Rosa Socken

 

Derzeit kann man ja keinen Unionspolitiker interviewen, ohne dass der uns unaufgefordert mitteilt, die SPD wolle gemeinsame Sache mit der Linken machen – und sicherlich werde der brave Olaf Scholz noch am Wahltag von Radikalen wie Esken oder Kühnert abgeräumt.

Folglich kann der SPD-Kanzlerkandidat in keine Diskussion mehr gehen, ohne mit der Frage sekiert zu werden, ob er denn eine Koalition mit der „SED-Nachfolgepartei“ nun aber wirklich und gänzlich ausschließe.

Dabei soll auch der Eindruck entstehen, Union und FDP seien von einer Zusammenarbeit mit solchen Kräften natürlich Lichtjahre entfernt. Na ja, das war nicht immer so – neben den „roten Socken“ waren dereinst auch rosafarbene im Angebot. Ein kleiner historischer Rückblick:   

Bereits im Sommer 1945 genehmigte die Sowjetische Militäradministration in ihrer Besatzungszone die Gründung von vier Parteien unter der Vorgabe, diese hätten sich im „Antifaschistisch-demokratischen Block“ zusammenzuschließen: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Liberaldemokratische Partei Deutschlands (LDPD).

Im April 1946 wurden KPD und SPD unter mehr oder weniger großem Zwang zur SED vereinigt. Während SPD, CDU und LDPD zunächst eigenständige Neugründungen waren, ging die Gründung der weiteren Blockparteien DBP (Demokratische Bauernpartei Deutschlands) und NDPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) 1948 direkt von der Sowjetischen Führung aus, um CDU und LDPD ihre Klientel abzuwerben. Dabei sollte die Bauernpartei vor allem die CDU schwächen, während die NDPD als Auffangbecken für Vertriebene, Offiziere und frühere NSDAP-Mitglieder diente. Führungsfunktionen in diesen Parteien wurden meist gleich von Kommunisten besetzt.

Nicht viel später wurden in die „Nationale Front“ neben den Blockparteien auch der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund), der  DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) und die FDJ (Freie Deutsche Jugend) aufgenommen.

Auch in den Satelliten-Staaten Bulgarien, Polen und der Tschechoslowakei gab es entsprechende Blockparteien-Systeme. Weiterhin in vielen anderen Ländern wie China oder Nordkorea. Sinn der Sache ist vor allem die Vorspiegelung eines „demokratischen“ Mehrparteiensystems. Außerdem will man diejenigen in die Politik einbinden, die sich mit dem Kommunismus schwer tun. Gewählt werden konnte jedoch nur die gemeinsame Liste.

Wenn sie es nicht eh schon waren, wurden die übrigen Parteien in der DDR auf SED-Kurs gebracht. Besonders schwer tat man sich mit der SPD, daher waren bei ihr auch die meisten Opfer zu verzeichnen. In den letzten Jahren der DDR gab es in den Blockparteien leichte Absetzbewegungen von der SED-Linie.

https://de.wikipedia.org/wiki/Blockpartei

Die Vertreter der Blockparteien wurden in der DDR verächtlich als „Blockflöten“ bezeichnet, da sie die Rückversicherung vorweisen konnten, keine SEDler zu sein – gleichzeitig aber die Flötentöne der Einheitssozialisten nachpfiffen. Mandate in der Volkskammer und dem Staatsrat waren für sie reserviert – und wegen der geringeren Mitgliederzahl konnte man in den pseudo-bürgerlichen Parteien oft sogar schneller Karriere machen.

