Führen hat nun mal Folgen


Mein jüngster Artikel hat auf Facebook wieder Diskussionen ausgelöst. Einer wunderbaren Stilblüte darin verdanke ich den obigen Titel.

Worum geht es? Führen zu können ist ja inzwischen zu einer ernsthaften Option für Tänzerinnen geworden – nicht nur wegen des fallweise auftretenden geringeren Männeranteils, sondern auch, weil es für etliche Frauen eine interessante und spannende Alternative darstellt.

Aus Sicht der Herren wird dann gerne behauptet: Ja, der Männermangel liege vor allem daran, dass es viel schwieriger sei, die führende Rolle zu erlernen denn die folgende. Die Damen kämen so schneller vorwärts, und dann werde über kurz oder lang – wegen des Aufstiegs in der Tango-Hierarchie – der bisherige, treue Sparringspartner entsorgt und durch etwas Besseres ersetzt. Und klar, wenn die Weiber erstmal folgen könnten, sei das Führen in näherer Reichweite. Zudem seien Frauen mit Ihresgleichen nachsichtiger.

Fazit: Männer seien eben im Tango eine diskriminierte Minderheit
Oder doch der „Hahn im Korb“, wie Laura Knight in ihrem Text neulich behauptete?

Ich meine: weder – noch.

Klar: Die Tänzer müssen sich einige choreografische Grundmuster draufschaffen, sollten zumindest (wie die Partnerinnen) den Rhythmus einigermaßen hören und den freien Raum überblicken. Ihr großer Vorteil: Sie können letztlich tanzen, was sie wollen (lies auch: alles weglassen, bei dem sie sich nicht sicher fühlen).

Tangueras wissen dagegen nicht, was kommt (und wenn sie es dann merken, gefällt es ihnen nicht immer). Dennoch sollen sie schnell reagieren, sich anpassen und auch bei unklaren Signalen Sicherheit ausstrahlen. Was soll daran leichter sein?

Doch wie groß ist denn das angebliche Missverhältnis von Männern zu Frauen wirklich? Klar kenne ich Milongas, auf denen mal deutlich mehr Tänzerinnen anwesend sind – aber durchaus auch Veranstaltungen, wo es ausgeglichen zugeht oder es sogar mehr Tangueros gibt. Im Schnitt würde ich ein Verhältnis von 55 Prozent (weiblich) zu 45 Prozent (männlich) schätzen.

Eine Statistik scheint mir Recht zu geben:

„Während sich 46% der Männer zu den Tänzern zählen, sind es unter den Frauen 57%. Den höchsten Anteil aktiver Tanzender hat die Altersgruppe 60 und älter mit 59%, gefolgt von den 18- bis 29-jährigen mit 56%.“

Interessant auch: Am beliebtesten (44 %) sind improvisierte Tänze à la Disco. Hauptmotiv ist der Spaß (89 %).

Die sicherste Methode, Menschen vom Tanzen abzubringen, ist es demnach anscheinend, mit großem Ernst Figuren zu vermitteln!

Zudem scheint ein Prinzip nach wie vor unausrottbar zu sein. Der Autor Tobias Landwehr zitiert dazu auf „Zeit Online“ seine frühere Tanzlehrerin:

„Wir sind natürlich mittlerweile gleichberechtigt. Doch im Tanz gilt immer noch: Die Herren führen, die Damen folgen. Merkt euch das."

Sein Kommentar:
„Das tun wir. Wir werden damit Teil des sozialen Mörtels, der Generation für Generation die alte Ordnung des Gesellschaftstanzes festigt.“ 

Doch es gibt auch Lichtblicke: Als eine Freundin von uns neulich mit einer Tangolehrerin tanzte, meinte die:
Du bist keine Frau, die folgt, sondern eine, die tanzt."

Daher schreibe ich gerne auch noch einen 50. Artikel dazu:

Wer Anfängern im Paartanz mit dem Spruch vom „Führen und Folgen“ kommt, hat alles dafür getan, dass sie nicht weiterkommen! Dem Mann wird die „Gesamtverantwortung“ aufgedrückt: Er muss alles steuern und kontrollieren – wenn daher was schief geht, ist es seine Schuld. Und die Frauen haben ihre „Weiblichkeit“ durch absoluten Gehorsam nachzuweisen. Noch dazu pappt man die beiden via „enge Umarmung“ zusammen wie die Siamesischen Zwillinge, so dass er wenig und sie überhaupt nicht improvisieren kann.

Nein, liebe Tangolehrer – wie wäre es damit? Bringt doch einfach jedem – unabhängig von Geschlecht beziehungsweise Rolle – schlicht das Tanzen bei! Und wenn dann jeder halbwegs in Balance und Achse steht, die Musik einigermaßen hört, werden beide lernen, sich miteinander zu bewegen. Beim Tango noch dazu ein Vorteil: Die meisten Aktionen verlaufen nicht spiegelbildlich. Macht daher nicht so viel, wenn es zunächst an der Abstimmung mangelt.

Vielleicht ist es ein Vorteil für die reinen Frauenpaare, dass sie sowieso aus dem konservativen Wertekanon fallen. Daher dürfen sie auch auf Abstand agieren und allerlei Unfug anstellen. Ist ja egal – für traditionell gestrickte Tänzer sind sie eh ins Lager der „Unaufforderbaren“ gewechselt.

