Darf der das eigentlich?
„Freiheit nur für die
Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so
zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des anders
Denkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das
Belehrende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen
hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium
wird." (Rosa Luxemburg)
Auseinandersetzungen wie die gestrige
habe ich weiß Gott schon öfters erlebt. Das Handlungsmuster ist stets das gleiche:
Jemand
passt nicht, was ich über ihn schreibe. In der Sache jedoch, so seine bange
Vermutung, könnte er in der Auseinandersetzung den zweiten Platz belegen. Also
verzichtet er lieber auf eine an Fakten
orientierte Debatte.
Ersatzweise
passiert dann zweierlei: Erstens arbeitet man sich an meiner Person ab – negative Eigenschaften kann man ja immer finden, wenn man sucht:
Wahlweise bin ich dann arrogant, selbstbeweihräuchernd, bösartig, senil,
psychisch gestört oder ein schlechter Tänzer (habe ich den „Oberlehrer" schon erwähnt?).
Weiterhin
stellt man sich die Frage: Darf der das
überhaupt? Natürlich nicht, wäre ja noch schöner! Daher bläst man sich zur
vollen juristischen Größe auf und verfasst „Abmahnungen“
wie die folgende:
„Ebenso bleibt es für
dich nach deiner Meinung erlaubt, urheberrechtlich geschütztes Material zu
kopieren und auf deiner eigens dafür erstellten Webseite zu veröffentlichen. Um
Erlaubnis fragen muss man nicht!
(…)
Hiermit ‚untersage‘
ich dir schriftlich,
mein Bild und Textmaterial,
meine Zitate,
sowie das Bild und Textmaterial von mir bekannten Personen, wo ich zitiert werde
und allen Webseitenlinks wo ich namentlich genannt werde,
auf deinen Tango-Blogs und anderen Publikationen zu veröffentlichen.“
https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/09/perfekte-ronda.html
Na
eben, wo kämen wir hin, wenn ein anderer sich einfach an dem bedienen könnte,
was man selber verfasst hat!
Doch,
darf er unter bestimmten Bedingungen schon! Aber das Kalkül ist natürlich, den
Laien mit pseudojuristischem Gedöns
zu beeindrucken, ja einzuschüchtern: Oh je, kriege ich dann Ärger mit dem Gericht – muss ich gar ins Gefängnis?
Nein,
sicher nicht, wenn man die Spielregeln beachtet: Das Urheberrechtsgesetz (speziell sein § 51) nennt folgende Bedingungen:
Zunächst
muss ein Text schon einmal selber
Urheberrechte beanspruchen können. Dies gilt nur, wenn er sozusagen eine eigene geistige Leistung aufweist (die
Juristen sprechen dabei von „Schöpfungshöhe“). Irgendwelche Floskeln oder
Sprüche, welche schon tausend Mal in ähnlicher Form geäußert wurden, gehören
sicher nicht dazu. Dass dies für die üblichen
Kommentare in den sozialen Medien
gelten dürfte, habe ich schon einmal detailliert dargestellt:
Weiterhin
muss ein Text natürlich veröffentlicht
sein – private Mitteilungen schützt das Persönlichkeitsrecht.
Und man darf nicht einfach abkupfern, sondern muss sich mit einem Zitat inhaltlich auseinandersetzen.
Selbstverständlich muss man auch die Quelle
nennen – für mich oft problematisch: In dem Fall wird natürlich offenbar, wer
gemeint ist…
Für
Bildnisse aller Art jedoch gilt
generell der Schutz des Urheberrechts: Übernehmen darf ich sie ohne Erlaubnis meist
nicht – verlinken jedoch schon. Und wenn fotografierte Menschen keine „Personen
der Zeitgeschichte“ darstellen, besitzen sie das „Recht am eigenen Bild“. Ich staune übrigens immer wieder, wie
locker Veranstalter Milonga-Fotos
veröffentlichen. Na, hoffentlich haben sie sich des Einverständnisses aller
Beteiligten versichert…
Ebenso
enttäuschend für alle Leberwürste: Man kann selbstredend über ganz viel beleidigt sein – eine rechtsgültige „Schmähkritik“
muss das noch lange nicht darstellen. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit
haben bei uns Grundrechtsrang:
In
einer Reihe von Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht
immer wieder den hohen Wert dieser Rechte betont: Kriterium ist stets, ob der
Meinungsstreit zumindest auch um die Sache
geht oder drastische Worte ausschließlich gewählt werden, um die persönliche Ehre anderer anzugreifen. Wenn
ich mir solche Urteile anschaue, bin ich manchmal verblüfft, welch hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit eingeräumt wird – selbst bei einer Wortwahl, bei
der mir persönlich der Begriff „Beleidigung“ plausibel erschiene.
Allerdings
sehe ich den Sinn meiner Arbeit
nicht darin, alles zu veröffentlichen, was ich rechtlich dürfte. Es muss sich
für mich auch „richtig anfühlen“.
Ein armes Würschtl, das sich gutmeinend mal in der Wortwahl vergreift, im Licht
der Öffentlichkeit abzukanzeln,
hielte ich für schlicht unanständig. Daher muss man sich schon einiges leisten
und nicht gerade wehrlos sein, wenn man es auf mein Blog schaffen will!
Bei
anderen kann man Moral natürlich
nicht voraussetzen. Die probieren dann einfach aus, ob man Gegner nicht mit Drohungen mundtot machen kann – bei vielen
wird es wegen deren Furcht, es nun „mit
dem Anwalt zu tun zu bekommen“, durchaus klappen.
