Von der Unfähigkeit, sich zu freuen
Auf
Empfehlung meines Gastautors Matthias Möbius habe ich mir gestern seine „Fundamentals“ zur Corona-Krise
angeschaut. Dort liest man vom Verhältnis unseres Staates zu seinen Bürgern:
„Die Medien werden
spätestens im März von Seiten der Politik angewiesen, die Gefährlichkeit der
Lage zu verbreiten. Dafür dient in Deutschland u.a. ein Strategiepapier des
Innenministeriums, welches unmissverständlich sagt, dass es Aufgaben der Medien
sei, den Menschen Angst zu machen, Angst vor Krankheit, Angst vor dem eigenen
Tod oder dem von Angehörigen. Ein Virus, der weder erforscht wurde noch mit dem
nötigen Nachdruck erforscht wird, ist ein idealer Angstmacher! Nahezu alle
Medien folgen diesen Vorgaben. (…)
Das Problem ist nicht Covid19, sondern ein bisher
nicht ausreichend erforschter Virus, der sich in den Köpfen weiter Teile der
Bevölkerung verbreitet. Hochrisikogruppe sind Politiker aller Parteien, die
allerdings kaum selber von den Folgen der Erkrankung betroffen sind.
Ansteckungsgefahr und die Sterblichkeitsrate bezüglich der Folgeerscheinungen
dieses Virus sind extrem hoch.“
Zum mentalen Ausgleich sah ich
mir anschließend eine Rede des letzten Sonntag verstorbenen Hans Jochen Vogel an.
Für die Jüngeren: Der promovierte
Jurist wurde bereits im Alter von 34 Jahren Oberbürgermeister von München (von
1960 bis 1972), danach war er Bundesbauminister (1972-1974), dann
Bundesjustizminister (1974-1981). 1981 übernahm er das Amt des Regierenden
Bürgermeisters von Berlin, 1983 war er Kanzlerkandidat, er führte bis 1991 die
SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und war von 1987 bis 1991 Vorsitzender
seiner Partei. Er wurde 94 Jahre alt.
In seiner Rede beim Festakt „20 Jahre Sozialdemokratie
im vereinten Deutschland" im September 2010 sagte er zum Schluss:
„Verehrte Anwesende, liebe Genossinnen und Genossen,
wenn ich das Programm richtig gelesen habe, dann
hören wir jetzt die Beethovensche Komposition, die sich mit dem Schillerschen
Text ‚Ode an die Freude‘ beschäftigt. Und da gestattet mir noch eine ganz
persönliche Bemerkung:
Wir leben in einer Zeit, wo die Politik beständig
kritisiert wird. Wo von Politikverdrossenheit, von Abwendung die Rede ist. Und
wo der heruntergezogene Mundwinkel leider oft zum Symbol der Einstellungen, der
Meinung wird.
‚Freude, schöner Götterfunken‘ – das Ehepaar Mitscherlich
hat ein Buch geschrieben über die Unfähigkeit der Deutschen, zu trauern. Da
ging’s um die NS-Opfer, mit Recht. Jetzt aber habe ich manchmal den Eindruck,
es müsste ein Buch geschrieben werden über die Unfähigkeit der Deutschen, sich
zu freuen.
Wisst ihr, ich war am 8. Mai 1945, zweimal
verwundet, in Kriegsgefangenschaft, glücklicherweise in Italien in
amerikanischer. Mir geht schon manchmal durch den Kopf:
Wenn einer damals zu uns gesagt hätte: Jetzt regt
euch mal nicht auf, in zehn Jahren werdet ihr eure Städte im Wesentlichen
wieder aufgebaut haben, in 12 bis 15 Jahren werdet ihr 15 Millionen
Heimatvertriebene und Flüchtlinge integrieren, ohne dass es zu einer großen
Auseinandersetzung oder Eruption kommt. Ihr werdet wirtschaftlich wieder Fuß
fassen und ihr werdet im Laufe der Jahre zu einer führenden Handelsmacht der
ganzen Welt werden. Und einer der Gegner, die Amerikaner, werden euch zumindest
psychologisch dabei auch noch helfen, mit dem Marschallplan, den man nicht
vergessen kann.
