So ungefähr…
Jenen
Ausspruch, der höchstes Lob für einen mehr
als gelungenen Tanz bedeutet, kennen mir sehr nahe stehende Tangueras – oft
noch ergänzt mit meiner trockenen Feststellung: Jetzt könnten wir eigentlich schon wieder heimfahren…
Neulich
entdeckte ich durch puren Zufall ein Video,
das wohl aus diesem Jahr von einer Moskauer Veranstaltung stammt: Ein sichtlich
verschlankter und daher wieder bewegungsfreudigerer Sebastián Arce wirbelt übers Parkett wie in seinen besten Zeiten.
Seine Partnerin hat mich jedoch fast noch mehr beeindruckt: Eleonora Kalganova. Ihre tänzerische
Linie, die Fußtechnik und vor allem ihre Musikalität sind nach meinem Empfinden beispielgebend. Wer lernen will, wie man Phrasierungen tanzt, hat von einem
solchen Anblick mehr als von teuren Workshops:
Übrigens tanzen die beiden zu absoluter EdO-Klassik: Die
Milonga „De Antaño“ („Von gestern“) komponierte und textete Luis Rubistein 1939 – und aus dem
selben Jahr stammt die hier verwendete Einspielung von Juan D’Arienzo mit dem Sänger Alberto
Echagüe.
Herr
Arce sollte sich allerdings warm anziehen: Die Konkurrenz schläft nicht! Seit
2013 tanzt und unterrichtet Eleonora Kalganova hauptsächlich mit Michael Nadtochi. Das folgende Video wurde 2017 in
Denver/Colorado aufgenommen. Die beiden interpretieren einen Tangovals mit
derartiger Dynamik, dass einem vom Zuschauen fast schwindlig wird.
Bezeichnenderweise ist es wieder eine Einspielung von Juan D’Arienzo aus dem Jahr 1936: „Corazón de Artista“ („Künstlerherz“), komponiert von Pascual de Gullo (von dem auch das
berühmte „Lágrimas y sonrisas“ stammt):
Merke: Auch so (ungefähr) kann man EdO-Musik vertanzen!
Als ich nach der Biografie der beiden Ausnahmetänzer forschte, musste ich sehr
schmunzeln:
Eleonora Kalganova stammt aus
Taschkent und tanzt seit ihrem 6. Lebensjahr. Zunächst war sie sehr erfolgreich
im Standardtanz unterwegs, später lernte sie Folkloretänze und Ballett. Sie
gehörte zum Ensemble des Bolschoi-Theaters. Argentinischen Tango erlernte sie
erst ab 2009.
Die Karriere von Michael
Nadtochi begann mit 10 Jahren in Moskau. Er war lange Zeit mit großem
Erfolg in den Lateinamerikanischen Tänzen aktiv. Tango tanzt er seit 14 Jahren.
Aha, eine Usbekin und ein Russe, die auch noch vom
Standardtanz kommen… Soviel zum Tango, den ja bekanntlich nur die Argentinier „im
Blut haben“…
Ihre künstlerischen Ansätze ähneln sich auffallend: So
sagt Eleonora, sie möchte lieber „authentisch
statt die Kopie einer anderen Person sein“ – und Michael betont die Rolle
des Tanzes bei der Selbstentdeckung: „Kurse und Workshops sind nur Werkzeuge, die
einem helfen, herauszufinden, wer man selber ist – und welche die notwendige
Technik schaffen, um sich selbst durch den Tanz auszudrücken.“
Ach
ja – und wer meint, eine Tänzerin brauche einen exzellenten Partner, der sie
gut aussehen lasse: Im folgenden Video zeigt Eleonora Kalganova, dass sie ganz allein tanzen kann. Ein Partner
ist zwar toll, aber nicht Voraussetzung.
So
ungefähr passt das dann:
P.S. Gerade erfuhr ich von einer Leserin, dass das Video von Arce/Kalganova wohl schon aus dem Jahr 2013 stammt. Und Kalganova hat sich angeblich schon vor einem Jahr von Michael Nadtochi getrennt. Inzwischen sei sie wieder zu Arce zurückgekehrt. Ja, es lebe die Beständigkeit bei den Tanzprofis...
"So ungefähr"... kann man das vielleicht auch sehen:
AntwortenLöschenzugegeben, es ist musikalisch (Phrasierungen, Verzögerungen, Spielereien) tatsächlich beispielgebend wie Eleonora tanzt und wird, ähnlich wie Noelia Hurtado der Folgerolle einen neuen Stempel in Sachen Fußtechnik aufdrücken, die high-heel-Frauen scharren ja schon mit den Hufen, es ihr gleichzutun. Aber das i s t dann auch nicht mehr der geerdete argentinische Tango, das ist dann auch ein russisch eingefärbter Tango mit Bolshoi-Balletteinlagen und einer Fußbeweglichkeit, die keine normale Frau ohne Ballettausbildung annähernd hinkriegt. Das ist dann auch ein Tanz auf dem Ballen und den Zehenendgelenken, der alle Arten von Fußheilern auf den Plan ruft (Hallux lass grüßen)...
