Bilderstürmer und ein nackter Hintern
„Die
Sächsin wirtschaftet, dass das Bett kracht.“
(Kurt
Tucholsky: „Nationales“, 1925)
Ein
neidloses Kompliment an meinen Blogger-Kollegen Thomas Kröter! Mit seinem neuesten Beitrag hat er aufs richtige
Pferd gesetzt: Eine Ankündigung der Veranstaltung „Tango Intima Nuevo“ in Bautzen
hat wohl für Erregung unterschiedlichster Art gesorgt.
Nun
gestehe ich, dass bei mir die Begriffe „Erotik“ und „Bautzen“ nicht sofort absolute
Stimmigkeit hervorrufen. Aber man kann sich täuschen:
Unter
dem Motto „Lassen wir an diesem Abend die einmalige Atmosphäre entstehen, die in
den Etablissements der Hafenstädte entstand, verrucht und tabulos” wird der
folgende Dresscode verordnet:
„Gemäß dem Motto des
Abends erwarten wir die Herren im Anzug oder Smoking, die Damen dürfen sich bei
ihrer Garderobe für mehr oder weniger, zumindest für ein sehr erotisches Outfit
entscheiden.“
Das
Ganze folgt einem Muster, das ich –
mit beinahe 69 (welch schöne Zahl) – nun auch noch kennenlernen darf: CMNF, was für „Clothed Male, Naked Female“ steht.
Schlimme Finger verdächtigen dieses Schema eines männlichen Dominanzgebarens, da der
Kerl, weil angezogen, dem Mädel, weil nackig, über sei. Aber bekanntlich will
das ja beim Tango keiner – nicht einmal, wenn beide voll bekleidet sind…
Es
gibt auch die umgekehrte Variante: CFNM
- „Clothed Female, Naked
Male“. Dies, so erfahre ich aus den
Diskussionen, habe man zwar im Tango auch schon probiert, es sei jedoch bei den
Damen auf nur geringes Interesse gestoßen. Das verwundert mich natürlich riesig!
Zu besonderen Wallungen führte
das Werbebild zu dieser Veranstaltung, welches ein stilisiertes
Tanzpaar in dieser Kleiderordnung zeigt, die Dame von rechts hinten so
angeschnitten, dass man immerhin einen schönen Hintern sowie einen halben Busen,
jedoch nichts Schlimmeres bewundern darf.
Sittlich Gefestigte dürfen das
Bildnis in dem wunderbaren Artikel von Thomas Kröter auf sich wirken lassen:
Da Kröter bereits eine weitere Folge zum Thema angedroht hat, möchte ich die Debatte ums Nackelige in den bewährten Händen des Kollegen belassen.
Was mich aber fasziniert: Wenn man
sich die derzeit 358
Kommentare in der Facebook-Gruppe „Tango in Deutschland“ durchliest (was ich unternommen habe, da man
als Blogger nicht empfindsam sein darf), wird wieder einmal in schönster
Deutlichkeit (oder „Deutschlichkeit“?)
klar: Im Tango kommunizieren ausschließlich
wohlerzogene Menschen mit höchster Achtsamkeit . Da ich einige
der Akteure kenne, wusste ich: Kopieren
wird sich lohnen! Also:
„Was für ein frauenverachtendes
Bild. Als Argentinierin, als Tanguera, als Frau und als Mensch, finde ich es
unerträglich, dass solche Bilder überhaupt mit Tango in Verbindung gebracht
werden dürfen und dass sie einen Platz in dieser Gruppe überhaupt bekommen.“
„… gerade habe ich es
etwas eilig und kann mich nicht mit Ignoranz beschäftigen.“
„Ich bin lediglich
nicht so intolerant wie du.“
„Die Schlussfolgerung,
jemanden für prüde zu halten, der ein frauenverachtendes Bild ablehnt, ist
schlichtweg dumm. (…) Hast du keine besseren Argumente, um diese unsinnigen und
frauenverachtenden Veranstaltungen an den ‚Mann‘ zu bringen?“
„Gratuliere, du
hast soeben den goldenen Bevormundungspokal gewonnen. Hast es wohl ‚nötig‘.“
„Und von dir/der
Sache ablenken zeigt einen infantilen Diskussionsstil.“
„Aber ich, und einige
andere Frauen offensichtlich auch, fühlen sich von der abwertenden Art, wie
Frauen hier dargestellt und angepriesen werden, gestört und beleidigt.“
„Auch als Deutsche
finde ich das Bild voll ätzend, weil sich eines dämlichen Klischees bedient
wird, das ich als Tangotänzerin auf keinen Fall verbreitet haben möchte.“
„Genau solche Events
ruinieren das Bild der Deutschen im Tango.“
„Ich bin ebenso
erschüttert, dass der Tango uns Frauen so abwertet. Zum Sexobjekt!!!“
„Hängst du etwa dem
alten Frauenbild hinterher und möchtest das hochhalten?
Na danke, solche rückschrittigen Frauen brauchen wir!“
Na danke, solche rückschrittigen Frauen brauchen wir!“
„Die abwertende
Darstellung und Behandlung von Frauen (und auch der Männer) derart klischeehaft
herunterzuspielen. Schämt euch!“
„Das wird mir hier
echt zu blöd - sorry, und es ist absolute Zeitverschwendung mit jemanden zu
diskutieren, der offensichtlich nicht zuhört (liest).“
„Aber diese
Scheinheiligkeit ist echt zum Kotzen!“
„Aber diese Nazischei
. . e geht gar nicht. Ich würde darum bitten, diesen Satz zu löschen.“
Du wolltest doch lediglich
die Nazikeule als Totschlagargument anbringen.
