Petition und Bundeskanzleramt


Seit Beginn der Corona-Krise pausiert im Blog „Berlin Tango Vibes“ der „normale Betrieb“. Zu Wort kommen nun Berliner Aktivisten mit ihren Bekenntnissen, was denn für sie Tango sei und wie schlimm sie Corona treffe. Statt mit ihren früheren Kolleginnen gibt Laura Knight dieses Feuilleton zusammen mit der Autorin Lea Martin heraus.

Normalerweise sind mir die Schreiber der Texte dem Namen nach bekannt – nicht so die jüngste Interviewpartnerin, Caroline Waldeck. Neben einigen privaten Aussagen zum Tango ist viel von den Aktivitäten zur „Rettung des Weltkulturerbes“ die Rede. So liest man schon im Intro des Artikels:

Sie wirbt – gemeinsam mit anderen Aktiven – für Spendenkampagnen von Tangoprofessionals, stellt finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten zusammen, hat an einem politischen Positionspapier mitgewirkt und verfolgt das Ziel der Tangokultur insgesamt mehr politische Aufmerksamkeit zu verschaffen.“

Im Gegensatz zu mir googelte der Berliner Tangoblogger Thomas Kröter den Namen der Verfasserin und stellte fest: Bei der Dame handelt es sich um die Redenschreiberin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Waldeck betreut dort den Bereich „Reden und Texte“ im Rang einer Ministerialrätin.

Kröter missfällt das Verschweigen dieser Tatsache:

„Ich hätte eine tangotanzende Mitarbeiterin der Bundesregierung anders befragt als eine tanzende Musikerin. Oder einen Rentner. Denn der ‚berufliche Hintergrund‘ (…) steht für viele Tangoprofis und Soloselbständige im Vordergrund, wenn es um die Tätigkeit der Kulturstaatsministerin geht. Ihrer Chefin. Und die ist nicht eben unumstritten.
Ich hab’ mehr als 30 Jahre Journalismus in mir. Ich möchte wissen, ob jemand für die Regierung arbeitet, dessen/deren leidenschaftliche Tätigkeit für die Tangoszene ich bewundern soll.“

So sieht es nun auch die Mitautorin bei „Berlin Tango Vibes“, Lea Martin. Offenbar war sie ebenso überrascht von den Tatsachen, da ihre Kollegin Laura Knight das Interview allein geführt hatte:

„Was ich nicht mag, ist, dass Caroline in ihrem Interview verschweigt, dass sie für jemanden arbeitet, die als Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien auch für die Unterstützung der Kulturschaffenden in diesem Land zuständig ist, zu denen die Tango-Profis gehören. Ich weiß nicht, warum sie es verschwiegen hat, und es interessiert mich auch nicht.“

Na ja, mich schon…

Caroline Waldeck sieht das anders, wie sie auf Nachfrage Kröters mitteilt:

„Das ist ein Aspekt, den ich am Tango sehr schätze: dass auf Milongas und im Tanz die Umarmung und Verbindung zählt und nicht, ob jemand diesen oder jenen Job hat, wieviel Status / Prestige damit verbunden ist oder auch nicht, und ob man in Sachen Politik, Religion oder was auch immer auf einer Linie liegt.“

Das wäre richtig, wenn die Interviewte weitgehend aus ihrem privaten Tangoleben erzählt hätte. Es geht in dem Gespräch aber in großen Teilen um die Aktivitäten der Tangoprofis zur Rettung des Weltkulturerbes:

„Dafür haben wir Ideen gesammelt, in Chatgruppen mit vielen Berliner Tangoprofessionals diskutiert, deren Anregungen aufgenommen und all das auch in der großen Facebook-Gruppe ‚Tango in Zeiten von Covid 19: Solidarität in Berlin!‘ öffentlich zur Diskussion gestellt. Ich habe versucht, möglichst viel davon in ein politisches Positionspapier einfließen zu lassen, das wir mittlerweile an Kulturstaatsministerin Grütters übergeben und an Bundesarbeitsminister Heil, Bundesfinanzminister Scholz, Berlins Kultursenator Lederer und Berlins Regierenden Bürgermeister Müller geschickt haben.“

Da wird Frau Grütters sogar persönlich genannt – nicht jedoch, dass es sich um ihre Chefin handelt!

Übrigens scheint der Text der Petition, den ich bereits öfters kritisiert habe, federführend von der Autorin zu stammen. So schreibt Michael Sacher auf Facebook:  

„Ein ganz großer Dank gilt an dieser Stelle allen, die Stimmen gesammelt haben – und vor allem Caroline Waldeck, die aus nüchternen Eckpunkten kenntnisreich ein wunderbares Papier verfasst (und abgestimmt) hat, das dem Tango und unserer Leidenschaft entspricht.“

Wenn Frau Waldeck nun so dezidiert darauf besteht, Privates und Berufliches zu trennen, sollte man wissen: 2012 gab es eine heftige Debatte darum, dass sie zusammen mit der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ein Buch herausbrachte. Das „Geschmäckle“ dabei: Es handelte sich um ihre damalige Chefin im Ministerium.

Nicht nur bei der Online-Petition, sondern auch bei vielen anderen Tangothemen, die ich recherchiert und besprochen habe, gibt es einen gemeinsamen Nenner: Immer, wenn ich einen Stein umdrehte, wuselte es darunter. Auch die Reaktionen fielen meist ähnlich aus: Es wurde verschwiegen, vertuscht und notfalls gelöscht.

Dabei sind die Geschichten – so wie diese – manchmal gar nicht schrecklich skandalös. Aber man könnte doch Ross und Reiter nennen, beispielsweise die Autoren von Petitionen oder begleitenden Kitschtexten. Und es wäre nicht mal schlimm, wenn man nun eine Lobbyistin im Bundeskanzleramt hätte. Nur: Klar sagen sollte man es – und nicht der Devise von Fernsehredakteuren anhängen: Das versteht der Zuschauer nicht – also muss man das Publikum im Zustand der Verblödung halten. Und bei Kritik: Am besten ignorieren…

Daher sehe ich voraus, dass sich die Chefin des Blogs „Berlin Tango Vibes“, Laura Knight, nicht weiter zu der Sache äußern wird. Sie war schon bisher eine Meisterin im eleganten Umschiffen aller Untiefen.

Ja, so ist das im heutigen Tango: Eiapopeia, alle haben sich (und sogar einander) lieb, dem Kunden werden Augen und Ohren mit süßem Honigseim verklebt. Nachfragen oder gar Kritik sind unerwünscht.

Bevor ich‘s vergesse: Das gilt natürlich nicht für das Blog aus Pörnbach: Ich muss ständig hochnotpeinliche Verdächte ausräumen, unerlaubt und falsch zu zitieren, zu beleidigen, die Steuer zu hinterziehen oder die GEMA zu betrügen. Das Schlimmste daran: Ich schreibe immer wieder ganze Artikel, um mich zu rechtfertigen. Das haben andere selbstredend nicht nötig…

Aber immerhin ist den „Berlin Tango Vibes“ mit dem Interview der Ministerialrätin eine zwar wohl unbeabsichtigte, aber dafür glitzernde Satire gelungen. Der Titel des Artikels lautet nämlich:


Schöner kann man es nicht sagen…

Foto: www.tangofish.de

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