Das Volk der dichten Denker
Ohne Zweifel: Die Pandemie hat wieder einen neuen Aufreger produziert:
Über 50 mehr oder weniger herausragende deutsche Schauspieler/innen haben unter dem Hashtag #allesdichtmachen kurze Videos veröffentlicht, in denen sie sich satirisch bis sarkastisch mit der Situation der Künstler, unserer geistig-seelischen Stagnation, den gleichgeschalteten Medien und den (verfehlten) Maßnahmen der Regierung auseinandersetzen.
Wer wenigstens ab und zu eine Tageszeitung liest, musste natürlich wissen, dass der Beifall dafür auch von der weniger appetitlichen Seite kommen werde. So überbrachte Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, der „tollen Aktion“ auf ihrer Facebook-Seite ihren „herzlichen Glückwunsch“ und schrieb:
„So nimmt beispielsweise Jan Josef Liefers die Medien in einem Videoclip ironisch auf die Schippe. Er bedankt sich ‚bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben.‘
Liefers zielt damit richtigerweise auf die einseitige Berichterstattung der Medien ab. Denn die sogenannten Leitmedien fungieren nicht länger als vierte Gewalt im Staat, die die Regierungspolitik kritisch beleuchtet, sondern sie machen sich zu Erfüllungsgehilfen einer von Panik durchsetzten Politik, die wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und kein Problem damit hat, die Freiheit der Menschen in jedem Bereich ihres Lebens einzuschränken.
Hut ab vor den Prominenten, die sich der Hatz der Regierungsfans nun freiwillig aussetzen, um auf die durch die Regierung ausgelöste Lockdownkrise hinzuweisen.“
https://www.facebook.com/aliceweidel
Zusammen mit dem Kollegen Volker Bruch („Babylon Berlin“) scheint Liefers zu den Initiatoren der Kampagne zu gehören. Was spricht er in seinem Video sonst noch an?
Die Medien würden dankenswerterweise dafür sorgen, dass „kein unnötiger, kritischer Disput“ uns von den „sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung“ ablenken könne. Wissenschaftler, zum Beispiel Professoren an weltberühmten Universitäten sowie Nobelpreisträger, die zu anderen Schlüssen kämen als „die beratenden Experten unserer Regierung“, würden ignoriert. Gegen neuerdings „aufkeimende Ansätze kritischen Journalismus“ müssten wir uns wehren und alles tun, was man uns sage: „Verzweifeln Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht!“
https://www.youtube.com/watch?v=p4t8NufAgXo
Neben richtigem bis rechtem Lob – auch Hans-Georg Maaßen ist begeistert – erntete die Aktion aber auch heftige Kritik von Künstler-Kollegen.
Der Pianist Igor Levit twitterte, die stumpfste Waffe gegen die Pandemie sei schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloß fader Zynismus sei, der niemandem helfe, sondern nur spalte.
„Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben", so Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist.
Satiriker Jan Böhmermann gar empfahl alternativ eine Dokumentation des RBB über die Corona-Intensivstation der Berliner Charité.
Nun gibt es erste Absetzbewegungen: Inzwischen sind von den 53 Videos auf der Seite https://allesdichtmachen.de/ noch 39 übrig. Heike Makatsch beispielsweise hat ihr Video löschen lassen und schreibt: „Ich erkenne die Gefahr, die von der Corona Pandemie ausgeht und will niemals das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen schmälern und sie womöglich dadurch verletzen.“ Weiterhin distanziert sie sich scharf von rechtem Gedankengut. Sie habe lediglich „Raum für einen kritischen Diskurs“ schaffen wollen.
Auch Jan Josef Liefers will nicht missverstanden werden und gibt nunmehr auf Twitter bekannt: „Eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück. (…) Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD."
Der Organisator der Aktion „allesdichtmachen“, der Münchner Filmproduzent Bernd K. Wunder (bürgerlich: Bernd Katzmarczyk), bestreitet ebenfalls eine Nähe zu Coronaleugnern und ähnlichen Zeitgenossen. In einem Interview mit dem NDR-Magazin „Zapp“ versichert er nun, man habe lediglich der „Debattenkultur“ aufhelfen wollen: „Wir sind bei all jenen, die zwischen die Fronten geraten sind. Den Verängstigten, den Verunsicherten und Eingeschüchterten und jenen, die verstummt sind.“
Wunder ist allerdings durch eindeutige Schmähsprüche bekannt: Im Mai bzw. im August 2020 nannte er Befürworter der Corona-Maßnahmen auf Instagram „Mundschutzknappen" und „Coronazis".
Unaufgeregt klingt, was die Öffentlich-rechtlichen Sender und die Bundesregierung dazu verlauten lassen. So dementierte die ARD im Netz kursierende Falschmeldungen, dass sie Produktionen mit den betreffenden Künstlerinnen und Künstlern einfrieren wolle. Auch für diese gelte schließlich die Meinungsfreiheit. Und Gesundheitsminister Spahn gibt zu Protokoll: „Dass es Kritik und Fragen gibt an den Maßnahmen und den Hintergründen, das finde ich nicht nur normal, das finde ich in einer freiheitlichen Demokratie wünschenswert." Er könnte sich eine Diskussion gut vorstellen.
