Lüders‘ guter Tangounterricht


Dass den Münchner DJ und Blogger Jochen Lüders und mich eine innige Freundschaft verbinde, wäre maßlos übertrieben. Ich habe seine Beiträge zum Tango manchmal kritisiert, teilweise auch gelobt. Von seiner Seite kamen eigentlich nur Verrisse, einmal sogar eine Ausladung von seiner damaligen Milonga. Eine kleine Auswahl unserer gegenseitigen Einschätzungen:


Leider publiziert er – gerade in letzter Zeit – nur sehr wenig zu unserem Tanz. Nun aber hat er einen längeren Artikel zu einem (wie ich finde) sehr wichtigem Thema verfasst: „Guter Tango-Unterricht“. Er ist es wert, besprochen zu werden:

Der Gymnasiallehrer-Kollege konzentriert sich – wenig überraschend – auf methodisch-didaktische Aspekte und die üblichen Gruppen-Kurse (bzw. Workshops und Seminare).

„Es gibt ziemlich viel (größtenteils berechtigte) Kritik am Tango-Unterricht in Deutschland. Häufig heißt es, er sei ineffizient, frustrierend, die Abbruchraten (vor allem bei den Männern) seien sehr hoch.“

Lüders ist einer der wenigen, die sich (außer mir) diese Feststellung trauen. Er hat dazu ja schon einiges geschrieben (z.B. eine Artikelserie in der „Tangodanza“). Schon dafür gebührt ihm Anerkennung.

Im Zentrum seines Textes stehen die üblichen 90 Minuten-Einheiten. Wie sollten diese beschaffen sein?

Mit dem Ziel jedenfalls stimme ich schon einmal mit ihm überein: Mit einem kleinen Repertoire an Grundbewegungen bzw. Techniken sollten die Teilnehmer in möglichst kurzer Zeit „milongatauglich“ gemacht werden, anstatt ewig in Kursen herumzudümpeln.

Zu Beginn hält der Autor eine gute Viertelstunde „Aufwärmen“ für wichtig. Schon dabei empfiehlt er den gelegentlichen Rollentausch, auf dass die Männer merkten, wie problematisch ungenügende Führungsimpulse seien bzw. die Frauen die Erfahrung machten, wie schwer geeignete fielen, wenn man noch mit den eigenen Bewegungsproblemen kämpfe.

Für diese Sichtweise bin ich Jochen Lüders sehr dankbar: Im Mutterland des Tango war es lange Zeit selbstverständlich, dass Tango (zumindest ansatzweise) in beiden Rollen gelernt wurde. Im heutigen Tanzunterricht kommt das selten vor. Ich fürchte, bereits unter diesem Aspekt fallen 90 Prozent der hiesigen Tangokurse durchs Raster!

Auch der nächste Aspekt erzeugt bei mir heftiges Kopfnicken: Es wird in den Tangoschulen viel zu wenig wiederholt. Tänzerische Fähigkeiten wachsen nur millimeterweise. Lehrveranstaltungen, in denen in jeder Stunde eine „neue Figur“ geboten wird – möglichst noch ohne jeden Zusammenhang zum bisher Gelernten – nennt Lüders mit vollem Recht „didaktischen Schwachsinn“. Besonders extrem wird dieses Phänomen in den „drop in classes“, auf dass ein Einstieg jederzeit möglich werde. Nur: Vom gelegentlichen „Hereinschauen“ lernt man halt nicht Tango!

Gerade zu Beginn des Kurses sind also Wiederholungen des zuletzt Gelernten essenziell. Diese bilden natürlich auch ein wichtiges Feedback für die Lehrenden, wo es noch „hakt“ und wie man dies beseitigen könnte.

Als Mythos und Marketinginstrument bezeichnet Lüders die Feststellung, man müsse im Tango kreativ sein und improvisieren. Auf den Tanzflächen sehe man davon wenig. Stattdessen schlägt er die Begriffe „Abwechslung“ und „Variabilität“ vor. Seine Kritik, die ich voll teile:

Stattdessen zeigt der Maestro immer mal wieder, was er alles drauf hat und die Schüler sind gebührend beeindruckt, gelernt haben sie dadurch aber überhaupt nichts.“

Voraussetzung sei, dass man längere Zeit an einem Thema arbeite und dann – ausgehend von einer sicher beherrschten Grundbewegung – verschiedene Variationen erarbeite.