Das Gefuchtel mit den Armen und das affig selbsbewußte Getue ist ja auch ein Einschlag vom Standardtanz und keine Weiterentwicklung des originären Tango Argentino.
Muß man mögen! Bis 2017 ungefähr war es wunderschön anzuschaun - heute erscheint es mir eher wie eine manierierte Masche. Soweit mein Beitrag zu Schuster's Leisten, viele Grüße Nena
Liebe Nena,
Löschenich lasse Ihren Beitrag ausnahmsweise stehen, obwohl Sie sich nur mit Vornamen identifizieren. Weitere Kommentare würde ich aber nur noch bei voller Namensnennung hochladen.
Ihr Text zeigt beispielhaft eine Sichtweise, welche halt überhaupt nicht die meine darstellt – und damit auch ein Grundproblem in der Tangoszene.
Natürlich darf Ihnen ein anderer Tangostil besser gefallen – und auch mein überschwängliches Lob ist nur persönlich gemeint, stellt also keine objektive Wertung dar.
Ich habe nur Probleme mit Urteilen, die immer darauf hinauslaufen, was denn der „originäre argentinische Tango“ sei und wie weit ein bestimmter Stil davon abweiche. Darf man so sehen – nur verzichtet man dann auf jegliche Weiterentwicklung unseres Tanzes, weil man ja eine unveränderliche Blaupause vorgibt. Die übrigens nur imaginär ist: In der mehr als hundert Jahren alten Tangogeschichte hat es auch am Rio de la Plata ganz verschiedene Musik- und Tanzstile gegeben.
Gleichzeitig schmückt man sich damit, der argentinische Tango (und übrigens der aus Uruguay) sei ein „Weltkulturerbe“. Nur hat die UNESCO halt zu diesem Anlass festgestellt, das gelte für auch für weltweite neue Entwicklungen von Musik und Tanz.
Daher ist es mir persönlich völlig schnuppe, wie sehr ein Tanzstil einer weitgehend „erfundenen Tradition“ ähnelt. Im Gegenteil: Ich freue mich über eine Vielfalt ganz unterschiedlicher Tanzweisen.
Danke und beste Grüße
Gerhard Riedl
P.S Ihre Sorge hinsichtlich des Hallux valgus teile ich. Daher rate ich Tänzerinnen stets zu bequemen Sneakers. Aber mit dieser Fußbekleidung würden sie ja in bestimmten Szenen kaum aufgefordert…
Danke für das ausführliche Eingehen auf meinen Kommentar!
LöschenZum Thema Stilfragen, Blaupause und Weiterentwicklung möchte ich gerne genauer antworten, wenn ich ein wenig mehr Zeit habe. Es gibt dazu auch ein paar passende Video-Fundstücke, die Links suche ich noch raus. Bis bald, Nena Lizius (Brückerl...;-))
Liebe Nena,
Löschensorry, mein Namensgedächtnis... ist aber auch schon eine Weile her!
Na, damals haben wir doch ein Zeug zusammengetanzt, das alles andere als "originär argentinisch" war, oder? Und hatten ziemlich viel Spaß dabei.
Bis bald und liebe Grüße
Gerhard
Haha, da muß ich dir rechtgeben, we had so much fun!
LöschenHier nun meine Antwort: Ja stimmt, es wäre dogmatisch, meine persönliche Abneigung gegenüber bestimmten Verzierungen als Abweichung von einem imaginären "echten" Tango zu behaupten. Sollte ich in diesem Sinne persönlichen Geschmack und objektives Urteil nicht auseinandergehalten haben, müßte ich mich korrigieren. Es stimmt auch, dass der Tango durch verschiedene Stileelemente gegangen ist, aber daraus hat sich doch ein Tanz entwickelt, den man Tango nennt und von anderen Tänzen wie Standard und Ballett abgrenzen kann. Auch eine "Weiter"entwicklung muß ja irgendwo eine originäre Blaupause haben (ich würde es lieber eine "Identität" nennen), an der entlang man das Original von den Modifikationen unterscheidet. Oder an was denkst du denn bei "Weiter"- und bei "Entwicklung"? Was ist der Ausgangspunkt von dem aus sich hier etwas verändert, aber immer noch im Wesen dasselbe bleibt (sonst wäre es ja keine Entwicklung von demselben)…?
Tennis hat sich auch vom einarmigen Drive mit Holzschlägern zum beidhändigen Topspin mit Hightech-Schlägern weiterentwickelt, aber es bleibt Tennis und ist nicht Fußball. Und wenn man den Tango als freie Kontakt-Improvisation tanzt, dann ist es auch nicht mehr der originäre Tango mit seiner eigentümlichen Physik und Poesie, sondern eben Contac-Tango. Und Iglesias' Version von "Uno" ist auch kein Tango, auch wenn der song vom Tango stammt, sondern ist ein Nontango, weil ihm die rhythmischen Arrangements fehlen, zu denen der Tangotanz phrasiert und verziert wird. Ich denke, es ist klar, dass ich damit nicht sagen will, man könnte auf Iglesias nicht tanzen oder phrasieren. https://www.youtube.com/watch?v=8jvRIvhM_jc&t=1s
https://www.youtube.com/watch?v=ydEFhNYv1bw
Das kann man alles differenzieren und ohne Geschmacksfragen und Wertung diskutieren - insofern ist es weder hilfreich, den Tango als exklusives Original zum Maßstab zu machen, noch umgekehrt ihn mit der Definition einer stetig sich weiterentwickelnden Transformation un(an)greifbar zu machen.