Da ich mich eher am Rande des Mainstreams bewege, habe ich viel Zeit, führende Frauen zu beobachten. Was ich dabei sehe, überzeugt mich meist mehr als der männliche Durchschnitt: Oft kombinieren die Damen simpelste Choreografie mit hoher Musikalität und gegenseitiger Abstimmung – bei den Herren ist es eher umgekehrt. Da wird lieber – ungetrübt vom musikalischen Ausdruck – an irgendwelchem Figurenzeugs herumgeschraubt. Kommunikation mangelhaft.

Ich darf da mal aus dem Pörnbacher Nähkästchen plaudern:

Es gibt bei uns eine Tänzerin, die nie einen Tangokurs von innen gesehen hat, das Tanzen also lediglich durch viel Üben und mit zahlreichen Partnern gelernt hat – und zur „schwierigen“ Musik, die wir halt mögen.

Vor einiger Zeit entschloss sie sich, das Führen zu probieren. Ich erinnere mich an eine Szene bei unserer „Wohnzimmer-Práctica“, die ich nie vergessen werde. Sie konnte damals zwar noch nicht mal Ochos begleiten – und dennoch: Was ich da zu simpelsten Schritten, aber in wunderbarer Verbindung im Paar, mit höchster Musikalität sah, war sowas von Tango, dass ich völlig entzückt war!

Bei unserer letzten Wohnzimmer-Milonga waren wir drei Männer und acht Frauen – für eine übliche Tangoveranstaltung ein katastrophales Verhältnis! Nur: Sechs Frauen konnten auch führen – eine davon tat es an diesem Termin zu ersten Mal. Es gab also für alle genügend Gelegenheit, zu tanzen – und das nicht aus der „Not“ heraus, im Gegenteil! Ich muss mich inzwischen sehr bemühen, in der Konkurrenz mit unseren „weiblichen Führungskräften“ nicht ins Hintertreffen zu geraten…

Und selber? Nun, wenn eine Frau mich führen möchte, habe ich nichts dagegen. Die Damen, die das gelegentlich tun, bescheinigen mir inzwischen sogar leichte Fortschritte. Nur werde ich dazu mit Sicherheit keinen Workshop buchen. Wir haben beide Spaß daran – gerade, wenn was schiefgeht. Das reicht.

Daher rate ich allen, die im Tango unzufrieden sind: Lasst das ganze Gedöns wegen der Geschlechter- und Rollenverteilung! Wenn es im Paar super läuft, vergisst man es eh.

Und, liebe Damen, glaubt den Männern nicht, wenn sie behaupten, das Führen sei ungleich schwerer! Da wird von den Kerlen der gleiche Nimbus gepflegt wie beim Montieren einer Deckenlampe: Es ist natürlich eine technische Heldentat, einen Dübel ins Mauerwerk zu versenken und zwei bis drei Drähte anzuschließen. Hinterher hat nicht nur die Birne, sondern auch das Weibchen zu strahlen: Sie ist nämlich seit der Steinzeit darauf konditioniert, den Jäger auch zu loben, wenn er lediglich einen Hamster erlegt hat…

Im Ernst: Hat „Führen nun mal Folgen“? Klar, aber nicht immer positive. Die Alternative steht schon in der ersten Version meines Tangobuches:

Lernt Fühlen statt Führen!

Und hier ein Frauenpaar direkt aus Buenos Aires:

Kommentare

  1. "Wer Anfängern im Paartanz mit dem Spruch vom „Führen und Folgen“ kommt, hat alles dafür getan, dass sie nicht weiterkommen!"
    Hm, das ist m.M.n. alles ein bisserl komplizierter als so leicht dahergeschrieben. Als ich damals in der Tanzschule meine ersten Tanzerfahrungen machte, gabs zwar den Spruch vom Führen und Folgen, aber keine konkrete Anleitung, was da zu tun wäre. Mit der Folge: Figuren, die beide "können" müssen, damit auf der Tanzfläche was umsetzbar ist, mit der weiteren Folge, dass ich behauptet habe "Tanzen macht keinen Spaß" (solange, bis ich Jahrzehnte später zum Tango quasi genötigt wurde und da dann hängenblieb, weil mich der Tango ausgesucht hatte ...).

    Und PS: ich denke, der "Männermangel" beim Tanzen liegt eher daran, daß sich Männer ihrer Tanzmängel eher bewusst sind, und es deshalb dann gleich von vorneherein lassen und lieber die Mädels alleine rumhüpfen lassen ;-)

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    1. Na ja, also hat bei dir der konventionelle Tanzunterricht zur Einstellung geführt, dass es dir keinen Spaß macht.
      Und klar ist es im Einzelfall immer komplizierter. Ich meine dennoch, dass die von mir beschriebenen Trends stimmen.
      Ich glaube nicht, dass Männer etwas lassen, weil sie sich ihrer Mängel bewusst sind. Eher verkündet man, auch bei Ahnungslosigkeit, ganz überzeugend, etwas zu können.
      Vielleicht liegt es eher daran, dass Frauen anpassungsfähiger sind - hinsichtlich Musik und Partner. Männer erwarten eher, dass man sich ihnen anpasst.

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