lässt man dann auch nur Getestete zu, wird es noch weit gefährlicher.

Mit dem Einsatz des Restverstands sollte man eigentlich erkennen, dass solche Events derzeit ein hohes Risiko darstellen, das man nicht verantworten kann. Rezepte wie die eines Kommentators dürften da nicht ausreichen, weil sie nicht aufs Gehirn wirken:

- Spülen Sie die Nasenhöhle täglich mit 1 % Kochsalzlösung.

- Ein paar Löffel guten Honig (natürliches Antiseptikum) täglich.

- Verwendung von Knoblauch, Zwiebel und Kurkuma in Lebensmitteln.

Dies ist kein Allheilmittel, aber es reduziert das Krankheitsrisiko deutlich und erhöht die Immunität.

Am 3.9. schrieben nun die Veranstalter:

„Wir versuchen, alle relevanten Informationen zu sammeln, um aus diesen Erfahrungen für die kommenden zu lernen. Diese Erfahrungen teilen wir auch mit anderen Tango-Organisatoren.“

Na, dann macht mal…

P.S. Falls ich bei der Recherche etwas übersehen oder falsch verstanden haben sollte, darf man das gerne per Kommentar darlegen. Nach meinen Erfahrungen werden sich die Veranstalter aber eher nicht äußern.

Kommentare

  1. das gehört zum prozess des lernens mit dem virus zu leben. wohnzimmermilongas werden auch in zukunft eine randerscheinung bleiben.

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    1. Nach anderthalb Jahren Corona halte ich das eher für den eindrucksvollen Beweis akuter Lernschwäche.

      Da fühlen wir uns als Randerscheinung sehr komfortabel.

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