Die Corona-Helikopter

 

Über die Tendenz heutiger Eltern, wegen jedem Käse Vernichtungsfeldzüge gegen die Schule oder (noch besser) einzelne Lehrer zu führen, habe ich längst berichtet:

https://gerhards-lehrer-retter.blogspot.com/2015/07/helikopter-eltern-wirbel-garantiert.html 

Zu Corona-Zeiten ergeben sich für diesen Personenkreis natürlich ungeahnte neue Möglichkeiten. Lange Zeit war es vor allem die Maskenpflicht an den Bildungseinrichtungen, gegen die man das Totenglöcklein läutete. Nun scheint aber trotz gelegentlicher, mutiger Behauptungen doch kein Kind blau angelaufen oder gar verstorben zu sein. Schade drum…

Glücklicherweise gibt es gerade in Bayern nun einen neuen Aufreger: Die kultusministeriell angeordneten Corona-Schnelltests ein- bis zweimal die Woche, welche natürlich irgendwo zwischen Körperverletzung und Kindsmissbrauch rangieren. Über die genaueren Abläufe beim amtlich vorgeschriebenen Nasepopeln habe ich ebenfalls berichtet:

http://milongafuehrer.blogspot.com/2021/04/zum-testen-was-neues.html

Als Beispiel hier ein Artikel, den der Journalist Boris Reitschuster vor zwei Tagen auf seinem stark frequentierten Blog veröffentlichte:  

https://reitschuster.de/post/zwangstests-soeder-uebergeht-eltern/?fbclid=IwAR11q_Wa-Vc5uK0xocdYhbZSdiffzDoR9CMDP-92QMw4jLuydgAdHf_3DZk

Der Text zitiert eine Petition an den Bayerischen Landtag, in der es unter anderem heißt:

„Die Grundrechte, die auch für Kinder gelten, werden ignoriert. Immer weniger Rechte und immer mehr Pflichten werden verkündet. … Unseren Kindern wird in diesen schweren Zeiten mittlerweile zu viel zugemutet … Wird es noch mehr Voraussetzungen in Zukunft geben, damit unsere Kinder ihrer Schulpflicht nachgehen können? (…) Zwingt die Kinder nicht, Dinge tun zu müssen, die sie nicht wollen! Lasst die Kinder wieder Kinder sein!“ 

Weiterhin wird ein Anschreiben einer bayerischen Grund- und Mittelschule an die Eltern abgedruckt, bei dem allerdings dank der Schwärzungen nicht klar wird, von wem es genau verfasst wurde – lediglich ist zu lesen: „Im Namen der Kolleg*innen“. Die Bedenken, welche darin geäußert werden, klingen teilweise kabarettreif: Was, wenn „Schmerzen in der Nase, Nasenbluten, Lösungstropfen auf der Kleidung, am Körper“ aufträten? Ich darf aus Erfahrung versichern: Im normalen Schulbetrieb hat Nasenbluten andere Ursachen, und auf Haut plus Kleidung landen ganz andere Flüssigkeiten!

Und klar, als Lehrer sei man medizinisch nicht geschult. Ich wurde in der letzten Zeit öfters gefragt, wer denn diese schulischen Tests durchführen solle. Meine Antwort aus über 35-jähriger Erfahrung in dem Job: Natürlich die Lehrer, wer sonst? Wir durften doch schon bisher auf dem Schulfest Quizspiele organisieren, Waffeln backen und Hüpfburgen aufbauen, ohne es studiert zu haben…

Übrigens stammt der Artikel gar nicht von Boris Reitschuster selber, sondern von einem Kollegen, der bei diesem Thema nicht namentlich genannt werden wolle – was einiges über die Atmosphäre in unserer Gesellschaft und in unseren Medien aussage. Ich finde, es sagt mehr über die heutigen Zustände aus, dass im Internet haufenweise anonyme Hassbotschaften kursieren.

Übrigens wird das Blog „reitschuster.de“ von vielen Fachleuten in den Bereich des Rechtspopulismus eingeordnet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Boris_Reitschuster

Klar, dass sich auch die AfD begeistert des Themas annimmt. So bietet deren Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt Eltern, die gegen den „Corona-Testzwang“ vorgehen wollen, Hilfe an. Die Landesregierung wolle „durch Massentestungen von völlig symptom- und beschwerdefreien Schülern die Inzidenzwerte künstlich hochhalten oder gar erhöhen, um ihre destruktive Corona-Politik zu rechtfertigen.“

Ein Muster-Beschwerdeschreiben ist beigefügt, ebenfalls eine Partei-Mailadresse, auf der man „Fehlverhalten von Schulpersonal“ melden könne:

