Das gehört angezeigt!
Zeitschriften finanzieren sich
nicht nur über den Verkaufspreis, sondern ebenso (oft in viel stärkerem Maße) mit
Annoncen. Und wenn das nicht reicht,
bezahlt man die Autoren schlecht oder gleich gar nicht…
Wie
komme ich jetzt auf das Zentralorgan der deutschen Tangoszene, die „Tangodanza“? Egal, ich will da gar
nichts kritisieren – und schon gar nicht die Werbeanzeigen, welche stets die letzten acht oder mehr Seiten der Milonga-Postille
zieren.
In
der neuesten Ausgabe der „Tangodanza“ (1/2020) tummeln sich auf knapp 10 Werbeseiten fast 50 Angebote. Da der Abdruck nicht ganz
billig sein dürfte, kann man hier ablesen, was im Tango Knete bringt: Vor allem Tangoreisen
(gut 40 Prozent aller Annoncen), gefolgt von Festivals und Unterricht
(jeweils knapp 20 Prozent).
Über
die „schönsten Seiten des
Reise-Schwachsinns“ habe ich schon einmal berichtet.
Freudig
darf ich nach bald 5 Jahren feststellen: Ist
alles noch da. Weiterhin gibt der Deutsche nirgend sein Geld so freizügig aus wie im Urlaub – in der Hoffnung, sich auswärts keinen
unbekannten Erreger, sondern lieber einen erregten Unbekannten einzufangen…
Dazu passend die Verheißung einer Hotel-Anzeige: Tango Tour Experten – übernachtung – noch mehr…
Aber
es darf auch in Meißen das Kloster und auf Spiekeroog die Winterinsel
betanzt werden. Etwas steiler kommen uns dann schon die Tangotours in den Dolomiten vor,
feuchter könnte es in Venedig werden,
und beim „Ostertango“ hockt ein etwas
desorientierter Feldhase fotomontiert am sardischen
Strand, wohin er ökologisch eher nicht gehört. Aber vielleicht soll hier
geistreich auf den Begriff „Strandhase“ („Beach Bunny“) angespielt werden? Und
sogar in Berlin kann man Tango Urlaub machen – wer hätte das
gedacht?
Weiterhin
angedient wird uns für den auswärtigen Tangoschritt: die für ihre Gourmetküche berühmte Rhön, Wellness am Oberrucker See, wahlweise
auch der Üdersee, ein Tango-Retreat am Deich und das Greifswalder Ballhaus Goldfisch. Lustig wird es bestimmt, schon wegen des Denglisch-Gedudels
und der Kinderbetreuung, beim Tango
Spirit Festival auf Gut Frohberg. Und auch der Chiemsee ist der passende Ort für eine let’s groove Milonga.
Selbstverständlich
darf ein Tango Trip zu dessen Wurzeln
nicht fehlen: Der 14-tägige Sog der Metropole
Buenos Aires sowie die Reiseführerin würden die Teilnehmer in Atem halten. Außer Milongabesuchen
und Open Air Tangos stehen
Gaucho-Feste, ein Flohmarkt, Bootsfahrten und sogar Unterricht bei verschiedenen Lehrern auf
dem Programm. Gespannt darf man sein, was sich hinter „Homero Manzi“ mit Show und Menü verbirgt. Unvergesslich wird die Reise
sicher!
Auch
das Unterrichtsangebot ist weiterhin
riesig. So freuen wir uns über die Nachricht, Silvina und Héctor seien
wieder in Deutschland, dürfen uns für ein Tango
Teacher Training mit einer new
international group anmelden oder uns in 2020 Immersion + Focus Seminars begeben – mit einer Vielfalt von
Themen, zu Ostern sogar Less is more - Pauses.
