Ferner Liefers
Die folgende Ansprache hielt der Schauspieler Jan Josef Liefers am 4.11.1989 bei der
DDR-Großdemonstration am Berliner Alex. In einer langen Rednerliste agierte er damals noch unter „ferner liefen":
„Ich möchte drei Überlegungen mitteilen:
In den letzten Wochen haben hunderttausende Menschen auf den Straßen unseres Landes das Gespräch eingefordert. Wir alle führen es seit kurzer Zeit. Natürlich hat jeder das Recht, Partner in diesem Gespräch zu sein. Aber ich meine, wir sollten darauf achten und uns verwahren gegen mögliche Versuche von Partei- und Staatsfunktionären, jetzt oder zukünftig Demonstrationen und Proteste von Menschen unseres Landes für ihre Selbstdarstellung zu benutzen, Initiatoren und Führer des begonnenen gesellschaftlichen und politischen Reformprozesses zu sein.
Der zweite Gedanke: Zur ganzen Frage der führenden Rolle überhaupt meine ich schon, dass sie zur Disposition gestellt werden muss. Zur Demokratie gehört für mich, dass keine gesellschaftliche Kraft allein diese Rolle okkupieren noch sich um sie bewerben, sondern sie bestenfalls erringen kann – und zwar in täglicher Arbeit, demokratisch und eindeutig durchschaubarer demokratischer Arbeit und entsprechenden Resultaten. So lange die Spitze der SED nur auf unser aller Druck reagiert, kann meiner Meinung nach von führender Rolle nicht die Rede sein. Außerdem haben, so denke ich, allein die in diesem Land verbliebenen und verbleibenden Menschen darüber zu entscheiden, wen sie mit der Führung beauftragen.
Und der dritte Gedanke: Es ist richtig, jeden Menschen zu ermutigen, die durch die Politik von Partei und Regierung entstandene Krise in unserem Land durchzustehen. Ich glaube allerdings nicht, dass in 40 Jahren DDR-Geschichte nur immer wieder einzelne Personen in Krisen führten, sondern auch die von ihnen geschaffenen und zementierten Strukturen. Die vorhandenen Strukturen, die immer wieder übernommenen prinzipiellen Strukturen lassen Erneuerung nicht zu. Deshalb müssen sie zerstört werden. Neue Strukturen müssen wir entwickeln für einen demokratischen Sozialismus. Und das heißt für mich unter anderem: Aufteilung der Macht zwischen der Mehrheit und den Minderheiten."
https://www.youtube.com/watch?v=IRFeltARl9c
Der Sprecher war damals 24 Jahre alt und gehörte nicht direkt zu den Verfolgten des DDR-Regimes: 1980 absolvierte er die Polytechnische Oberschule und machte eine Tischlerlehre am Staatstheater Dresden. Von 1983 bis 1987 studierte er an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Zum Zeitpunkt seiner Rede war er Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin. Unmittelbar nach der Wende wechselte er an das Thalia Theater in Hamburg. So viel zu den „in diesem Land verbliebenen und verbleibenden Menschen"...
Liefers stammt aus einer Schauspielerfamilie. Auch seine Lebenspartnerinnen kommen regelmäßig aus diesem Beruf. Sein Ex-Schwiegervater war der Regisseur und Schauspiellehrer Oleg Tabakow, der in der Sowjetunion Karriere machte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Josef_Liefers
Liefers dürfte zu den bestbezahlten deutschen Schauspielern gehören. Nach meinen Recherchen erhält er als Gage für eine „Tatort“-Folge 190000 Euro, der Regisseur knapp 30000 Euro, Aufnahmeleiter und Kostümbildnerinnen ungefähr 4500 Euro. Bei seinem versprochenen Engagement für den demokratischen Sozialismus hätte Liefers also noch Luft nach oben…
https://www.vermoegenmagazin.de/gagen-tatort-kommissare/
Was der junge Liefers 1989 am Berliner Alex forderte, klingt weitgehend wie eine Beschreibung des Staates, in dem er heute lebt. Von der „führenden Rolle“ einer Partei ist derzeit nichts zu spüren – im Gegenteil: Wir wissen nur, dass die bisherige Machthaberin abtreten wird, und zwar ohne von einem Politbüro dazu genötigt worden zu sein. Ob es nun grünschwarz, rotgrün oder irgendwie mit gelb weitergeht, steht in den Sternen. Allerdings hat der Schauspieler die Wahlchancen der Reaktionäre durchaus gefördert.
Ebenfalls sind „Versuche von Partei- und Staatsfunktionären, jetzt oder zukünftig Demonstrationen und Proteste von Menschen unseres Landes für ihre Selbstdarstellung zu benutzen“ nicht zu befürchten. Deren Porträts in Sträflingskleidung werden derzeit immer wieder durch die Hauptstadt getragen – und man fordert, ihnen dereinst den Prozess zu machen.
Die „Krise in unserem Land“ ist hauptsächlich nicht „durch die Politik von Partei und Regierung“
entstanden, sondern durch ein heimtückisches Virus. Aber Liefers hat Recht,
wenn er damals eine „eindeutig
durchschaubare demokratische Arbeit“ forderte. Mich würde es beispielsweise
brennend interessieren, ob er den Text
seines aktuellen Videos selber verfasst hat oder – wenn nicht – er wirklich eine
freie Entscheidung darüber hatte, ob er diesen Mumpitz vortragen wollte. Aber
mit so viel Transparenz werden wir
hier nicht verwöhnt. *
Sein jetziges Video wird auch nicht gerade von der Absicht getragen, „jeden Menschen zu ermutigen", die Krise durchzustehen. Eher versucht er, mit Sarkasmus zu provozieren.
Und ja: Die „Aufteilung der Macht zwischen der Mehrheit und den Minderheiten“ ist ein wichtiges Essential der Demokratie. Meinungsumfragen zeigen immer wieder, dass deutlich mehr Bürger die Corona-Maßnahmen der Regierenden unterstützen, sie sogar strenger wollen. Bei den letzten beiden Landtagswahlen erhielten Parteien eine Mehrheit, welche die Corona-Politik grundsätzlich bejahen – ohne dabei einen Zusammenschluss zur „Nationalen Front“ erdulden zu müssen.
Ich finde daher die Rede des „fernen Liefers“ von 1989 durchaus überzeugend und hoffe, dass er wenigstens die selber geschrieben hat. Ich würde ihn gerne fragen, ob die heutige Bundesrepublik seinen damaligen Forderungen wenigstens so ungefähr entspricht.
Allerdings deutete sich schon damals sein Talent an, sich als unterdrückter Intellektueller zu inszenieren. Er sollte es auf die Bühne beschränken. Sein Publikum ist inzwischen weitaus größer als damals auf dem Alexanderplatz. Erfahrungsgemäß werden die Reden dadurch nicht besser.
* In einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ vom 29.4. sagt Liefers:
„Mir wurden drei, vier bereits getextete Ideen angeboten, aber mit denen konnte ich nicht so viel anfangen und habe meinen Text dann lieber selbst geschrieben.“
* In einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ vom 29.4. sagt Liefers:
„Mir wurden drei, vier bereits getextete Ideen angeboten, aber mit denen konnte ich nicht so viel anfangen und habe meinen Text dann lieber selbst geschrieben.“
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