Sind wir alle gleich doof?
Seit einiger Zeit schon verfolge ich die
YouTube-Videos unter dem Label „maiLab“,
die Rekord-Zugriffszahlen
verzeichnen. Autorin ist die promovierte Chemikerin, Wissenschaftsjournalistin
und Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim. Ihre Eltern
stammen aus Vietnam, sie studierte an der Universität Mainz und dem
renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology).
Seit 2015 veröffentlicht sie
auf einem
eigenen YouTube-Kanal, seit 2018
unter dem obigen Titel. Das jetzige Format wird vom Südwestrundfunk produziert.
Das Anliegen der glühenden Verfechterin
naturwissenschaftlichen Denkens ist es, Themen aus diesem Bereich auch Laien
verständlich zu machen.
Anfang
letzten Jahres veröffentlichte sie ein Video, das mich gerade als Blogger sehr interessiert
hat: „Erkennst du Fake News?“ Sie
besprach dabei eine Studie der Psychologen Craig A. Harper und Thom Baguley von der britischen Nottingham Trent University, welche
damals erst als Preprint vorlag
(also ein Vorabdruck, welcher noch nicht von wissenschaftlichen Autoritäten beurteilt war).
Wir alle können nicht jede Nachricht, die uns
erreicht, genau überprüfen. Und ihre
Einschätzung hängt auch von unseren Grundüberzeugungen
ab. Sind beispielsweise Menschen aus dem rechten
Lager nun anfälliger für Fake News als die eher links orientierten?
Dazu testeten die Forscher rund 700 Amerikaner, da
dort nur zwei Parteien eine wesentliche Rolle spielen: die konservativen Republikaner und die eher
linksliberalen Demokraten. Die
politische Orientierung stellte man mit Hilfe eines Fragebogens fest,
zusätzlich deren Ausprägung – also von stockkonservativ bis ziemlich links.
Dann legte man ihnen vier Screenshots von Nachrichtensendungen vor – alle frei erfunden: jeweils eine positive und negative Meldung
über Trump sowie Obama. Nach dem Zufallsprinzip
erhielt jeder Kandidat eine davon. Fielen nun die eher rechts Gestrickten
öfters auf die Falschmeldung herein
oder doch die fortschrittlich Gesinnten?
Das Ergebnis: beide in gleichem Maß. Innerhalb des jeweiligen Meinungsspektrums waren die
Fehleinschätzungen umso häufiger, je extremer die Einstellung war.
Bei einem zweiten Experiment wurden 570 Briten
getestet, von denen jeweils die Hälfte für, die andere gegen den Brexit gestimmt hatte. Die erlogenen
Nachrichten meldeten zur Hälfte positive, die anderen negative Folgen des
Austritts aus der EU. Auch hier das gleiche Ergebnis: Man glaubte eher an die
Meldung, welche dem eigenen Weltbild entsprach.
Diesen Effekt bezeichnet man als „Bias“ oder „kognitive
Verzerrung“, also eine fehlerhafte Wahrnehmung auf Grund von Vorurteilen. Wie
hängt dessen Stärke mit unserer Persönlichkeit zusammen?
Auch dazu liefert die Studie Ergebnisse:
Diesmal wurden 900 Amerikaner rekrutiert und deren
politische Einstellung ermittelt. Bei diesem Test waren es zwei erfundene
Meldungen über Donald Trump, eine positiv, eine negativ. Weiterhin testeten sie
aber den „Kognitiven Stil“ der
Teilnehmer: Es wurde erforscht, ob diese sich eher verstandesmäßig, also „kopforientiert“ entschieden oder emotional – sprich „bauchgesteuert“. Manche
Menschen holen sich halt viele Informationen ein, bevor sie etwas angehen,
haben also ein hohes „Kognitionsbedürfnis“.
Andere dagegen haben ein starkes Vertrauen in ihre Intuition. Dies kann man mit einem etablierten Fragebogen klären,
in dem Aussagen bewertet werden müssen wie „Ich
mag komplexe Probleme“ oder „Ob ich
Leuten vertrauen kann, sagt mir mein Bauchgefühl“.