Wenn er weiter gesagt hätte: Trotz der furchtbaren
Verbrechen, die von dem NS-Regime von Deutschland ausgegangen sind, werdet ihr
in 20, 25 Jahren wieder ein anerkanntes Glied der Völkerfamilie sein, und ein
deutscher Bundeskanzler wird den Friedensnobelpreis bekommen. Wenn er gesagt
hätte, Krieg ist in Europa über Jahrzehnte hin unmöglich, 60 Jahre, 65 Jahre
Frieden – ein Frieden, den wir heute für so selbstverständlich halten, wie wir
in unserer Jugend gelehrt bekommen haben, dass Krieg selbstverständlich ist.
Die deutsche Einheit wird ohne einen Schuss und ohne
einen Tropfen Blut zustande kommen, und erstmals wird eine deutsche,
demokratische, friedliche Revolution siegen und nicht unterdrückt werden!
Wir hätten gesagt, hier ist ein Lagerlazarett, der
gehört zum Irrenarzt!
Freunde, und das füge ich auch noch hinzu: Dies ist
nicht alles gegen den wütenden Widerstand der politischen Parteien zustande
gekommen, wie man jetzt manchmal meinen könnte. Und die Sozialdemokratie hat zu
diesem, was ich gerade vorgetragen habe, in höchstem Maße beigetragen! Das darf
gelegentlich erwähnt werden. Und drum widersprecht, wenn die Politik und die
Parteien und insbesondere die unsere schlecht geredet werden!
Und ich sage, es ist sogar gelegentlich für das Wort
‚Dankbarkeit‘ Platz – Dankbarkeit dem Schicksal gegenüber oder wie ich persönlich
sage für mich: Dankbarkeit dem Herrgott gegenüber, dass wir in meiner Lebenszeit,
in einem Zeitraum von 65 Jahren, dies so sagen können.
Also, ‚Freude, schöner Götterfunken‘ – heute über
die deutsche Einheit und die Vereinigung der deutschen Sozialdemokratie! Ich
danke euch.
(Der Redeausschnitt beginnt bei 25:30)
Wahrlich: Wir hätten schon Grund,
uns zu freuen – auch und gerade in der momentanen Krise, die wir besser
meistern als die meisten Länder auf diesem Globus!
Etwas kürzer formulierte das meine
Blogger-Kollegin Manuela Bößel in einer hinreißenden Satire:
„Was sind denn das
für Leut', die nach Freiheit plärren? Denen fallen weder Bomben auf die Rübe
noch werden sie politisch verfolgt! Die haben sauberes Wasser, Anschluss an
medizinische Versorgung, Krankenkasse, soziale Absicherung und - nicht zu
vergessen – genug zu essen! Und Zugang zu Informationen!"
Woran
ich bei der Rede des Hans Jochen Vogel
auch denken musste:
Vielleicht
könnten wir uns daran erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland schon
einmal 15 Millionen Flüchtlinge und
Heimatvertriebene integriert hat – nach dem 2. Weltkrieg.
Zu
deren Nachfahren gehören auch meine Frau und ich. Ihre Eltern wurden aus dem
Baltikum vertrieben, meine aus dem Sudetenland. Mein Vater kehrte erst Ende
1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück, seine Familie wurde zunächst
auf dem Dachboden eines Wirtshauses nahe Ingolstadt einquartiert.
Ich
war also ein typisches Migranten-Kind.
Es war ebenfalls nicht direkt absehbar, dass ich einmal Abitur machen und
studieren könnte – mit staatlicher Förderung. Meine Eltern hätten das nicht
finanzieren können. Sie wollten eigentlich, dass ich nach der „Volksschule“
eine Lehre absolvierte. Es waren engagierte Lehrer, die sie davon überzeugten,
mich auf eine höhere Schule zu schicken.
Es
wurde mir also nicht direkt an der Wiege gesungen, dass ich meinen Lebensabend
als pensionierter Studiendirektor verbringen könnte. Ich muss allerdings
zugeben, nie in Innenstädten randaliert oder Schaufenster eingeschlagen zu
haben.