„Also raus mit dieser
Ankündigung und der ganzen dämmlichen Diskussion dazu.“
„Und den Aufruf zu
Zensur finde ich sogar infam! Was gibt dir das Recht, so etwas zu fordern?“
„Dann wirst du
blockiert, gemeldet und die Gruppe wird verlassen - aus Solidarität mit den
Frauen, die es nicht wollen.“
„Dass sich das
Cuarteto Rotterdam für diese Veranstaltung hergibt, find ich bedenklich, die
Veranstaltung selbst ist nichts als eine Beleidigung des Weiblichen im Tango.“
Wenn ich noch kurz
was dazu sagen darf:
Ich war ja schon mal auf einer ähnlichen (vielleicht
nicht ganz so wilden) Veranstaltung. Die Atmosphäre
war sehr nett – Sinnestaumel hat sie
bei mir nicht ausgelöst.
Zudem fürchte ich, die Vision einer Kommentatorin könnte zumindest teilweise in Erfüllung
gehen:
„Attraktive,
halb-/nackte U-40-Tanguera prallt auf anzugkaschierten, viagra-pflichtigen
Endsechziger."
Schlimmer noch: Wie etliche AugenzeugInnen berichten,
haben auch die beteiligten Damen mehrheitlich
das Elfen-Alter bereits hinter sich
gebracht.
Wenn daher eine Berliner Tangolehrerin fordert:
„Entweder ALLE
ausziehen oder keine/r ... so einfach. Alles andere ist 2019 Bullshit!“ – so
bitte ich um Gnade und Barmherzigkeit:
Bitte, lasst stecken – ALLE!
Zeifellos aber wird der Ruf des Tango weniger durch nackte Hintern als durch solche Debatten beschädigt.
Zeifellos aber wird der Ruf des Tango weniger durch nackte Hintern als durch solche Debatten beschädigt.
P.S. Fast zeitgleich habe ich ja einen Artikel zu einem ganz ähnlichen Thema
geschrieben, leider ernüchternd realistisch
und daher kaum beachtet:
So isses halt: Sex
sells…
Das ganze Gedöns erinnert mich an die Skandalisierung des
Films „Die Sünderin“, aus dem Jahr
1951, wo es sich schließlich weitgehend um die gelegentlich fast nackte Hildegard Knef drehte. Nach
Stinkbomben-Attacken, Prügeleien, Polizeieinsätzen und Verboten urteilte dann
das Bundesverfassungsgericht: Kunstfreiheit, daher erlaubt!
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_S%C3%BCnderin
Hier ein Kommentar von Annette aus Offenbach:
AntwortenLöschenHahaha, diese Aufregung kommt mir bekannt vor! Als wir unser Tango
Diavolo gestartet haben (2011), gab es ähnliche Aufregung in einer
damals noch existierenden Yahoo-Gruppe. Viele der Kommentare waren
wortwörtlich oder ähnlich. Wir haben nie darauf reagiert, auch auf
Mails, die gleich auch noch unsere Musikauswahl kritisierten, und auch
noch unsere Unverfrorenheit, einfach eine Milonga zu organisieren, wo wir
doch bestimmt gar keine Ahnung hätten... Wir haben nie darauf reagiert,
und so wurde es den Kritikern schnell langweilig.
Inzwischen haben wir eine Stammklientel und viele Gäste, und es macht Spaß.
Mit Deinem Satz "ich war ja schon mal auf einer ähnlichen (vielleicht
nicht ganz so wilden) Veranstaltung. Die Atmosphäre war sehr nett –
Sinnestaumel hat sie bei mir nicht ausgelöst. " meinst Du vermutlich uns.
Ja, es geht bei Fetisch-Tango auch nicht um Sinnestaumel, sondern um
Freiheit, Toleranz und Respekt. Tatsächlich können sich alle,
insbesondere Frauen, bei uns viel sicherer fühlen als auf manchen
Tradi-Milongas. Eben weil alles erlaubt ist und die Leute so verschieden
ticken, wird erst mal höflich vorgefühlt. Und wie auch immer eine oder
einer reagiert, es wird freundlich akzeptiert. Entweder es passt, oder
es passt nicht, alles gut.
Tatsächlich macht es vielen bei uns Spaß, sich mal auszustaffieren.
Einfach so, aus Spaß.
Liebe Annette,
Löschenhast die Kommentare von damals noch? Wäre mal ein schöner Gastbeitrag!
Tja, der deutsche Spießer sieht gleich die Moral, das Vaterland und benachbarte Dörfer untergehen, wenn es Menschen mit Vorlieben gibt, die er nicht kapiert.
Derzeit gibt es die weibliche Variante, welche bei jedem Käse gleich "Sexismus" ruft.
Dass es in Milieus, die als "verrucht" gelten, oft respektvoller zugeht als in der "bürgerlichen Normalität", erschließt sich solchen Leuten nicht.
Danke und herzliche Grüße
Gerhard