Tango, aber ehrlich

 

„Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht.“ (Theodor Fontane)

Gestern erreichte mich der 278. Newsletter der Seite „Tango am Bodensee“, die seit vielen Jahren einen guten Überblick zu den Tangoveranstaltungen der Region bietet. Regelmäßig enthält der Newsletter auch einen Text, der sich mit unserem Tanz beschäftigt.

Diesmal stammt er von Birgit Hess. Zusammen mit ihrem Mann Dieter ist sie seit 2015 im Tango aktiv. Inzwischen versuchen sie sich auch als Veranstalter – ihre Milonga „El cielito del viees“ („Der Himmel am Freitag“) fiel leider nach dem zweiten Mal der Coronapandemie zum Opfer.

Die Autorin befasst sich in ihrem Artikel „Der Tango-Marathon“ mit Erfahrungen, die sie als Anfängerin in der Region machte.

Die ersten Tangostunden vor sechs Jahren hätten sie „nicht umgehauen“. Immerhin habe das Interesse gereicht, nach drei Monaten zusammen mit einer Freundin „todesmutig“ eine Milonga zu besuchen. Grundbegriffe wie „Ronda“ oder „Cabeceo“ seien ihnen immerhin bekannt gewesen. Wie schön!  

Die Willkommenskultur dieser spärlich besuchten Veranstaltung war wohl ausbaufähig: „kühl und geschäftsmäßig wirkende Veranstalter“, von den Gästen weder ein Lächeln noch ein „freundliches Hallo“. Man habe sie kurz gemustert und dann ihrem „Schicksal überlassen“.

Auch die ersten Tanzerfahrungen brachten wohl den üblichen Tango-Grusel:

„Unsere Begleiterin wurde ein einziges Mal von einem der Lokalmatadore aufgefordert. Nach der Runde wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Er hatte sie komplett überfordert und ihr zum Schluss gesagt, man merke ja, dass sie eigentlich noch gar nicht Tango tanzen könne.“

Nebenbei: Eine Tangofreundin, der ich diese Äußerung vorlas, äußerte zum Tänzer spontan einen nicht zitierbaren Kraftausdruck.

Da war die Schreiberin froh, nur mit ihrem Mann getanzt zu haben. Dabei hatte sie sich so auf ihre erste Milonga gefreut, auf Tänze mit einem erfahrenen Tanguero oder einfach einen netten Plausch mit anderen Besuchern:

„Nichts davon war eingetreten, stattdessen war es richtiggehend unterirdisch. Wir sind wahrscheinlich nicht die Einzigen, die solche Erfahrungen gemacht haben auf ihren ersten Milongas. Aber ich frage mich: Muss das so sein?“

Tja, meine Liebe, da warst du mehr als zehn Jahre zu spät dran! 2015 waren diese knöchernen Strukturen im Tango bereits Allgemeingut. Und wie der Titel „Marathon“ andeutet, dürfte das Leiden noch einige Zeit angedauert haben.

Was Birgit Hess daher für nötig hält, gleicht ziemlich dem, wofür ich seit vielen Jahren werbe: 

„Zum Beispiel, indem wir neue Gesichter freundlich willkommen heißen (…). Und natürlich, indem wir mit den ‚Neuen‘ tanzen, und zwar so, dass ihnen nicht die Ohren schlackern nach der gemeinsamen Runde, sondern dass sie motiviert von der Tanzfläche gehen mit dem dringenden Bedürfnis: ‚Das will ich jetzt auch lernen!‘ (…) Welches Ausgangslevel der Einzelne hat, spielt dabei gar keine so große Rolle. Wichtiger ist die Haltung: Hat ein Tangotänzer diesen ‚Hunger‘, macht ihn das in meinen Augen zu einem attraktiveren Tänzer als einen erfahrenen Tangomacho, der nichts anderes ausdrückt als ‚Ich kann eh schon alles, mich überrascht hier nichts mehr.‘“

Was mich überaus freut: Hier traut sich einmal eine Frau, das öffentlich auszusprechen, was ich sonst meist in privaten Mails zu lesen bekomme. Und noch dazu jemand, der als Veranstalterin inzwischen einen gewissen „VIP-Status“ einnimmt und es daher nicht mehr nötig hätte. Schlecht fürs Geschäft, aber gut für die Wahrheit

Ich darf es nochmal deutlich sagen: Diese Hochnäsigkeit selbsternannter „Tango-Cracks“ und den Empathiemangel von Veranstaltern haben Karin und ich hunderte Male erlebt. Beides ist für den Tango gefährlicher als alle Viren zusammen. Ich hoffe, dass Corona hier für eine Zäsur sorgt: Wenn es denn mit unserem Tanz wieder losgeht, backen diese Herrschaften hoffentlich kleinere Brötchen. Dann muss aber auch die klare Ansage der vernünftigen Gäste her: Entweder diese Machtspielchen hören auf oder ihr verzichtet auf uns als Besucher!

Leider nennt die Autorin die Milonga nicht, auf der sie die fürchterlichen Anfangs-Erfahrungen gemacht hat. Aber das wäre wohl des Mutes zu viel…

Was ich ebenfalls bestätigen kann: Die Rettung kommt dann von den wenigen Veranstaltungen, in denen ein freundlicherer Geist herrscht. Hier spielt die Schreiberin denn auch mit offenen Karten und weist auf die Milongas des Vereins „Tango Luna“ in Kaufbeuren hin. Tatsächlich kann man diesen Organisatoren bei allen Schwächen eine große Zugewandtheit nicht absprechen. Ich habe in zwei Artikeln darüber berichtet:

http://milongafuehrer.blogspot.com/2016/11/im-sudwesten-was-neues.html

http://milongafuehrer.blogspot.com/2017/05/wassertreten-im-museum.html   

Und Birgit Hess berichtet von einem Traumtango aus ihren Anfangszeiten – dass sie ihn mit dem Herausgeber dieses Newsletters tanzte, ist natürlich ein glücklicher Zufall. Auch hier nennt sie den Ort: den Sennhofsaal des Tanzsportvereins „Risstino“ in Biberach.  

Tja, da wäre ich fast auch mal gewesen. Man hatte mich vor langer Zeit zu einer Buchlesung eingeladen. Leider bekam der Veranstalter angesichts Cassielscher Hetze in letzter Minute kalte Füße und verlangte von mir eine von allzu bösen Anspielungen gereinigte Version meiner Buchzitate. Ich habe den Auftritt dann abgesagt. Aber das war vor der Zeit von Birgit und Dieter Hess. Solche Warnzeichen haben aber die wenigsten verstanden.

Abschließend kann ich nur sagen: Hut ab vor der Offenheit, mit der die Schreiberin hier ihre Erfahrungen darlegt. Ihren Mut haben nicht viele. Oft genug bilden Tango und Ehrlichkeit ja ein Gegensatz-Paar!

Quelle:

Den Newsletter-Text kann ich leider nicht verlinken. Aber man bekommt ihn wohl durch Anmeldung unter der Adresse

https://www.tangoambodensee.info/index.php/component/acymailing/user/modify?Itemid=129

Illustration: www.tangofish.de

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