Machen wir es wärmer!
Zurzeit
wird auf Facebook ein Text der Londoner Tangolehrerin Olga Metzner herumgereicht, der es tatsächlich in sich hat: 41 Mal wurde er bislang geteilt, 190 Personen signalisierten Zustimmung,
und es gibt bislang 168 Kommentare.
Dabei sind die enthaltenen Vorschläge weder neu noch gar revolutionär.
Vor
ein paar Monaten, so die Autorin, habe sie einem Londoner Milonga-Veranstalter
einige Ideen mitgeteilt, wie man
die Popularität solcher Veranstaltungen
steigern und die allgemeine Stimmung
verbessern könnte. Inzwischen hat sie wohl erste Erfolge beobachtet, welche sie sehr
ermutigen. Sie appelliert daher an alle Organisatoren und Tanzende, durch
stärkere Einbeziehung der Gäste die Tangoszene offener und freundlicher zu
gestalten. Im Einzelnen schlägt sie vor:
Eine
Tanda mit jemandem, mit dem man vorher noch
nie getanzt hat.
Eine
Tanzrunde, in der die Frauen ermutigt werden, aktiv aufzufordern. Sie sollen also nicht nur auf Blicke reagieren,
sondern diese von sich aus absenden.
Die
Veranstalter könnten freundliche Gäste darum bitten, sich tänzerisch um neue oder sehr schüchterne Besucher zu kümmern.
Eine
Verlosung – die Preise müssten gar
nicht großartig sein – vielleicht ein freier Milonga-Eintritt oder ein
Gratis-Getränk.
Eine Idee entnimmt sie dem Vorschlag der US-amerikanischen
Bloggerin Karen Kaye (deren Texte
ich ja mehrfach übersetzt und veröffentlicht habe):
„Wenn ich
Tänzer beobachte, lächle ich ihnen zu, während sie vor mir tanzen. Viele
Menschen sehen zu, als würden sie mit einem sehr abschätzigen Blick kritisieren.
Meine Lieblingsmilongas sind solche, bei denen die Leute lächeln und
Wertschätzung für andere auf dem Parkett zeigen. (…) Es entsteht eine unnötig kalte Atmosphäre.“
Olga Metzners abschließender Appell:
„Lassen
Sie uns etwas offener sein und den Tanzboden und die Umgebung betrachten. Es
tauchen so viele Tänzer auf, talentierte Newcomer oder Leute, deren
Verbesserung in letzter Zeit stetig war. In London sind wir allgemein dafür
berüchtigt, dass wir uns an unsere vertrauten Gesichter halten. Ich sehe, dass
einige der wirklich wunderbaren Tänzer ständig übersehen werden, weil die Leute
Tänzer außerhalb ihres eigenen Kreises einfach nicht bemerken. Versuchen wir,
den Kreis zu durchbrechen und ein bis zwei Tänze pro Nacht mit jemandem zu
tanzen, der neu ist oder mit dem Sie schon lange nicht mehr getanzt haben.
Viele wirklich wundervolle Tänzer machen keine auffälligen Sachen, und es ist
eine einfache Psychologie, dass wir nicht aufpassen, wenn wir kein fliegendes
Fleisch oder außergewöhnlich offene Persönlichkeiten sehen. Ich garantiere, wir
verpassen etwas. Schauen wir uns also neue oder bekannte Gesichter an, mit
denen wir nicht tanzen, und tanzen wir mit ihnen!"
„LET’S
MAKE IT WARMER!“
Man muss sicherlich nicht jeden Vorschlag für gleich sinnvoll halten – fest steht für mich
allerdings schon sehr lange: Milonga-Veranstalter,
die meinen, mit dem Herrichten des Saals und anderen organisatorischen Aufgaben
sei ihr Job bereits getan, befinden sich auf einem gigantischen Holzweg.
Die
entscheidende Aufgabe eines Gastgebers ist Gastfreundschaft,
deren besonders neue oder schüchterne Besucher bedürfen. Wie man
diese im Einzelfall gestaltet, ist ein weites Feld, das sehr viel Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen verlangt.
Ein
herausragendes Beispiel, das ich schon lange bewundere, ist der „Tango de Neostalgia“, den Peter Ripota und seine Frau Monika seit 2007 monatlich veranstalten. Eine vergleichsweise sehr lange Zeit, und das nicht im großstädtischen Ambiente, sondern „janz weit draußen“ in einem Freisinger
Industriegebiet. An der Musik kann
es nicht liegen – die ist für jeden auch nur halbwegs auf traditionelle Tangos
Konditionierten eine gar grausige Herausforderung! Zu allem Überfluss gibt es
weder Tanzregeln noch Cabeceo-Zwang, und die Frauen werden
ermutigt, selber (in welcher Weise
auch immer) aufzufordern.