Nicht nur die PDS, sondern auch CDU und FDP konnten nach der Wende von den Vermögenswerten der einstigen Blockparteien profitieren, die alsbald mit den Bonner Bürgerlichen fusionierten. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wohin da welches Geld und welche Immobilien gingen. So schrieb der SPIEGEL:

„Die SED-Nachfolgerin PDS und die gewendeten Blockparteien haben so viel Grundbesitz und andere Annehmlichkeiten geerbt, dass sie allen Grund haben, das heikle Thema ruhen zu lassen. Auch die Bonner Schwestern, CDU und FDP, die bei einer Vereinigung die lachenden Miterben wären, belassen es bei starken Worten. Profitieren könnten von der öffentlichen Diskussion nur die Parteien, die es im SED-Staat entweder noch nicht oder nur im Untergrund gab: Sozialdemokraten, Grüne, Alternative – die ins Hintertreffen geratenen Vorreiter der Herbstrevolution, die weder Grundstücke noch Parteihäuser, weder Verlage noch Zeitungen haben.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Verm%C3%B6gen_von_Parteien_und_Massenorganisationen_der_DDR

Grob gesagt: Während SPD und Grüne in den neuen Bundesländern erst mühsam Organisationsstrukturen aufbauen und Mitglieder anwerben mussten, konnten PDS, CDU und FDP von vornherein auf beides zurückgreifen.

In der ZEIT erschien ein Rückblick mit interessanten Details:

„Der Feind trägt rote Socken. So oder ähnlich lässt sich das Geschichtsbild der CDU auch im Jahr 2008, achtzehn Jahre nach der deutschen Einheit, auf einen Nenner bringen. Der Hauptgegner ist und bleibt die Linkspartei als SED-Erbin, und die SPD, die mit ihr vermeintlich zusammenarbeiten will.“

Zu Angela Merkel heißt es: „Es war 1991, als die Uckermärkerin in ihrem CDU-Heimatverband Brandenburg den Vorsitz übernehmen wollte. Altkader – also der CDU-Politiker, die schon zu DDR-Zeiten Mitglied der staatstragenden Blockpartei waren – verhinderten sie und hoben stattdessen Ulf Fink, einen West-Import, ins Amt.“

Die frühere brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt weigerte sich, „mit ‚diesen Arschlöchern von der CDU‘“  zu koalieren. „Es war ihr politisches Ende, weil sie es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, dass in der ersten CDU-Landtagsfraktion nach der Einheit 24 der 27 Abgeordneten Altmitglieder und -funktionäre waren – einer bereits seit 1952, also sowohl vor als auch nach der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953.“

Drei Jahre später wurde Merkel dann CDU-Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern – mit kräftiger Unterstützung verdienter CDU-Altgenossen.

Auch Ministerpräsidenten wie Stanislaw Tillich (Sachsen) und Dieter Althaus (Thüringen) waren bereits vor 1989 Mitglieder der Ost-CDU.

Abschließend stellt die ZEIT 2008 fest:

„In Anbetracht der anstehenden Deutungsdebatten im kommenden 20. Jahr der 89er Revolution, in dem viele Wahlen auch im Osten anstehen, wird die CDU jedoch an dieser schmerzhaften Rückschau nicht vorbeikommen. Auch dann nicht, wenn sie die Linkspartei nach wie vor in Alleinhaftung für die DDR nimmt.“

https://www.zeit.de/online/2008/49/cdu-seilschaften-ost

CDU und FDP nahmen also nach dem Untergang der DDR bedenkenlos frisch gewendete Neodemokraten auf und verschafften sich dadurch in den neuen Bundesländern einen deutlichen Startvorteil. Daher meine ich:

Die Sozialdemokraten benötigen gerade von solchen Leuten nicht die Spur einer Belehrung über ihre Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Seit dem Kaiserreich haben sie unter Antidemokraten mehr gelitten als alle anderen politischen Kräfte in Deutschland.

Für meine Begriffe tut Olaf Scholz genau das Richtige: Er verweigert sich einer Kooperation nicht kategorisch, hält aber das Stöckchen dafür hoch genug. Nicht nur in der Außenpolitik wird die Linke noch einiges zu klären haben, bevor sie vielleicht einmal in eine Bundesregierung eintreten kann.

Allen, die nicht (mehr) so genau wissen, wie die DDR politisch organisiert war, empfehle ich das folgende Video. Auch die Querdenker könnten darin sehen, wie Diktatur geht. Viel besser als Masken funktionieren dabei rosa Socken.


https://www.youtube.com/watch?v=QD0_Ga89pLA

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