Extase pur


Bekanntlich beginnt der Deutsche, sich derzeit aus der Corona-Krise zu retten, indem er in ferne Länder zieht. Obwohl ihn die Bundesregierung erst vor einiger Zeit von dort ausgeflogen hat. Auf Mallorca, so hört man, kreisen schon wieder die Sangria-Eimer der Sauftouristen:

Da will der einheimische Tango natürlich nicht nachstehen – die Angebote für Tangoreisen häufen sich, damit man im restlichen Jahr noch ein bisschen Gewinn macht. Doch geht es dabei wirklich ums Tanzen? Ich habe mich dazu auf YouTube durch das Arsenal von Tangoreise-Videos geklickt, leider nicht alle aus diesem Jahr. Die schönsten Fundstücke:

Nach „Buenas Aires“ wollten uns die ortskundigen Führer 2014 locken. Neben imposanten Hochglanzfotos der dortigen Herberge gibt es viel San Telmo-Ambiente und einige Ausflugs-Bilder. Auf der Tonspur knödelt ein lyrischer Sänger schaurig-schön „Por una cabeza“. Typisch für den Tango vor sechs Jahren: Es wird noch ziemlich viel getanzt.


Einen Tangourlaub in eher frugaler Kulisse stellt dieser Film vor. Schön die Szene, in der aus einem versifften Haustor eine Schönheit im geschlitzten Rock hervortritt. Das weckt sogar den auf der Parkbank pennenden Tangolehrer, woraufhin sich der Cabeceo übersichtlich gestaltet. Ansonsten Planschbecken, spielende Kinder und viel Camping-Romantik vor und in einem Schloss sowie ein gar schröcklich zusammengestellter Teller vom Büfett. Anerkennenswert, dass es relativ viele Tanzszenen gibt, sogar welche von den Gästen.


Die absolut bürgerliche Variante liefert uns das folgende Video: So spricht man in deutschen Wohnküchen über den Urlaub – der Glamourfaktor pendelt um Null. Das einzig Exotische ist ein an der Säule pappender Flyer – und zum Schluss gibt’s noch ein paar Reisefotos. Getanzt wird natürlich nicht.



Was man in das folgende Video binnen anderthalb Minuten hineingedrückt hat, ist dagegen sensationell: Vom Weltraum aus landen wir im Sturzflug auf der Vulkaninsel Lanzarote. Viel Meer sowie Horizont werden betitelt mit „Eine Reise zu deiner Essenz“.

Gischt schießt über Lavabrocken, ein Regenbogen sowie ein Tangolehrer zwischen Felsbrocken animieren zur Einblendung: „Wo sich Tanz und Seele verbindet“ (Na ja, eigentlich Plural: „verbinden“, aber wir wollen der sich anbahnenden Emotionswoge nicht im Wege stehen).

Wolken ziehen über vulkanische Halden, die Sonne strahlt in pfunkelndem Lücht: „Ist wieder möglich!“ (Was jetzt genau? Ach, wurscht!)

Wolken, Horizont, und auch der Regenbogen ist immer noch da: „Unvergesslich, einzigartig“.

Jetzt nicht verpassen: Für eine Sekunde wird getanzt, dann dreht sich Fleisch am Spieß. Einblendung: „Extase pur“. (Okay, gemeint ist wohl „Ekstase“ – ob nun das Tanzpaar oder der Grill, bleibt ungeklärt.)

Wanderung durch vulkanische Halden: „Achtsam, sinnlich, bewusst“. Dazu fortlaufende symphonische Klänge aus der Abteilung „Wunder der Erde“, und wir erfahren, wohin die Reise gehen soll: „Zum Schmelzpunkt deines Tangos“.

Ein paar schlecht ausgeleuchtete Innenaufnahmen: Vermutlich wird für sieben Sekunden getanzt. Danach Close Up vom Büfett, Reisegruppe auf Felsen: „Tanz auf dem Vulkan“. Ende mit Hollywood-reifem Abspann.



Wahrlich, diese Reise zum Schmelzpunkt des Intellekts kann man nicht toppen! Ein Glück für die Tango-Online-Petition, dass der Schöpfer des Videos dazu damals nicht seine volle künstlerische Potenz ausgespielt hat. Gereicht hat es aber allemal. Extase mit X? Haben die noch Malle?

Ehrlich, muss man den Tango mit derartig pseudophilosophischem Geschwurbel bis zur Unkenntlichkeit schreddern? Eruption vulkanischer Gluten? Und das beim heutigen glutenfreien Tango? Wofür muss dieser Tanz eigentlich noch herhalten? Vielleicht könnte man mit seiner Hilfe auch Warzen besprechen…

Um den Verdacht zu vermeiden, ich hätte mit dem betreffenden Tangolehrer nun ein „Lieblingsopfer“ gefunden, abschließend noch ein wirklich schönes Tanzvideo der beiden. Es beweist: Sie haben diesen Humbug doch gar nicht nötig. Daher nun Bühne frei für eine wunderbar fantasievolle Interpretation der Musik eines meiner Lieblings-Ensembles, „Amores Tangos“. Und das im heimischen Studio:


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