Dass
es in unserem Staat noch viel zu reformieren gibt, muss man einem Sozialdemokraten nicht sagen. (Gerade
heute kämpft ein gewisser Hubertus Heil im Bundeskabinett für bessere Bedingungen der
Gast- und Saisonarbeiter.) Und ich verbitte mir auch die Sprüche, die ich zum
Tode Hans Jochen Vogels im Netz immer wieder lesen musste: Ja, das sei halt
noch ein „richtiger Politiker“
gewesen – im Gegensatz zu den heutigen.
Vogel hat dazu einmal in einem Gespräch mit Helmut Schmidt das Passende gesagt: Man könne den heutigen Politikern
nicht vorwerfen, dass ihnen Schicksale
seiner Generation erspart geblieben seien. Hinzuzufügen wäre: Ich habe früher auch
intelligentere Wähler erlebt.
Klar,
auch bei der Corona-Krise haben die Verantwortlichen
nicht alles richtig gemacht. Vogel übrigens auch nicht. Und es gibt viele, die unter den Einschränkungen
und deren Folgen leiden. Wenn ich nun aber lese, man wolle am 1.8. in Berlin per
Demo das „Ende der Pandemie“ ausrufen,
bin ich dankbar, nicht von solchen Leuten regiert zu werden.
Danke Gerhard, es geht nicht immer um Tango, es geht nicht immer um rechthaben, es geht nicht immer nur um einen selbst. Beeindruckende Worte von Vogel und Manuela, einfach mal so zu Reflektieren. Und das Leben ist schön, und ich freue mich daran.....
AntwortenLöschenLieber Ernst,
Löschenherzlichen Dank - ich gebe das Lob gerne an Manuela weiter!
Ja, der Schluss der Rede von Hans Jochen Vogel, auf die ich zufällig gestoßen bin, hat mich sehr beeindruckt. Ich dachte, man sollte ihn in Schriftform erhalten
Liebe Grüße
Gerhard
Herr Riedl verfasst wieder einmal einen sachlichen Beitrag zum Tango. Oder doch nicht? Themaverfehlung? Herr Riedl ist doch so darauf bedacht, dass man sich an die vorgegebenen Themen hält - es geht also um Tango, oder? Naja - das gilt für alle - aber nicht für Herrn Riedl.
AntwortenLöschenAlso verfasst er einmal ein politisches Statement zur Lage der Nation :-)
Und recht hat ER: So gut wie heute, ist es dem Riedl noch nie gegangen! Er bekommt als "pensionierter Studiendirektor" (sic.) monatlich seine verdiente und schwer erarbeite fette Pension. Egal ob Corona oder nicht.
Nun, Herr Riedl, haben Sie jemals über Ihren fetten Tellerrand hinausgeguckt? Wie geht es denn den Krankenpflegerinnen, Turnusärztinnen, Kellnerinnen, Raumpflegerinnen, Erntehelferinnen, Touristenführerinnen, Pilotinnen, Bauarbeiterinnen, Künstlerinnen, Fernfahrerinnen, u.s.w. (eine unendlich lange Liste - und natürlich gilt sie auch für alle Arbeitnehmerinnen männlichen/diversen Geschlechts!!!)? Sie alle haben entweder ihren Job verloren oder stehen vor enormen finanziellen Einbußen. Gut geht's denen, gell?
Schon einmal etwas von der sich immer weiter öffnenden Armutsschere gehört?
Und wurden Sie als selbsternanntes "Migranten-Kind" (sic.) auch so behandelt, wie die typischen Migranten heute?
Wie wunderbar geht es uns doch heute! Gott sei Dank gibt's ja Hartz IV!
So schaut's aus - es lebe der Sozialismus!
Genießen Sie Ihren wohlverdienten und hart erarbeiteten Ruhestand - die oben erwähnten werden nicht mehr in den Genuss dieser Pension kommen!
Tun Sie doch nicht so, als ob Ihnen geringer Verdienende leid tun - die benützen Sie doch nur, um auf andere einzuschlagen. Wirkliches Mitgefühl sehe ich in Anbetracht Ihres "Gesamtwerks" überhaupt nicht.
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