Muss man im Tango „weiterkommen“?
„Es
nützt nicht viel, sich rotzuschämen.
Es nützt nichts, und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!“
Es nützt nichts, und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!“
(Erich
Kästner: „Spruch in der Silvesternacht“)
In einem Tangoforum auf Facebook gibt es eine
Person, die immer wieder versucht, „originelle“
Themen aufzubringen und andere zu Kommentaren
zu animieren.
Jüngst
stellte sie Ideen vor, „um beim Tango weiterzukommen“. Wenn
man mehr als fünf Jahre dabei sei, so ihre Vermutung, solle man sich doch
langsam fragen, wie es weitergehe. Schließlich habe man doch viel Zeit und Geld
in Kurse und Workshops investiert,
nächtelang Milongas besucht und
vielleicht sogar zeitweise oder dauerhaft einen Partner gefunden.
Was folgt,
sind 11 Vorschläge reichlich sarkastischer Art: So könne man DJ werden, falls man mit einem Laptop hantieren
könne, mit einer Digi-Cam Tangofotograf,
bei genügend rhetorischem Talent Tangolehrer,
oder man solle Schuhe oder Kleidung verkaufen, und vieles mehr.
Für mich
besonders interessant: Könne man lesen und schreiben, stehe einem der Job als Tango-Blogger offen, um so richtig über
andere herzuziehen. Und: „Wenn du richtig
gut bist und etwas Geld über hast, schreibe ein Buch. Kostet Zeit und Geld, macht
dich vielleicht berühmt.“
Nun, mich
hat es unterm Strich zwar kein Geld gekostet – berühmt jedoch wurde ich auch
nicht. Daher beherzige ich gerne den abschließenden guten Rat: „Gib deinen
jetzigen Beruf nicht auf: Tango macht nicht reich – eher das Gegenteil.“
Stimmt – und
meinen Beruf muss ich nicht mehr aufgeben – bin ja längst in Pension…
Da ich
offiziell kein Mitglied dieser FB-Gruppe mehr bin, konnte ich den Kommentar nicht schreiben, der mir
spontan einfiel. Glücklicherweise hat dies dann eine andere Person übernommen, welche einen Tipp hinzufügte:
„Wenn du zu nichts von alledem taugst und zu viel Zeit
hast, verfasse sinnfreie Facebook-Beiträge.“
Meinem Blogger-Kollegen Thomas Kröter blieb es überlassen, die Sinnfrage zu stellen, die mich in dem Zusammenhang besonders
bewegt:
„Wieso muss ich eigentlich ‚weiterkommen‘?“
Tja, und wohin
eigentlich? Wie war es bei mir? Immerhin wurde ich von einem bestimmten Blogger
schon als hartnäckig lernresistent
hingestellt…
Klar – wer mit dem Tango anfängt, landet zunächst zu fast
hundert Prozent in einem Kurs. Diese
Phase währte bei meiner Frau und mir knapp zwei Jahre, in denen wir bei einem
damals monopolartig regierenden Lehrerpaar in Regensburg Unterricht nahmen.
Neben ein wenig Technik drehte sich
fast alles um die berüchtigte Achterbasse,
welche als „Salida“ den Eingang zu allen anderen Figuren bildete. Heute weiß ich
natürlich, dass die beiden Opfer argentinischer
Instruktoren waren, welche ab den 1980-er Jahren dergestalt den Bedarf der Touris
nach einem Grundschritt
befriedigten.
Schlimmer noch: Andere
Schritte außer den gelehrten gab es nicht, improvisieren war verdächtig. Zudem etablierte sich mit
der Zeit ein derart diktatorischer Stil,
dass wir nach zirka drei Kursen ausstiegen.
Zu unserem Glück war im Jahr 2002 das Angebot an konkurrierenden Lehrkräften äußerst gering. Gelegentlich besuchten
wir Übungsstunden („Workshops“ gab es noch keine) eines US-amerikanischen
Lehrerpaars, das wenigstens wesentlich freundlicher agierte, sowie für zirka
zwei Jahre Practicas eines in der Szene völlig unbekannten Lehrers, der mit
seiner Mutter eine normale Tanzschule betrieb.
Vor allem aber gingen wir zu Milongas in anderen Städten, insbesondere in München. Im Gegensatz
zu Regensburg, wo ja damals alle dieselben
Tangolehrer hatten und die Frauen daher auf die genormten Figuren dressiert waren, liefen wir in der
Landeshauptstadt mit unserer Achterbasse
ziemlich auf, da sie kaum jemand kannte. Auf oft sehr vollen Milongas lernten
wir in Rekordzeit – zur Sicherung unseres tänzerischen Überlebens – improvisieren.