Das Ergebnis dürfte viele überraschen: Je mehr der Kopf eingeschaltet wurde, desto öfter
hielt man Fake News für wahr, wenn
sie der eigenen Erwartung entsprachen!
Je rationaler und logischer man
denkt (oder zu denken meint), desto mehr bleibt man in seinem Weltbild gefangen – übrigens wieder auf
beiden Seiten des politischen Spektrums!
Offenbar holt man sich als „Verstandesmensch“ die Informationen vorwiegend aus Quellen, die
der eigenen Sichtweise entsprechen. So hält man seine Bewertungen für gut
begründet. Sind sie aber nicht! Widersprechende Tatsachen werden „wegrationalisiert“.
Zum Trost: Intuitive Menschen hängen zwar weniger an
ihren vorgefassten Einstellungen, schenken aber den erfundenen Tatsachen generell mehr Glauben – hier etwas mehr die Konservativen als die
Fortschrittlichen.
Weiterhin wurde der „kollektive Narzissmus“ der Kandidaten erforscht – also die
Ansicht, dass die Mitglieder der eigenen (politischen oder sozialen) Gruppe den
anderen Gruppen überlegen seinen – also zum Beispiel „Wir Trump-Anhänger sind generell etwas Besseres als die Konkurrenz“.
Ergebnis: Kollektiver Narzissmus besteht auf beiden Seiten des politischen Spektrums
– und je größer er ist, desto stärker die vorurteilsbedingten
Fehleinschätzungen. Und hier haben die Linksliberalen die Nase leicht vorn.
Erkennt man also Fake
News? Wenn sie dem eigenen Weltbild
(oder den der bevorzugten Gruppe) entsprechen: eher nicht. Und die Psychologen sind skeptisch, ob man das ändern
kann. Dieser Schutzmechanismus
scheint tief in unseren Genen verwurzelt zu sein. Wenn wir jedes Mal von Neuem
erforschen würden, ob eine bestimmte Schlange giftig ist, hätte sie uns schon
lange gebissen…
Als Blogger
kennt man diesen „Bias“ sehr genau:
Da beispielsweise ich für den modernen
Tango plädiere, sind meine Informationen und Sichtweisen für die konservative Szene in unserem Tanz
generell verdächtig bis abwegig. Und ein besseres Beispiel für eine Gruppe, die
sich anderen überlegen fühlt, kenne ich persönlich nicht.
Aber klar, niemand ist vor solchen Fehleinschätzungen gefeit. Ein Mittel, weniger darauf
hereinzufallen, wäre schon einmal, nicht ständig persönlich zu argumentieren. Ist doch letztlich egal, wer es sagt –
es geht um den Inhalt! Aber nein: Gelegentlich erhalte ich sogar Lob von ganz unerwarteter Seite. Kann aber sein,
weil ich jemanden kritisiert habe, den der Betreffende nicht leiden
kann. Daher erröte ich manchmal bei Komplimenten
für meine Arbeit…
Selber fühle ich mich bei Bewertungen dann besonders
wohl, wenn ich die Arbeit von Leuten positiv
bewerte, die ich persönlich eher nicht
mag (beispielsweise Markus Söder oder Angela Merkel) – oder umgekehrt Aktivitäten
kritisiere, obwohl ich betreffenden
Menschen eigentlich sympathisch
finde. Beispiele darf sich jeder aus meinen Artikeln heraussuchen!
Und es kann generell nicht schaden, sich einmal mit
Ansichten zu beschäftigen, welche den eigenen Grundüberzeugungen widersprechen. Manchmal entdeckt man dann, dass
einiges nicht so hirnrissig ist, wie es zunächst schien.
Sind wir also alle gleich
doof, wie die Macherin des Videos gegen Ende provokativ feststellt? Wohl
nicht – aber die Unterschiede sind
weit kleiner, als wir meinen!
Jedenfalls
halte ich die erst 32-jährige Mai Thi
Nguyen-Kim für ein großes Kommunikationstalent,
von dem wir noch viel hören werden. Warum?
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