Persönlich möchte ich dennoch nicht vom Ziel der Improvisation lassen. Allerdings gebe ich zu: Das ist eine hohe Kunst, die man sich – bei entsprechender Begabung – in Jahren erwirbt. Und mit abwechslungsreicher Musik, welche die Kreativität herausfordert.

Beim Erlernen neuer Figuren hält der Autor nichts von der „induktiven Methode“:

„Eine beliebte Methode ist, das Neue zu demonstrieren, aber NICHTS zu erklären, sondern die Schüler erstmal selber rumwurschteln zu lassen. (…) Aus psychologischer Perspektive wird natürlich schnell klar, warum diese Methode bei Lehrern so beliebt ist. Nirgends sonst wird das Könnens- und damit Abhängigkeits- und Machtgefälle zwischen Lehrer und Schüler so deutlich wie hier. Der Schüler muss immer wieder erkennen, wie unfähig er ist, wie hilflos er rummurkst und wie abhängig er vom Lehrer ist.“

Weiterhin plädiert Lüders dafür, eine neue Schrittfolge im Ganzen vorzustellen, damit der Schüler wisse, was „herauskommen“ solle. Unnötig und verwirrend ist es für ihn auch, die Lernenden gleich mit einem Wust an Tipps und Feinheiten zu überschütten, was nur verwirre. Und: Die Figuren sollten eindeutig benannt werden, was eine sinnvolle Kommunikation ermögliche.

Grundsätzlich stimme ich auch hier zu, wobei ich halt mit dem Begriff „neue Figur“ Probleme habe. Er klingt mir zu sehr nach ADTV-Tanzschule. Tango besteht aus einzelnen Bewegungselementen, die in fast unendlichen Variationen miteinander verknüpfbar sind. Auf die sollte man sich konzentrieren. Aber vielleicht ist unser Dissens lediglich einer um Worte…

Beim Üben einer neuen „Figur“ bezeichnet der Schreiber die Methode „Vortanzen – Nachmachen“ als „BABS“ („Buenos Aires Bullshit“):

„Und dennoch schaut ein Großteil der Tangostunden so aus, dass der großartige Lehrer irgendwas perfekt vortanzt, danach ewig lang rumquasselt und anschließend sollen es alle ‚nachtanzen‘. Auf meine Frage, was das für ein komisches didaktisches Konzept sei, hieß es meistens, so habe man das selber in Buenos Aires auch gelernt, man unterrichte also ‚authentisch‘.“

Da müssen wir nicht lange diskutieren: Genauso ist es, zumindest für Anfänger – und ich habe diese Methode in vielen Artikeln als „steinzeitlich“ bezeichnet. Lüders‘ Wortschöpfung ist allerdings auch nicht schlecht.

Wovon ich weniger überzeugt bin: Dass die Männer und Frauen die Schrittfolge erstmal getrennt üben sollten. Aber klar, das mag unter diesen Bedingungen sinnvoll sein. Bekanntlich halte ich aber wenig davon, Leute aus demselben Leistungslevel in einem Kurs zusammenzusperren. Würde man Neulinge und erfahrene Tänzer kombinieren, könnte man von vornherein im Paar üben.

Im Gegensatz zu Lüders meine ich auch, dass im Unterricht viel zu wenig Musik gespielt wird. Das trockene Einzählen verführt zu einer mechanistischen Tanzweise. Und gerade im modernen Tango gibt es Stücke mit großer Variationsbreite, passend zu dem, was man üben will.

Als Lehrer plädiert Lüders für die Beibehaltung der Begriffe „richtig“ und „falsch“ im Tangounterricht. Von „anything goes“ hält er nichts. Klar gibt es beim Tanzen – so wie bei jeder Bewegungsweise – bessere, schlechtere und völlig idiotische Optionen. Ich meine dennoch, man sollte auf diese Killer-Vokabeln schon aus pädagogischen Gründen verzichten, da sie nur zu Verspannungen und Ängsten führen. Dass man korrigiert und geeignetere Lösungen vorschlägt, ist ja unbestritten. Und klar: Gerade der Anfänger kann in einem Moment nur auf eine Sache achten. Ihn mit mehreren Tipps parallel zu traktieren, verwirrt ihn nur.

