Tango im Hausmeister-Dress?
„Eine Dame trägt
keine Kleider.
Sie erlaubt den
Kleidern, von ihr getragen zu werden.“
(Yves Saint Laurent)
Nachdem
die Kolleginnen des Blogs „Berlin Tango
Vibes“ sich kürzlich mit dem weiblichen „Untendrunter“ der standesgemäßen Tango-Verhüllung beschäftigten (was zu
explosionsartigen Zugriffszahlen geführt haben dürfte), sind nun in einem Facebook-Forum die Männer dran. Allerdings – Gott bewahre – nicht hinsichtlich der zum
Einsatz gebrachten Dessous!
Das
wäre auch unergiebig: Der Herren der Schöpfung sind auch in dieser Hinsicht weit
einfacher strukturiert –
komplizierte Aufhänge-Vorrichtungen für Schwerkraftabhängiges dürften nur im
Extremfall vorkommen, ebenso unsichtbare Träger oder gar doppelseitiges
Klebeband respektive sonst wie Angepapptes. Zugeben muss ich allerdings: Wenn ich
in Milonga-Garderoben manchmal (unfreiwillig) Zeuge maskulinen Kleiderwechsels bin, kann ich mir angesichts haariger
Schmerbäuche und nato-grauer, verschossener langer Unterhosen eine Ursache des
tangospezifischen männlichen
Single-Daseins ausmalen. Eine feminine
Mirada in verfänglicheren Situationen würde da wohl zu panischen
Fluchtreaktionen führen…
Genug
des Grauens!
Auf
Facebook fragt nun ausgerechnet ein Mann, wieso seine Geschlechtsgenossen „oft Probleme haben, sich passend für eine Milonga
zu kleiden ... und eher den Hausmeisterdress aus dem eigenen Schrank holen“. Er
kenne nur eine einzige Milonga, wo „alle
Männer ohne Abendgarderobe nicht am Türsteher vorbeikommen“: die in der
Spielbank Baden-Baden. Nachfragen ergaben allerdings, dass es sich dabei halt
um den Dresscode der Spielbank handelt – und man unter „Abendgarderobe“ nicht dunklen Anzug, Smoking oder gar Frack
versteht, sondern lediglich „jacket und kravatte“. Analphabeten dürfen
also offenbar rein…
(Und schau, lieber Peter
Fangmeier, jetzt hast du doch die heiß ersehnte Erwähnung auf meinem Blog
gehabt. Mehr gibt’s aber nicht – dafür hast du dich schlicht zu wenig
angestrengt. Also weiter versuchen…)
Erstaunlicherweise ist die umfangreiche Debatte dazu eher von Liberalität gekennzeichnet: Einer kauft
halt seine schwarzen T-Shirts im Fünferpack und kann sie dann gleich mit den
schwarzen Hosen zusammen waschen – und manche Damen mokieren sich höchstens
über Abstehendes (keine Angst: nur Kragenecken). Eine DJane hätte es lieber vielfältiger
und bunter, da sie sich keine Gesichter merken kann: „Und 10 hagere Glatzköpfe in Schwarz sind zu verwechselbar.“ Klar –
am Tanzstil kann man die Herren auf gewissen Milongas eh nicht unterscheiden…
Ich hatte dazu ja früher schon einmal den Código „Ronda mit Rückennummer“
vorgeschlagen!
Nach meinen Beobachtungen geben sich die Damen mit ihrem Milonga-Outfit schon deutlich mehr Mühe
als die Herren. Letztere strahlen für mich fallweise die Botschaft aus: Ist doch
wurscht, wie ich angezogen bin – bei dem Weiber-Überschuss komme ich so oder so
an genug Tänzerinnen!
Und sicherlich gibt es Kleidungsstücke, welche die tänzerische Ästhetik mehr fördern als
andere: Verkrümpelte Röhren-Jeans an hagerem Geläuf verschönern halt das nicht,
was die Wertungsrichter bei unseren früheren Tanzturnieren als „BL“ („Beinlinie“)
zu beurteilen hatten. Und wenn dann noch die eine Pobacke wegen des
eingesteckten Geldbeutels nicht ganz so flach ist wie die andere… Ebenso möchte ich im weiblichen Fall bei hautengen Hosen Marke „Presswurst“ nicht bei
der Entkleidung dabei sein, da dies wohl ein mühsames Geschäft werden dürfte.
Aber ansonsten? Mein Tango lebt von der Individualität, nicht von Codierung und Uniformierung. Daher müssen „weiße“, „rote“, „goldfarbene“, Dirndl-, Beach-
oder Pappnasen-Milongas auf mich als Gast verzichten – ebenso wie „perfekte Rondas“
nicht nur der Oberpfälzer Art.