„Deutschland. Aber normal.“

https://cdn.afd.tools/sites/177/2021/04/09150012/Nein-zum-Corona-Testzwang-an-Schulen-Handlungsanleitung-f%C3%BCr-Eltern-2.pdf

In der Facebook-Gruppe „Wissen ist Macht“ wird ein anderer Artikel Reitschusters verlinkt, in dem er über einen gerichtlichen Eilantrag zweier bayerischer Schüler gegen die Corona-Testpflicht berichtet. Typischerweise ist hier die Gangart der Kommentare härter. Eine Kostprobe:

„Das sollte in ganz Deutschland verboten werden. Es ist nicht mehr normal, dass Kindern wegen eines Virus, bei dem sich Gesunde testen lassen müssen, ob sie gesund sind, den Infizierte teilweise nicht einmal bemerken, misshandelt werden. Nicht genug, dass ihnen die Kindheit, in Form von Freunden, Freizeitaktivitäten und Spaß genommen wird, sie mit einem Rotzlappen vor'm Gesicht, bei weit geöffnetem Fenster im Winter unterrichtet werden oder zu Hause eingesperrt sind, jetzt werden sie auch noch dieser schmerzhaften Prozedur unterzogen. Dieses Land ist krank, dass es seine Kinder so vor die Hunde gehen lässt und dann gibt es tatsächlich regierungsunterwürfige Eltern, die das auch noch begrüßen!“

https://www.facebook.com/wimacht/posts/2530295867279452

Ich bin gespannt, ob ebenso ausführlich darüber berichtet wird, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag am 12.4. zurückgewiesen hat:

https://www.infranken.de/lk/forchheim/testpflicht-an-bayerischen-schulen-bestaetigt-forchheimer-anwalt-geklagt-art-5190177

Klar ist die Situation der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern seit über einem Jahr problematisch. Und es trifft natürlich vor allem die hart, deren Lebenskonzeption schon vor Corona eher schwierig war. Aber was soll der Staat denn machen? Weiterhin auf Distanzunterricht setzen – was natürlich gerade von Alleinerziehenden heftig beklagt wird? Die Schülerinnen und Schüler ohne Testmaßnahmen in die Klassenzimmer lassen? Eine optimale Lösung ist nicht in Sicht. Weniger wegen der unfähigen Politiker als durch ein sehr fähiges Virus.

Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als Lehrer meine ich, den Kindern ist es lieber, in der Schule wieder im sozialen Kontakt lernen zu dürfen. Das bisschen Nasepopeln finden sie wahrscheinlich eher interessant – zumindest am Anfang. Und natürlich muss das Ganze unterrichtlich und pädagogisch begleitet werden. Ich würde meine Schützlingen jedenfalls erklären, dass ein positives Testergebnis keine Katastrophe ist: Erstens ist ja die Möglichkeit einer falsch positiven Anzeige ziemlich groß, und vor allem würde sie eine Corona-Infektion mit ziemlicher Sicherheit kaum gesundheitlich beeinträchtigen. Aber es ist wichtig, das zu überprüfen, damit sie nicht ihre Eltern oder Großeltern anstecken. Kinder verstehen solche Erklärungen durchaus – vielleicht mehr als manche Erwachsene.

Nach meinem Eindruck sind es oft diejenigen, welche durch ihre überzogen panischen Reaktionen die Kleinen ängstigen: Wenn schon die Großen derartig durchdrehen, muss es doch wirklich schlimm sein…

Gerade eben erreichte mich ein Facebook-Kommentar: Kinder kann man auch in den Krieg schicken, wenn man ihnen weismacht, dass das für einen guten Zweck ist. Die Geschichte ist voll davon... Manche nennen sowas moralischen Kindesmissbrauch.“

Ich glaube, das gerade Gegenteil ist der Fall: Kinder muss ein Urvertrauen gegenüber ihrer Umwelt vermittelt werden. Es wird schon alles gutgehen – und auf die Erwachsenen, auch die Lehrer, ist Verlass. „Moralischer Kindesmissbrauch“ ist es eher, wenn Kindern nichts mehr gefällt, weil man ihnen beigebracht hat, sich nichts gefallen zu lassen.

Daher rate ich den corona-beflügelten Hubschrauber-Pilot*innen, das Rotieren einzustellen. Ihre Kinder gehen – zumindest nach so langer Pause – gerne wieder zur Schule. Verderben Sie ihnen den Spaß nicht.

Schließlich hat uns bereits Altmeister Goethe den Weg gewiesen:

„Man könnt' erzogene Kinder gebären, wenn die Eltern erzogen wären.“


 

Kommentare

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