Allmählich begriffen wir, dass es im Tango nicht auf das Was, sondern das Wie ankommt. Über manche Erlebnisse dabei muss ich heute noch
lachen. Unser amerikanisches Lehrerpaar, vorher auch dem üblichen Grundschritt
verhaftet, stellte uns eines Tages ein „new concept“ vor: Wir sollten von
einem Bein aufs andere pendeln und irgendwann geradeaus voranschreiten (was man
ja „caminar“ nennt). Da unser
Ausbilder nicht gerade ein didaktisches Genie war, wechselten fortlaufend die
Anweisungen, nach wieviel Pendelschritten man loslegen sollte. Als mich ein
anderer Schüler fragte: „Nach wie viel
Mal auf der Stelle gehst du vorwärts?“ antwortete ich, bereits leicht
genervt: „Wenn’s mir zu blöd wird!“ Auch
mit ersten Tipps zum musikalischen Tanzen wurden wir – in leicht amerikanischem
Akzent – versorgt: „Männ’r, hört mal an –
wou is die Takt?“
Der Lehrer in unserer Practica dagegen schrieb uns kaum etwas vor, im Gegenteil: Nach dem
Vortanzen einer kleinen Kombination (die ihm wohl kurz vorher eingefallen war)
ließ er uns erstmal allein. Wir waren also gezwungen, selber zu probieren und uns untereinander auszutauschen. Nach einer halben Stunde
gab es so viele „Figuren“ wie Paare… Nach und nach kapierte ich, dass es hier
nicht um feste Schrittfolgen ging, sondern darum, unsere Kreativität und Vielseitigkeit
zu fördern.
Das Zentrum
unseres Lernens jedoch bildeten die vielen Milongas, die wir (oft fünf Mal
pro Woche) besuchten. Auf fast jeder wurde damals eine andere Musikauswahl geboten, an die man sich anzupassen hatte. Und
noch besser: Man erlebte – da die „traditionelle“ Gleichschaltung noch nicht
erfolgt war – unglaublich unterschiedliche
Tanzstile. Für fünf Euro Eintritt war das Tanzunterricht pur – einfach das abschauen, was einem gefiel! Und
es war viel einfacher, einen Tanzpartner
zu finden, ohne bis zur Bindehautreizung herumstarren zu müssen. Man ging
einfach hin, fragte – und schon ging es los!
Den größten Dank
schulde ich daher den zirka 3000
Tanzpartnerinnen, mit denen ich schon auf dem Parkett war. Was ich von
ihnen bis heute gelernt habe und immer noch lerne, ist gigantisch. Und dabei
ist es nicht so wichtig, ob ich es schaffe, eine bockbeinig Verspannte dennoch
halbwegs flüssig durch drei Tangos zu schieben, oder mir eine exzellente
Tänzerin Bewegungen bietet, von denen ich bislang noch nicht wusste, dass sie
möglich sind. Wie auch immer – stets sind es neue und wertvolle Erfahrungen.
Muss man also „im Tango weiterkommen“?
Natürlich nicht! Wem
es reicht, sich mit stets demselben (oder
dem gleichen) Partner zum selben Musiktyp auf seiner Stamm-Milonga zu bewegen, soll es doch
tun! Eine Weiterentwicklung dürfte jedoch
schwierig werden, selbst wenn man alle möglichen Unterweisungs-Stunden besucht.
Allerdings empfehle ich dann dringend, das entsprechende Wehklagen zu unterlassen.
Und obwohl es wahrscheinlich die verehrten Tangueras nicht gerne hören werden: Das
Gejammer, die Kerle würden ja doch nur die jungen,
hübschen (und möglichst noch blonden) Dinger
auffordern, ist höchstens die halbe
Wahrheit. Gut tanzen zu können
ist ebenfalls nicht von Nachteil…
Ich weiß nicht, wie oft ich in solchen Fällen schon zu naheliegenden Maßnahmen wie Wechsel der
Milonga, eigenständigem Auffordern oder Privatstunden geraten habe. Oder wie
wäre es, selber führen zu lernen? Wer all das ignoriert, darf sich über die Folgen
nicht wundern.
Ich konnte hier nur meinen eigenen Weg schildern, auf dem ich im Tango weiterkam. Es gibt
viele andere. Jeder muss seinen eigenen finden. Wer neugierig und offen
bleibt, bereit ist, Grenzen zu
überschreiten, Neuland zu entdecken, dem gebe ich die Garantie:
Eine Weiterentwicklung wird sich gar nicht verhindern lassen.
Eine Weiterentwicklung wird sich gar nicht verhindern lassen.
Allerdings beneide ich diejenigen, welche heute mit dem Tango anfangen, wirklich nicht. Zu viel
ist inzwischen genormt,
Selbstständigkeit wirkt eher verdächtig: Ja nicht aus der Reihe (sorry: Ronda)
tanzen, keine „Fehler“ machen, keinesfalls anders tanzen als der Rest! Freude und Spontaneität werden im komplizierten Regelwerk erstickt. Ich vermute: Hätte es zu „unserer Zeit“ schon
viel mehr Tangolehrer gegeben, hätten wir wegen der Gängelei in den Kursen irgendwann aufgehört.
Der Berliner Tangokollege Tom Opitz hat es neulich in einem Blogbeitrag sehr treffend
ausgedrückt, als er die Lernform
charakterisierte, welche auch meinen Weg im Tango beschreibt:
„Dagegen gibt es aber
auch viele andere, die sich das Tangotanzen irgendwann oder von Anfang an eher
spielerisch erschlossen haben. Sie folgen weniger den Vorgaben als ihrem
eigenen Gefühl – selbst dann, wenn sie probieren, etwas zu kopieren. Sie tanzen
ihre Bewegungen und können sie in fast jede Musik fließen lassen, dabei mit den
Rhythmen spielen und große, ungewöhnliche Ausdrucksformen auch spontan finden.“
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