Tango und Tanga
Nachdem
man auf dem Blog „Berlin Tango Vibes“
kürzlich ein eher politisches Interview in den Sand gesetzt hat, besinnt man
sich nun offenbar auf ein Thema mit Funktionsgarantie: Tango und Erotik.
Im
neuesten Artikel „Drei Minuten der
Wirklichkeit“ lässt es die Autorin Swantje Bernhagen ganz schön dampfen: Geschildert
wird die schlechte Erfahrung mit einem Tango-Macho
– aber wie das klingt, fühlt sich schon ziemlich lecker an:
„Seine halblangen, schwarzen Haare streicht er mit einer
leichten Bewegung seiner Hand aus der Stirn, sie haben sich aus dem im Nacken
gebundenen Zopf gelöst. Mit beiden Armen drückt er minutenlang und innig – nun
am Tisch angekommen – eine junge Frau in knappem Top, bauchfrei und weiten,
farbigen Pluderhosen. (…)
Da lässt er sich auf
den Stuhl fallen, beugt sich zu seinen Füßen und wechselt die Schuhe: weiße
Tanzschuhe mit goldenen Spitzen und feinem roten Rand. Seine Nadelstreifenhose
ist etwas ausgebeult, sein roséfarbenes Hemd trägt er locker über den Bund
fallend, die Wölbung eines ansetzendes Bauches kaschierend. Ein wenig Schweiß
überzieht seine Stirn, ein Dreitagebart, kleine Falten um Mund und Augen, Augen
eines Jägers.“
Tja,
das sind so die Mädchenträume, bei
denen Papa früher der Tochter geraten hat, sie nicht öffentlich zu erzählen…
Nicht
weit vom Groschenheft entfernt ist
auch der Blick in die andere Richtung:
„Eine junge Frau an
dem Tisch gegenüber lächelt ihn an. Sie sitzt sehr gerade, die Brust
präsentiert, stark geschminkt und figurnah gekleidet mit Rock und Oberteil in
schwarz und rot – auch sie ist bereit."
Und ja, so geht es auf unseren Milongas zu:
Tolle Schuhe, tolles
Kleid oder Rock oder Hose oder Hintern. Nichts bleibt ungesehen. Kennerblicke
beurteilen das Können der Tanzpaare, hier fällt die Vorentscheidung für die
Wahl des nächsten Partners bei der nächsten Cortina. (…)
Neben ihr sitzt nun
eine blonde, sehr junge Frau. Natürlich ohne Bauch, gertenschlank, die Haare
hochgesteckt. Ist Blond der Magnet? Kaum hat sie sich gesetzt, da wird sie
schon wieder aufgefordert… Ein alter Sack, fummelnde Hände an ihrem Körper, das
will Frau ja auch nicht…aber: Viele Männer wollen wohl gerade blond und jung…“
Wohl
wahr! Es wird jedoch auch ausgesprochen, was die Typen gar nicht wollen:
„… aber der Kodex
gebietet, dass der Mann auffordert, ja auch im Jahr 2020 kann sie als Frau in
Deutschland auf einer Milonga nicht davon ausgehen, dass ein Auffordern der
Frau gern gesehen wird! Außerdem: Ist es nicht das Mindeste, dass sie als Frau
zum Tanzen aufgefordert wird, spürt, dass der Tänzer mit ihr tanzen möchte?“
Na
ja, nicht unbedingt. Im Zweifel muss da schon der Rat der Modedesignerin Bettina Maria
Fahlbusch
her, welcher im Interview mit dem
Titel „Tango bedeutet Freiheit“ zum
Tragen kommt.
Grob gesagt: Freiheit bedeutet für die Damen, sich kleidungsmäßig den Zwängen
der „Tangokultur“ zu unterwerfen.
„Tango ist nicht nur
ein Tanz, er ist und hat vor allem eine ganz eigenständige tiefe Kultur. Das
wissen viele Tänzer hier in Europa oder den USA weniger, die meisten
fokussieren sich auf den Tanz oder die Musik oder das, was sie damit
assoziieren, aber Tango hat auch viele Geschichten (…)
In der Hinsicht bin
ich persönlich ein Freund der Tradition. Mein persönlicher Ausdruck ist eine
Hommage an diese Kultur. Ich zolle ihr Ehre und Respekt, indem ich mich
dementsprechend kleide. In Jeans und Turnschuhen zu erscheinen passt auf ein
Musikfestival oder in einen Nightclub, ist aber meinem Erachten nach eine
Ignoranz dieser Kultur. Es senkt den Standard und entspricht nicht dieser
reichen Geschichte. Tango hat etwas Besonderes.“
Ihre
Ratschläge dürften bei gewissen
Männern helle Freude auslösen:
„Und definitiv NICHT ‚sportlich‘
oder ‚unisex‘. Das sind Attribute und Konditionierungen, die die Modewelt
erfunden hat, oft von Herren, die aber nie gefragt haben, was Frauen gerne
anziehen. Diese Art von Mode ist vielleicht praktisch, aber es ist eine Art
Gleichschaltung. Alle können das Gleiche tragen, es orientiert sich an
Rentabilität innerhalb der Bekleidungsindustrie, aber nicht an Individualität.
(…)
Es gibt wunderbare
hübsche Frauen, die in grau, braun und schwarz herumlaufen und sich kleiden wie
Männer. Wo ist da die Weiblichkeit?“
Auch
diese Frage beantwortet sie anhand eines leckeren
Beispiels:
„Ich selbst hatte
einen Fauxpas mit einem zu losen Stretch-Bund: Ich habe mir zum Ende der Tanda
mit einem Boleo mit dem Absatz, der sich im Stoff verfing, den Rock
heruntergezogen, und stand plötzlich – auf recht freier Tanzfläche auch noch – im Tanga
da, zur hellen Freude meines Tanzpartners, der überzeugt war, ich hätte das nur
für ihn gemacht.“
Na,
für wen denn sonst? Nun wissen wir endlich, was Modeschöpferinnen unterm Rock
tragen – Tango und Tanga werden ja
häufig verwechselt…
Ich
frage mich nur, welcher Käse zukünftig noch vom „Tango-Weltkulturerbe“ abgeleitet wird. Von der Spendenbüchse zur Designer-Buxe scheint nur ein kurzer Weg zu führen.
Was
wir hier natürlich wiederfinden, ist eine grobe
Geschichtsklitterung: Der Trick mit den „erfundenen Traditionen“ funktioniert offenbar auf jedem Feld. Der
Tanz der armen Leute von einst wird mittels Retro-Plüsch zur eleganten Ballsaal-Atmosphäre umgelogen.
Auf
der Website der Autorin können wir unter der Rubrik „Artist Statement“ nachsehen:
„... Mir wurde oft gesagt,
dass meine Mode einen Duft vergessener, jenseitiger Zeiten trägt… von
russischen Prinzessinnen und Märchen, von den Mythen und Mysterien der
physischen Verzierung von der alten Geschichte bis zur zeitgenössischen
Couture.“
(von mir übersetzt)
Dazu noch eine schöne Geschichte: Eine Tangofreundin ging einmal in einem dunklen T-Shirt und Jeans zum Tanzen. Vorher wurde sie von einer nahestehenden Person gefragt: „Soll das Tangokleidung sein?“ Das lieferte ihr die Idee, sich das folgende Teil herstellen zu lassen. Ich habe damals spontan zwei Stück bestellt – für meine Frau und mich!
Bild: www.tangofish.de |
Kommentare
Kommentar veröffentlichen