Von der Temperatur der Sohle
Heute
veröffentlichte die Ingolstädter Lokalzeitung „Donau Kurier“ einen
Bericht über die Open Air-Tangoabende
am Rathausplatz: Bereits auf Seite 1 ein Foto mit der Überschrift „Eine
heiße Sohle“ – und zwei Seiten weiter ein ausführlicher Text unter dem Titel „Tango im Freien".
Zur
Sommerzeit kann man dort jeden Mittwoch in der schattigen Passage vor dem „Café
Moritz“ zwischen 18 und 22 Uhr Tango tanzen. Der „Tango in Ingolstadt e.V.“ gibt sich wirklich große Mühe bei seinen
Veranstaltungen: Das beginnt bei der riesigen Gummimatte, die über dem etwas
abschüssigen Pflaster liegt, und endet beim Engagement diverser Musikgruppen,
welche dort live auftreten.
Man
sitzt rund um die Tanzfläche an kleinen Tischen – und nicht nur von dort hat
man einen prächtigen Blick auf die Tanzfläche. Immer wieder bleiben ganze Gruppen von Passanten stehen und
beobachten staunend die Paare, welche diesen für Laien doch ziemlich exotischen
Tanz aufführen – in den Augen der meisten Frauen der bekannte „Des mechad ich aa“-Blick, bei den Männern eher die Sorge, die
Partnerin könnte demnächst diese gute Idee in die Tat umsetzen wollen.
Mithin
eine tolle Werbung für den Tango - nur „argentinisches Flair", wie es im Untertitel der Online-Version (siehe unten) heißt: Nein, Gott sei Dank bleiben uns Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen und Verbrechensraten des südamerikanischen Staates erspart! Aber Journalisten lieben solche exotischen Anklänge.
Man
muss der Autorin Suzanne Schattenhofer zubilligen, dass sie die ganze
Szenerie trefflich beleuchtet. Und immerhin – auch dies durchaus ein Lob wert –
dokumentiert sie mit verschiedenen Fotos der Veranstaltung, dass es den „einen, authentischen Tanzstil“ beim Tango nicht gibt: Zwischen der
in sich gekehrten, reduzierten Tanzweise der Veranstalter, dem eher sportiven
Stil einen anderen Paars und dem der alten Tangofreunde Monika und Peter liegen
Welten: Letzterer darf sogar seine Spezial-Showtango-Figur, den „tiefen Ripota“ unkritisiert vorführen.
Nun ja, und die „knisternde Erotik“, welche die Reporterin (auch modisch) hie
und da auszumachen glaubt, wollen wir gnädig dem journalistischen Hang zur plakativen
Übertreibung zuordnen.
Die
Akteure kommen ausgiebig zu Wort und beschreiben treffend den Zauber, der sich auch beim Tanz mit
einem völlig Fremden ausbreiten kann. Ebenfalls durchaus ehrlich wird das
Problem des „Frauenüberschusses“
angesprochen – und selbst die Idee, man könne diesen als Dame durch Erlernen des Führens abmildern, scheint
bei der einen oder anderen Tänzerin auf der Schanz durchaus schon angekommen zu
sein. In der Praxis allerdings sieht man davon am Rathausplatz wenig (die Veranstalterin selber mal ausgenommen – hierfür ein Extra-Kompliment). Immerhin
wird dort partnermäßig viel gewechselt
– und das ist ja auch schon etwas.
Tango ist universell, dies kommt in
dem Text ebenfalls schön zur Geltung: Egal wo auf der Welt – man kann sich mit jedem in
dieser Bewegungssprache verständigen.
Dennoch
habe ich mit solchen Artikeln meine Probleme:
Von dem, was uns Tänzer (hoffe ich jedenfalls) auf das Parkett lockt, nämlich der Musik, ist kaum die Rede – und schon gar nicht, dass man dort die
DJs vorwiegend nach ihrer Präferenz für die historische Tangomusik (also bis
höchstens 1960) auswählt. So wird den Lesern und vor allem den zusehenden Laien
der Eindruck vermittelt, die alten Aufnahmen seien „der Tango“ schlechthin.
Umso irritierender, da die Veranstalterin Katrin Böhner immerhin bemerkt: „Deshalb kann man jede Musik mit Tango
vertanzen, denn man vertanzt das Gefühl." Na eben, man müsste sie halt
auch auflegen – und dies braucht ja mitnichten „Non Tango“ zu sein… Und
natürlich werden Tandas und Cortinas ohne jede Einschränkung als
Milonga-Merkmal beschrieben.
