Wie schön, kein Funktionär zu sein!
Erst
kürzlich durfte ich mich auf Facebook belehren lassen, die Tangoveranstalter täten doch ihr Bestes, unsere kleine
Tangogemeinde am Leben zu erhalten. Daher solle man sie nicht auch noch kritisieren…
Einer
aus der Branche legte dann gleich mit einer voluminösen Aufzählung nach, was denn so alles auf seinen schwachen
Schultern ruhe: stundenlanger Auf- und Abbau, Bar, Einkauf, Raummiete, Technik,
Versicherung (GEMA hat er nicht genannt, zahlt sie aber sicher trotzdem) – ohne
freiwillige Helfer gar nicht zu schaffen!
Also,
der Reihe nach: Auf meinem Blog findet man mehrfach meine Anerkennung für solch löbliches Tun. Wenn ein Organisator aber noch
genügend Freizeit hat, um öffentlich
Mist zu verzapfen, landet er dennoch auf meinem Blog – sorry!
Andererseits
habe ich bislang noch von keiner Verpflichtung
gehört, Milongas zu veranstalten. Alle Organisatoren tun das freiwillig und sollten sich in
regelmäßigen Abständen die Sinnfrage stellen.
Neulich
fragte ich bei einem Gespräch meine Frau:
„Ist dir schon klar, dass die meisten, die – wie wir seit 20 Jahren – Tango
tanzen, inzwischen in der Funktionärsebene gelandet sind? Also
Milongaveranstalter, Tangolehrer oder Schlimmeres?“ Nachdem wir von 2007 bis 2009 eine öffentliche
Tangoveranstaltung organisierten, haben wir uns seither weitgehend aus dem
Rummel zurückgezogen – und sind sehr
glücklich darüber!
Dabei
sind es ja weniger die äußeren Umstände,
die uns belasten würden: Das Einpacken und Schleppen von Kisten mit Requisiten, Verstärkern
und Lautsprechern, das Einrichten von Licht und Ton, die ganze Fahrerei, den organisatorischen Kram
kenne ich von über 1000 Zaubervorstellungen
– und zusammen mit meinen Musikkollegen von zirka 100 Auftritten als Moderator und Magier.
Was
mich seit Langem viel mehr belasten würde, ist die ständige Kontrolle des eigenen Verhaltens: Auf
welcher Milonga müssten wir uns wieder einmal sehen lassen, um Gäste
anzusprechen, sollte ich lieber mit Frauen tanzen, die zu unserem Besucherkreis
zählen – oder doch eher mit denen, welche ich noch von einer Teilnahme an der
eigenen Milonga überzeugen möchte? Was ist im Moment gerade total angesagt?
Live-Musik oder doch bekannte DJs, neo oder traditionell? Encuentro oder
Normalo-Milonga? Kleider- und Schuhverkauf, Practica, Tombola, Showtänze oder lieber Tangoferien organisieren?
Ich
kenne Tangoveranstalter, die sich beim Besuch einer anderen Milonga zuerst einmal eine
Stunde lang durch das Gästekontingent
scharwenzeln, um Kontakte zu
knüpfen oder zu pflegen und anschließend mit einem anwesenden Alphaweibchen
eine rituelle Tanda zu verüben – nur
nix riskieren: Muss ja werbewirksam
aussehen. Und dann darf man noch ständig Flyer mit sich schleppen, um irgendwelche Tische damit zuzumüllen...
Und
natürlich: Nur nirgends anecken – könnte ja Gäste kosten! Diskussionen um die Sache
– so durfte ich neulich wieder einmal erfahren – sind absolut kontraproduktiv.
Vielleicht hat man ja tatsächlich als Aficionado
begonnen – irgendwann aber landet man als Marketing-Bettvorleger.
Bereits
in der 1. Ausgabe meines Tangobuches
schrieb ich dazu:
„Es scheint ein ganz allgemeines Phänomen sein, dem ich im
Leben immer wieder begegnet bin – ob nun in meinem Beruf, beim Zaubern, beim
Standardtanz oder beim Tango argentino. Irgendwann hat man so viel praktische
Erfahrung, ist mit einer Beschäftigung derart vertraut, dass sich verlockende
Perspektiven auftun: Man könnte von einer herausgehobenen Position aus weit
mehr gestalten als durch das bisherige konkrete Tun, mithin zum ‚Apparatschik‘
mutieren – Aufstieg in der Rangordnung natürlich inklusive!