Und gleichfalls in Englisch harren wir der Verheißung: Grab the chance to build up new knowledge and understanding of tango
dancing. (Na gut, nach was der Herr im Smoking auf dem Bildnis da mit
gespreizten Fingern grabscht, ist eher die untere Rückenpartie seiner Dame –
aber vielleicht ist die Ironie ja beabsichtigt…)
Überhaupt
die Bilder: Die gestelzten pseudoerotischen Posen in Edelfummeln kriegt man wohl mit noch so viel Satire nicht weg, wobei mir
hier die Website „egotango“ besonders
stimmig benannt erscheint. Mehr als gelungen auch die Kombination Deppenkäppi, Bermudashorts
und rotes Strand-Flatterröckchen. Aber bei der „Tangodanza“ beginnen solcherlei Bonbonfotos ja meist schon auf der Titelseite – und wenn man nun schon kein Hochglanzpapier mehr verwendet, zeugen Männerpaare in
satinschimmerdem Gecken-Look zwar von Gendergerechtigkeit, nicht jedoch von
irgendwie vorstellbarem Geschmacksempfinden.
Eindrucksvoll
finde ich auch das Bemühen, möglichst viel
Bildmaterial auf Briefmarkengröße
zu verdichten, auch wenn man dann die Schrift
kaum noch lesen kann. So können neun Thumbnails in einer Kleinanzeige nicht
ganz den Zauber Südfrankreichs erschließen. Originell auch die Idee, die
Tanzpartnerin mit Bandoneón-Balg am Popo an sich zu pressen oder mit einem
stilisierten Segelschiff das binnenländische Leipzig zu bewerben, in dem sich bei
den Tango Tagen neue Horizonte auftäten. Dräuend dunkle Gewitterwolken hängen über
einer Szenerie, welche work and fun (oder
umgekehrt) ankündigt. Na, wenn’s da nicht noch einschlägt…
Aber
nicht der Mann tanzt ja, sondern dessen Mode.
Das verheißt uns ein sonnenbebrillter, bebarteter Metrosexueller im T-Shirt mit
migräneauslösendem Musterdruck. Aber insgesamt scheint beim Thema „Schuhe und
Fummel“ derzeit die Luft raus zu sein: Nur etwa 8 Prozent der Annoncen befassen
sich mit diesem Sujet. Aber das Zeug bekommt man ja auf fast jeder größeren
Milonga inzwischen von reisenden Händlern angedient!
Bei
einigen Angeboten bleibe ich ziemlich ratlos:
So wird uns in gesperrten BILD-Lettern lediglich eine Website mit dem Wort „inolvidable“
präsentiert. Das kann man wohl vergessen… Und wohin der ältere Herr mit Brille und
Kopfhörern bei seiner Puro Tango Tour 2020
reist und was er dabei mitnimmt, bleibt ebenfalls sein Geheimnis. Weiterhin,
was der mit Kussmund verzierte Tango
Concept Store Te Quiero Nutz nun konkret anbietet. Mode wahrscheinlich – wo
auch immer.
Klar,
es gibt auf diesen Seiten auch etliche ganz nett gemachte Werbebeiträge. Die
Mehrzahl aber zeigt, dass die im Tango gerne behauptete „Professionalität“ ziemlich illusorisch
ist. Wenn Werbung den geistigen Zustand des Betreibers oder den vermuteten des
Kunden offenbart – schlimmstenfalls beides, so sind die Aussichten in unserem Tanz
trübe.
Rücksichtsvollerweise
habe ich kaum Namen genannt, was ja
auch als PR für die Zeitschrift
wirken könnte: Zweifellos hat man als Leser der „Tangodanza“ mehr von diesem
Artikel. Schon früher habe ich bekannt: Sollte man in Bielefeld dereinst die Werbeseiten als Zeitschrift und den (wirklich davon unabhängigen) redaktionellen Teil als Beilage verkaufen, würde ich mir ein
neues Abonnement überlegen. Die mit den bunten Bildchen gelieferte
unfreiwillige Satire ist von hohen Graden.
Gehört
sowas angezeigt? Juristisch sicher
nicht – Kunstfreiheit ist ja eine
sehr dehnbare Rechtsnorm. Veräppelt jedoch auf alle Fälle.
P.S. Die kursiv gesetzten Textteile sind Originalzitate aus den Werbeseiten.
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