Das
„Geheimnis“ der beiden ist schlicht die Zuwendung,
die jeder einzelne Gast erfährt. Niemand geht nach Hause, ohne dass er oder sie
zumindest ein kurzes Gespräch mit
den Veranstaltern hatte – und meist auch einen Tanz, in den solche Plaudereien oft münden. Zudem werden Stammgäste
(wie ich) gerne auf neue Besucher(innen) aufmerksam gemacht,
welche sich sicher über eine Aufforderung
freuen würden.
Die
„Tanda mit einer Fremden“ gehört
übrigens seit vielen Jahren zu meinen festen Vorsätzen: Auf jeder Milonga eine
Dame zu einem Tanz zu bitten, mit der ich bislang noch nie das Vergnügen hatte.
Schaffe ich es einmal nicht, bin ich bei der nächsten Veranstaltung ziemlich
nervös, bevor ich nicht mindestens mit einer Neuen (besser zweien) auf dem
Parkett war. Bei bislang über 3000
Milongas dürfte da eine ähnliche Zahl von Tanzpartnerinnen zusammengekommen
sein – und ich habe es nie bereut!
Der
Tipp von Karen Kaye ist übrigens
wirklich Gold wert: Tatsächlich werde ich oft auf neue Tänzerinnen aufmerksam,
weil sie mich anlächeln, wenn ich an
ihnen vorbeitanze. Anders herum: Wieso sollte ich jemanden auffordern, der mich
offenbar überhaupt nicht beachtet?
Natürlich
hat der Vorschlag von Olga Metzner für einen „aktiven Cabeceo“ der Frauen mal wieder die üblichen Debatten hervorgerufen:
Ja, das könnten die Damen doch jederzeit, tralala… Geschenkt! Ich kann dazu nur
sagen: Mag ja sein, dass die Blinzel-Einladung mit geschultem Personal, geeigneter Sitzordnung und Flutlicht funktioniert – für nicht so geübte Besucher ist das ganze
Regelungs-Gedöns absolut verwirrend sowie
abtörnend und sorgt vor allem dafür, dass die Leute sitzenbleiben und sich
nichts trauen!
Unschwer
ist zu erkennen, dass die Autorin eher konservative
Ansichten zum Tango vertritt. Das macht ihre Vorschläge umso interessanter. Auf Facebook jedenfalls
erntete sie bei mancher Skepsis doch überwiegend positive bis begeisterte Reaktionen. Sehr aufschlussreich übrigens,
dass auch etliche Schreiber betonen, gerade die Milongas in der britischen
Hauptstadt zeichneten sich durch Abweisung, Kälte und Cliquenwirtschaft aus.
Ich
halte das für ein Großstadtphänomen,
das man beispielsweise auch in Berlin oder München antrifft. Kein Wunder:
Bekanntlich kann dort ein alter Mensch
schon mal einige Wochen als Leiche
in seiner Wohnung liegen, bis es jemandem auffällt – oder eine fast ebenso lange
Zeit einsam auf seinem Milonga-Stühlchen verkümmern. Mir würde beides stinken…
Daher
halte ich die Vorschläge der englischen Tangolehrerin für sehr bedenkenswert.
Sie müssen ja nicht gleich in eine Ferienclub-Animation
ausarten, indem man ständig irgendwelche Kindergeburtstags-Spielchen
anleiert. Mich überzeugt das individuelle,
freundliche Zugehen auf jeden einzelnen Gast noch mehr. Freilich ist
hierfür eine soziale Begabung
erforderlich, die man entweder hat oder nie erlernen wird. In letzterem Fall
sollte man jedoch auch keine Milongas veranstalten…
Einen
hübschen Begleiteffekt erhielte man
zusätzlich: Die Herrschaften aus der „Stinkstiefel-Abteilung“
(„Muss ich dann mit jeder tanzen?“)
könnte man dadurch vergraulen und durch ein aufgeschlosseneres Publikum
ersetzen. Die Wärme auf unseren
Milongas würde zunehmen!
P.S. Wer neugierig auf die oben erwähnte Milonga
in Freising ist, könnte sich bereits heute Abend ein Bild machen:
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