Wenn ich auch mal was dazu sagen soll:
Natürlich dürfen die das. Meinung und erst recht Kunst sind hierzulande frei. Zudem sagen Schauspieler/innen normalerweise Texte auf, welche Autoren für sie schreiben. Wenn die betreffenden Miminnen und Mimen es nun für angebracht halten, ihre ersten satirischen Selbstversuche gleich ins Netz zu stellen, darf man es ihnen nicht verwehren. Ihnen eine Neuauflage der Cancel Culture aufzustreichen wäre skandalös. Zudem löst der Gedanke bei mir Panik aus, Jan Josef Liefers könnte nun im „Tatort“ durch Till Schweiger ersetzt werden – auch wenn seine Rolle als Professor Karl-Friedrich Boerne bei ihm ins Privatleben auszuufern droht.
Nur, ihr Lieben, sage ich als kriegsgestählter satirischer Obergefreiter: Man sollte zuerst überlegen, was man heraushaut – und dann dazu stehen und seine Texte hartnäckig gegen Attacken aller Art verteidigen. Machen Dieter Nuhr und ich seit vielen Jahren so. Nun aber abzutauchen oder halbgare Dementis zu veröffentlichen geht gar nicht!
Apropos: Dem Düsseldorfer Kabarettisten hat man ja immer wieder vorgeworfen, seine Satire richte sich nicht auf die Obrigkeit, sondern gegen unten. Ob dies allgemein oder gar auf Greta Thunberg bezogen stimmt, kann man bezweifeln. Bei den über 80000 deutschen Corona-Toten hingegen ist sicher: Sie liegen unter der Erde – und die Stimmung von einigen hunderttausend Angehörigen und Freunden dürfte sich ebenfalls auf niedrigem Level bewegen. Die von deren Ärzten und Pflegekräften ebenso. Es wäre kein Fehler gewesen, dies mit einem Satz in die Videotexte einfließen zu lassen. Den etwa 20000 deutschen Schauspieler/innen geht es sicher schlecht – aber immerhin leben sie noch.
Wogegen ich mich aber entschieden wende: Der Satiriker muss sich grundsätzlich nicht darum kümmern, von welcher Seite er Beifall erhält. Dass irgendein Depp an der falschen Stelle klatscht oder gar lacht, hat nicht der Künstler zu verantworten, sondern der Depp. Freilich sollte man es ihm nicht zu leicht machen. So hätte Liefers‘ Bekenntnis, keine Sympathien für die AfD zu hegen, besser in einen Nebensatz seines Videos gepasst denn in einen strammen Hinterher-Disclaimer.
Was auffällt, ist die hohe Quote von „Tatort"-Darstellern. Zunächst bin ich natürlich froh, dass diese in ihren Videos weniger nuscheln als im Krimi – und nicht von Hintergrundmusik unterlegt sind. Ich fürchte nur, die Herrschaften haben sich daran gewöhnt, dass Probleme im Fernsehen in 90 Minuten gelöst werden – und dass die Leichen gar nicht echt sind. Das sorgt für Realitätsverluste.
Klar, dass man nun den Hashtag #allesdichtmachen durch die Frage ersetzt, ob denn die Video-Produzenten noch ganz dicht seien. Ich glaube schon: Dicht sind sie wohl, aber keine Dichter.
Das auf Johann Musäus zurückgehende Wort von Deutschland als „Land der Dichter und Denker“ spart ja die Schauspieler aus. Erst recht, wenn sie sich ihre Drehbücher selber schreiben.
Edit (24.4., 12.00 Uhr): Wie nun zu lesen ist, hat der Regisseur Dietrich Brüggemann viele der Videos aufgenommen und auch Skripts verfasst. Die Schauspieler/innen hatten wohl wenig Ahnung, in welchem Rahmen die Aktion stattfand. Den aufkommenden Shitstorm dagegen nennt er nun „faschistoid".
Weitere Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-allesdichtmachen-schauspieler-101.html
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-allesdichtmachen-promi-aktion-wirbel-100.html
https://www.sueddeutsche.de/panorama/allesdichtmachen-prominente-corona-videos-1.5273716
https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_89901734/-allesdichtmachen-wer-steckt-hinter-der-umstrittenen-corona-aktion-.html
"Es ist unwichtig was Prominente meinen" sagte Jürgen Klopp zu Corona. Besser kann man es nicht ausdrücken.
AntwortenLöschenhttps://www.facebook.com/watch/?v=623977358178266
Das hätten diese Herrschaften auch beherzigen sollen!
Vielen Dank für das Video! Es ist beruhigend, dass sich Prominente auch einmal so äußern können.
LöschenAber so ist das in einer Krise: Es gibt unglaublich viele Menschen, die ganz genau wissen, was zu tun ist. Aber deutlich weniger Leute, welche dann tatsächlich etwas machen...
Inzwischen verdichten sich die Indizien, dass die Aktion zentral gesteuert wurde und die Texte keineswegs von den einzelnen Künstlern stammen. Die Hauptfigur war wohl der Regisseur Dietrich Brüggemann; die Spuren führen teilweise ins Querdenkermilieu:
AntwortenLöschenhttps://www.tagesspiegel.de/kultur/wer-steckt-hinter-allesdichtmachen-eine-spur-fuehrt-ins-querdenker-milieu/27140704.html