Dass
man mir mit solchem Quatsch nicht imponiert, sollte man eigentlich wissen. Und ich sehe
auch voraus, dass nach meinem Angebot
einer juristischen Überprüfung dann Sätze wie diese kommen:
„Auf die Prüfung
rechtlicher Gegebenheiten habe ich ehrlich gesagt keine Lust und Zeit.“
Na
klar – und ein bisschen auch die Ahnung, dass es nichts bringen dürfte… Und möglichst deutet man dann noch an, so
ganz lupenrein sei das Vorgehen des anderen wohl doch nicht gewesen – in der
Hoffnung, dass etwas hängen bleibt.
Da
ich diese Spielchen lange genug kenne, kann ich mich meist darüber amüsieren.
Nur
manchmal, in dunkleren Stunden, belasten mich Vorstellungen wie diese: Wenn ich Artikel wie den am Vortag nicht
in Deutschland, sondern beispielsweise in einem östlichen Staat geschrieben hätte und der Kritisierte vielleicht
noch ein wichtiges Parteimitglied verkörperte – hätte es schon sein können,
dass heute Morgen die Kripo vor meiner Tür gestanden und mein Haus auf links
gedreht hätte, Beschlagnahmung des Computers inklusive. Oder falls wir doch
einmal einen AfD-Innenminister bekommen sollten…
Erst
neulich durfte ich in einem anderen FB-Kommentar lesen, unsere Parteien (bis
auf die besagte) hätten alle miteinander „vollständig
versagt“. Mir gehen solche Sprüche durch Mark und Bein. Und daher sage ich
sehr deutlich:
Ich
bin den 61 Vätern und (leider nur) 4 Müttern des Grundgesetzes zutiefst dankbar, dass sie aus den Erfahrungen von
Nazi-Diktatur und Krieg eine der liberalsten
Verfassungen dieser Welt schufen – übrigens als materiell geltendes Recht
und nicht nur Deklaration wie in vielen anderen Ländern! Dass bei uns kein
Journalist, kein Autor, kein Kabarettist erfolgreich mit Gerichtsverfahren überzogen werden kann, wenn er sich aus öffentlichen Quellen informiert und
dazu seine Meinung sagt.
Damit
hat sich 1949 der Parlamentarische Rat
an die Seite der 1919 von politischen Gegnern ermordeten Kommunistin Rosa Luxemburg gestellt, wenn sie eines
der wichtigsten demokratischen Prinzipien beschreibt:
„Freiheit
ist immer Freiheit des anders Denkenden.“
„Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“
AntwortenLöschenschöner und wahrer Spruch. Wie sehr sich gerade die verschiedenen kommunistischen Regimes daran gehalten haben, kann man aus der Geschichte wissen.
Für mich ist der Spruch die Messlatte für eine demokratische Gesinnung, wie die Freiheit des "Andersdenkenden“ (insb. auch eben "anders zu denken") gewürdigt wird, z.B. der Umgang der sogenannten "etablierten" Parteien mit den anders Denkenden von der AfD ...
Rosa Luxemburg kam ja aus der Sozialdemokratie und landete über den Spartakusbund bei der KPD. Grund war wohl vor allem die zögerliche und wenig mutige Haltung der SPD gegenüber Krieg und reaktionären Kräften. Hätte sie überlebt, wäre sie wohl früher oder später den Säuberungsaktionen der Leninisten oder später Stalinisten zum Opfer gefallen.
LöschenFreiheit bedeutet jedoch nicht Widerspruchsfreiheit. Auch rechte bis reaktionäre Äußerungen sind erlaubt – entschiedener Widerspruch ist jedoch ebenfalls nicht verboten. Die Grenze liegt für mich dort, wo man sich gegen Grundwerte unserer Verfassung richtet, beispielsweise die Gleichberechtigung unabhängig von Geschlecht, Religion, Rasse – die Pressefreiheit usw.
Ob es allerdings eine gute Idee ist, die Wähler extremer Parteien zu beschimpfen oder auszugrenzen, glaube ich nicht. Es gibt viele Gründe, eine Partei zu wählen, und nicht alle müssen so verschroben sein wie es vielleicht den Anschein hat.
nur kurz angemerkt, was ich meinte: wenn man Themen nicht diskutieren kann, weil sie von einem "Bösen" geäussert wurden (setze für "Böser" je nach Thema wahlweise ein: Nazi, Kommunist, "Alter weisser Mann", Mann/Antifeminist usw. usf.)
LöschenUnd leider beobachte ich gerade das in Medien, Internet (Twitter, soziale Medien), politischem Diskurs u.ä
Und ja: wenn jemand "Scheiß" erzählt, soll man dagegen reden und diesen Mist klar und deutlich benennen und widerlegen. Aber halt nicht glauben, dass durch ein einfaches "du bist ein rechtsradikaler Nazi" diese Aufgabe schon erledigt wäre.
Völlig einverstanden!
LöschenEs ist leider oft so, dass man Person und Sache verwechselt - das merke ich beim Bloggen immer wieder. "Du bist ein..." statt "deine Ansicht finde ich...". Das ist stets der Anfang allen Übels.
Ich behaupte, wir stimmen vielen Ansichten nicht wegen des faktischen Inhalts zu, sondern, weil sie jemand vertritt den wir mögen - und umgekehrt.
Leider wohl ein Evolutions-Relikt: Unsere Vorfahren konnten nicht lange recherchieren, der erste Eindruck zählte für eine schnelle Entscheidung.