Ähnlich
wird die Aufforderungsweise pauschalisiert:
„In dieser kleinen Pause fordern die
Tänzer die Frauen mit einem diskreten Blick auf.“ Auch hier wieder dieser Alleinvertretungsanspruch. Die Wahrheit
ist – und das kann ich als häufiger Gast dort wirklich bestätigen: Machen
manche, viele jedoch auch nicht. Die gehen einfach hin und fragen!
Wie
gesagt: Ich möchte die Veranstaltungen des Ingolstädter Tangovereins wirklich
nicht kritisieren – und schon gar nicht das große Engagement der Gastgeber. Allerdings stört mich die zwischen den Zeilen mitschwingende
Botschaft, so und nicht anders seien halt Musik, deren Gliederung und die
sonstigen Sitten und Gebräuche im Tango.
Bei
unserer kleinen Hausmilonga in Pörnbach
(und auch früher, als ich noch öffentlich auflegte) tun wir alles, um unsere
Gäste zu informieren, welche Art von Musik wir spielen, dass wir die Sache mit
den „Códigos“ sehr locker sehen – und dies alles nicht unbedingt dem entspricht, was sich
traditionelle Tänzer unter einer Milonga vorstellen.
Vor
Jahren noch forderten konservative Tangoblogger ultimativ, die Organisatoren
hätten genauestens zu kommunizieren,
welche Musik sie böten. Aber dies
scheint nur für „Abweichler“ zu gelten. Die Vertreter des Mainstream haben
inzwischen den Begriff „Tango“ für ihre historisch orientierten Milongas
monopolisiert. „Tango im Freien“ muss
also nicht „freier Tango“ bedeuten…
Aber
um Gerechtigkeit walten zu lassen: Auch im Ingolstädter Tango wird alle paar
Monate einmal ein moderner DJ
verpflichtet. So darf am Mittwoch, den
29.8. der DJ Christoph Bos den
Ingolstädter Rathausplatz mit einem zeitgenössischen Musikprogramm beschallen. Voraussichtlich
wird dann die Sohle noch heißer als heute im Donau Kurier beschrieben!
Hier
der Original-Artikel:
https://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/DKmobil-Tango-im-Freien;art599,3875003
P.S.
Der Zeitungsartikel hat offenbar Wirkung gezeigt!
Am
gestrigen Mittwoch entdeckten wir am Rathausplatz anfangs kaum Tangotanzende –
dennoch waren die Tische um die Tanzfläche nahezu voll besetzt: Eine Heerschar tangofremder
Senioren (Typus „Bad Gögginger Kurcafé“) harrte der Dinge, die da kommen
sollten – und applaudierte nach jedem Stück aus unbekanntem Grund.
Die
besten Plätze rund um die Arena wurden reserviert und hartnäckig verteidigt. Dass
auch Tänzer sich zwischendurch gerne mal setzen, schien dem
Roll(atoren)kommando unbekannt. Vielleicht meinte man, die Tangueras und
Tangueros lagerten in Kühlkammern des Café Moritz und würden kurz vor
Milongabeginn aufgetaut zur Tanzfläche transportiert. (Obwohl – angesichts des
vorherrschenden Tanzstils gar keine so absurde Vorstellung…) Dennoch muss man natürlich korrigieren: Dort wird, zur Verhinderung des weiteren Verderbs, lediglich die zum Einsatz vorgesehene Musik deponiert.
Erst
im Laufe des späteren Abends gelang den Tangoleuten eine partielle
Rückeroberung des Terrains.
Wieso
dieser Auflauf? Wirkliches Interesse am Tango argentino? Ach geh…
Eher
schien wohl die im Zeitungsbericht verheißene „Erotik“ für den Massenandrang
verantwortlich. Aber da sich nach meinen Beobachtungen keines der Paare die
Kleider vom Leib riss und/oder sich auf der Gummimatte im Kaffeesatz wälzte,
dürfte der Ansturm der Betablocker-Voyeure wohl temporär sein.
Dennoch
würde ich als Veranstalter am nächsten Mittwoch ein Kontingent von
Magnetbändern und Rheumadecken vorhalten…
Impression vom Rathausplatz (Foto: www.tangofish.de) |
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