Was ich jedoch auch bei Männern gerne sähe: Die Botschaft, man habe sich zum besonderen
Anlass ein wenig schicker gemacht
als im Alltagsleben. Und Vorsicht, meine Herren: Dem weiblichen Blick entgeht es keineswegs, ob die Hose erst ein Jahr
oder zehn ihre Dienste tut, das Hemd erst zehn oder bereits 200 Mal gereinigt
wurde – und ob das eingestellte Waschprogramm sachgerecht war oder nicht!
Zudem liegt bei allzu deutlicher Alltagskleidung der Verdacht nahe, der Träger stecke da wirklich
schon den ganzen Tag drin und habe die Hülle auch nicht verlassen, um vor der
Milonga noch mal zu duschen… Und nur bei Insekten schlüpfen aus Kokons meist
schöne Falter.
Ich glaube, Menschen können mit ihrem Äußeren zwei unterschiedliche Botschaften senden: „Das ist halt mein persönlicher
Kleidungsstil, mit dem ich mich wohlfühle“ oder „Ich hab mich da reingezwängt, weil das so erwartet wird“. Die eine
löst bei mir Faszination aus, die andere Bedauern.
Sicherlich schreibt ein Kommentator in obigem Forum mit einem gewissen Recht:
„Wer erklärt der
Tangowelt, wie sie sich zu kleiden hat? Und warum?
Wer unterwirft sich (freiwillig?) einer Sexsymbolik (tiefes Dekolletee, Push-Up, viel nackte Haut, möglichst hohe Schuhe?!) Und wer fordert dies? (…)
Wer unterwirft sich (freiwillig?) einer Sexsymbolik (tiefes Dekolletee, Push-Up, viel nackte Haut, möglichst hohe Schuhe?!) Und wer fordert dies? (…)
Zu oft sehe ich in
Kleider/Röcke tangouniformierte Frauen, denen alles besser stehen würde, als
Kleider oder Röcke oder gerade diese Kleider oder Röcke . . . Gruselig.
Und dann höre ich, dass sie keinen Millimeter zum Tanzen kommen, wenn sie eine Hose anhaben.
Was ist das denn für eine sexistische Sch . . . e!“
Und dann höre ich, dass sie keinen Millimeter zum Tanzen kommen, wenn sie eine Hose anhaben.
Was ist das denn für eine sexistische Sch . . . e!“
Unbestritten ist: Je konservativer
die Milonga, desto deutlicher der „Einheits-Look“
der Tänzerinnen in der bekannten „Mädelchen-Mimikry“. Die Frage, die mich schon
lange beschäftigt: Besuchen diejenigen Frauen solche Veranstaltungen, weil sie
sich endlich mal so kleiden dürfen – oder wählen sie ein solches Outfit, weil
es dort erwartet wird?
Ich hatte auf einer winterlichen
Milonga vor Jahren ein Erlebnis,
das ich nie vergessen werde: Eine Tanguera in einem äußerst figurbetonenden knallroten
Tangokleidchen, gleichfarbige Highheels inklusive. Der Schock kam, als sie sich
nachher von uns verabschiedete: Jeans, Pelzstiefel, Anorak, Pudelmütze. Mein
Kommentar hinterher: „Im Märchen geht es
immer anders herum.“
Daher, meine Damen: Ich sehe es durchaus, ob ihr auch im Alltag mal Röcke, Kleider oder Schuhe
mit höherem Absatz tragt – oder eben nur zum Tango. Eure Bewegungen fallen dann natürlicher
aus und geraten nicht zum unbeholfenen Herumgestaksel auf Pfennigabsätzen!
Entscheidend ist für mich, wie eine Frau tanzt – und nicht, worin. Eine Kommentatorin
bewertete dies ebenso bei den Männern:
„Lieber ein 70-jähriger
Viel- und Guttänzer in zerschlissenen Klamotten, der sein Geld in
Eintrittsgelder und Unterricht investiert, als ein aufgeschniegelter
Rassepudel, der meint, wie Torelli tanzen zu können, aber über die eigenen Füße
stolpert und wie ein Elefant im Porzellanladen durch die Ronda pflügt.“
Dennoch, meine Herren, ein bisschen mehr auf den „äußeren
Adam“ achten, gell? Ich höre da von Frauen oft unglaubliche Geschichten:
Bei einer Therapeutin, bei der ich mich zwecks Behandlung
ziemlich weitgehend zu entkleiden hatte, legte ich halt meine Sachen
einigermaßen ordentlich über den bereitstehenden Stuhl. Da sie die Szene mit
unverkennbarem Grinsen beobachtete, traf sie mein leicht irritierter Blick.
Darauf meinte sie:
„Nichts für ungut,
ich bin das von meinen männlichen Patienten nicht gewohnt: Die meisten steigen
gleichzeitig aus Schuhen und Hose, schreiten dann heraus und lassen die ganze
Pracht unten liegen.“
Und die können doch nicht alle Hausmeister sein…
P.S. Einen ähnlichen Artikel – mehr auf die Damenmode bezogen – habe ich letztes Jahr verfasst: http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/08/des-tangos-alte-kleider.html
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