Lässt man sich darauf
ein, bemerkt man schon bald, dass der größere Einfluss teuer erkauft ist: Man
muss jede Menge Kompromisse schließen, alles Mögliche akzeptieren, nur um des
‚großen Ganzen' willen - und wird dabei nicht weniger abhängig, sondern nur von höheren Instanzen. Das Schlimmste: Die ursprüngliche Tätigkeit, deren Faszination einen ja in den ganzen Schlamassel getrieben hat, rückt zunehmend in den Hintergrund! Nun gibt es zwei Alternativen: Entweder – so wie manche Politiker – immer noch höher steigen, noch mehr vermeintliche Macht gewinnen wollen oder die Sinnfrage zutreffend beantworten und sich zurück zu den Wurzeln begeben.“
‚großen Ganzen' willen - und wird dabei nicht weniger abhängig, sondern nur von höheren Instanzen. Das Schlimmste: Die ursprüngliche Tätigkeit, deren Faszination einen ja in den ganzen Schlamassel getrieben hat, rückt zunehmend in den Hintergrund! Nun gibt es zwei Alternativen: Entweder – so wie manche Politiker – immer noch höher steigen, noch mehr vermeintliche Macht gewinnen wollen oder die Sinnfrage zutreffend beantworten und sich zurück zu den Wurzeln begeben.“
Daher
rate ich jedem Tangoveranstalter –
vor allem, falls er auch noch jammert – sich genau seine Motive für diese Tätigkeit zu überlegen:
Wenn
er sie in der Hoffnung auf maßgebliche
Einkünfte unternimmt, habe ich ganz schlechte Nachrichten: In der Regel
wird das nix. Größer ist das Risiko, in finanzielle
Schwierigkeiten zu geraten.
Oder
genießt man seine Rolle als „Tango-Promi“,
als jemand, der überall achtungsvoll begrüßt wird, dem die Weiber
hinterherrennen? Selbst wenn das so wäre (und auch da warne ich vor
Selbsttäuschungen): War da nicht mal was mit der Faszination der Musik, des
Tanzes? Ich fürchte, das wird auf die Dauer ziemlich in den Hintergrund
geraten…
Am
ehesten kann es noch gutgehen, wenn man wirklich ein „Tangoverrückter“ ist und bleibt. Dann hält man am ehesten all die Enttäuschungen aus, die einem
wählerische und anspruchsvolle Gäste, unzuverlässige Mitarbeiter, launische
Gastronomen sowie intrigante Konkurrenten bescheren – von den organisatorischen Problemen ganz zu schweigen.
Aber
wer soll es sonst machen? Da würden mich keine Sorgen belasten: Das Angebot übersteigt im Tango immer mehr
die Nachfrage – an Häuptlingen ist
kein Mangel, eher an Indianern…
Und
es ist ja keiner daran gehindert, kleine,
private Tangotreffs zu veranstalten. So wie wir: Unsere „Wohnzimmer-Milongas“ (gestern war die
sechzigste) erwärmen nach wie vor mein Herz. Sicherlich empfangen auch wir
gerne viele Gäste (soweit es der Platz überhaupt zulässt) – aber wir haben
immer wieder festgestellt: Die zauberhafte
Stimmung wird oft deutlicher, wenn es weniger
Besucher sind.
Und
das Schönste: Ich muss auf keine Tangofraktion
(und schon gar nicht auf irgendwelche Wichtigtuer) Rücksicht nehmen, sondern darf in meinen Veröffentlichungen so frech sein, wie ich möchte! Für die
fanatischen Traditionalisten ist
Pörnbach eh ein No-Go, über reine Neo-Musik
habe ich auch schon gelegentlich gelästert – und die Contango-Population ist fallweise nur liberal, wenn man sie nicht
kritisiert.
Daher
rate ich allen, die Milongas veranstalten: Bleibt bei eurer persönlichen Linie und kümmert euch
nicht um irgendwelche Moden, Trends oder Fronten! Auf die Dauer überzeugt das – und stärkt die eigene Zufriedenheit.
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