Daher meine ich: Sicher geht auch im Tango nicht alles – aber doch mehr, als sich viele vorstellen können. Und dies ist Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen Stils.

Was Lüders zum Thema „Musikalität“ meint, will ich deutlich unterstreichen: Das zur Musik passende Tanzen muss natürlich ab der ersten Unterrichtsstunde geübt werden und nicht in irgendwelchen Sonder-Workshops. Über ihre Auswahl kann man lange streiten – für mich ist Abwechslungsreichtum langfristig eine Voraussetzung. Und: Diese Fertigkeit entwickelt sich, wenn überhaupt, in Jahren.

Dazu gehört natürlich auch, die Lernenden möglichst viel „frei“ tanzen zu lassen und nicht die Unterrichtseinheit bis zum Rand mit „Stoff“ vollzupacken.

Hier der gesamte Artikel: http://www.jochenlueders.de/?p=14477


Fazit:

Jochen Lüders‘ Blick auf den Tango-Unterricht berücksichtigt keine anderen Lernformen als den üblichen Gruppenunterricht. Gerade zu Corona-Zeiten hoffe ich, dass Lernende sich vielleicht überlegen, ob nicht Einzelstunden oder privates Üben mit Tanzenden unterschiedlicher Leistungsniveaus die bessere Alternative wären. Aber klar: Viele Neulinge wollen halt den „Kurs“, vielleicht auch wegen des sozialen Erlebniswertes.

Der Artikel des Münchner Kollegen bietet – vielleicht in Kombination mit meinem – so  glaube ich, gute Entscheidungshilfen bei der Wahl des passenden und effektiven Tango-Lernens.

Lüders' eigener Weg, so scheint es, war da ziemlich dornig: „Eine mehrjährige Odyssee durch die meisten bekannten Münchner Tango-Studios. Was ich dort an schlechtem Unterricht erlebt habe, hat mich teilweise sprachlos gemacht.“

Na, Gott sei Dank nicht ganz! Und wäre er mal nach Pörnbach gekommen, statt sich im Tangofrust der bayerischen Metropole zu verirren, hätte er sich wohl manche Probleme erspart…

Halten wir also fest: Was hierzulande an Tangounterricht geboten wird, ist überwiegend zum Davonlaufen. Aber: Heißt das nun, die meisten Tangolehrer seien talentfreie Dilettanten? Ich glaube nicht.

Ich fürchte, viele von ihnen wüssten schon, was nötig wäre, um wirklich effektiv und erfolgreich Tango zu lernen. Schließlich haben es die meisten von ihnen selber irgendwie hingekriegt. Was aber würde geschehen, wenn sie ihren Unterricht so anbieten würden:

„Glaubt nicht, dass ihr Tango nach ein paar Kursen beherrscht! Das dauert Jahre. Bei uns lernt ihr keine neuen Figuren, sondern einige Basiselemente, um auf Milongas zunächst einmal zurechtzukommen. Und vor allem, wie man musikalisch tanzt sowie beide Rollen lernt. Dazu wird viel wiederholt, damit sich Bewegungen automatisieren. Ferner müsst ihr selber viel tanzen gehen, diese Routine können wir euch nicht vermitteln.“    

Ich fürchte, bei einer solchen Werbung kämen nur wenig Schüler – und auch die würden bald zu einer neuen Lehrkraft wechseln: „Die im anderen Kurs können schon Ganchos!“

Nein, können sie natürlich nicht – sondern eine entsetzliche Bewegungsparodie.

Tja, vielleicht sollten Tangolehrer zwei unterschiedliche Arten von Kursen anbieten:

Grundkurs: Wie glaubt man, dass man Tango kann?
Dauer: 6 x 1,5 Stunden

Grundkurs: Wie lernt man wirklich Tango?
Dauer: 1000 – 10000 Stunden (je nach Begabung und Engagement)

Merke: Tango zu unterrichten ist ein hartes Brot – und völlig frei von Sinnlichkeit, Leidenschaft und Erotik!

https://www.youtube.com/watch?v=FjeDz_by3eA

 

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