Die Übergänge zwischen den Tanzrichtungen sind fließend - hier z.B. mutet das Stück fast wie ein Pas de deux an, (obwohl es natürlich noch ein Tango ist, oder….? 😉):
https://www.youtube.com/watch?v=9M1Idrpp1UI
Ist das jetzt eine Weiterentwicklung oder eine Verletzung der Blaupause? Richtig - keins von beiden! Es ist halt erstmal der Stil und das Alleinstellungsmerkmal der beiden Ex-Russen und ob sich sowas (bei den Profis) durchsetzt, wird sich herausstellen. Wir dürfen ja nicht vergessen, daß wir hier über Profi- und Bühnentänzer reden und nicht über die/den einfache(n) Frau/Mann…
Fortsetzung folgt.
Überhaupt: Ob ein Stil eine Weiterentwicklung darstellt oder nur eine Eintagsfliege bleibt, verdankt sich nicht unserer Definition, sondern stellt sich praktisch auf dem Parkett heraus - es ist das, was sich in der Praxis mit der Zeit durchsetzt und ex post registriert wird. Der Tango hat sich seit der goldenen Epoche bis zu den modernen Jungen Wilden stilistisch sehr verändert und dies geschah aus der Praxis der Tänzer heraus.
LöschenEleonora trägt ungewöhnlich viele Ballettelemente in den Tango hinein und lehrt auch unbedarften Anfängern eine Fußtechnik, die nicht nur ungesund, sondern auch für einen Normalo unerreichbar ist. Ich weiß wovon ich rede, es wimmelt bei den Profis nur so von Ballerinas, aber keine bringt den Mädels bei, so auf dem Vorfuß zu tanzen, wie man es in der Bolshoi- und Vaganova-Ausbildung für den Spitzentanz lernt. https://www.youtube.com/watch?v=8uzDgUBkOjE
Übrigens: Andere können das auch und machen nicht so viel eitlen Wind darum: https://www.youtube.com/watch?v=vfsFhORRZZE
Fazit: Ich denke, es ist auch nicht objektiv, sondern dieselbe Vermischung von Geschmack und Objektivität, wenn man aus Liebe zum freien Geist und der kreativen Tangogestaltung die Identität des Tangos, bzw. das Original gleich ganz leugnet und als imaginäre und von Traditionalisten erfundene Chimäre behauptet. Wenn du sagst: "Aha, eine Usbekin und ein Russe, die auch noch vom Standardtanz kommen… Soviel zum Tango, den ja bekanntlich nur die Argentinier „im Blut haben“…dann unterstellst du ja auch irgendeine Blaupause, oder? Was ist es denn, wobei die beiden Ex-Russen da deiner Meinung nach mithalten + mitreden können!? Ist das nicht genau der originäre Tango, den du abstreitest?
Zum Abschluß ein konstruktiver Beitrag zum Thema "Blaupause": drei Videos, die so ungefähr meiner Vorstellung von dem Tango entsprechen, wie er sich die Jahrzehnte über gehalten hat, mehr oder weniger ohne großartige stilistische Weiterentwicklungen (natürlich nur, wenn man von den Zeiten Valentinos und Gardels absieht) - und bitte aufgepaßt: das ist meine ganz persönliche Vorstellung von "originär", aber ich lasse gerne mit mir darüber objektiv streiten! Und: egal wie man diese drei Videos nun einsortiert - viel Spaß dabei!!!
Damian und Brian https://www.facebook.com/muylunestango/videos/damian-gargiulo-brian-leon-caro/889379141399588/
Carolina Couto Y Brian León - Vals soñador - Milonga El Entrevero
https://www.youtube.com/watch?v=12UxrYe7kY4
Maite und Manu https://www.youtube.com/watch?v=AhnLb6708TQ
Viele liebe Grüße von Nena
Liebe Nena,
Löschenherzlichen Dank für Deine sehr ausführliche und differenzierte Antwort!
Leider kann man in den Kommentaren nicht verlinken – ich habe mir die vorgeschlagenen acht Videos dennoch brav angesehen.
In vielen Details gebe ich Dir durchaus recht – allerdings fürchte ich, dass wir uns in einem zentralen Punkt nicht einigen werden: Für mich gibt es keinen „originären Tango“, sondern nur eine stetige Entwicklung seit annähernd 150 Jahren. Und sorry, dabei kann sich natürlich auch die „Wesensart“ von Musik und Tanz verändern – das ist sogar ziemlich wahrscheinlich.
Da kann man sich dann je nach persönlichem Geschmack die eine oder andere Spielart heraussuchen, eine objektive Wertung wird das jedoch niemals. Nach meiner Sicht ist das Label „traditioneller Tango“ (oder „originärer“ respektive „authentischer“) eine geniale PR-Masche. Wer möchte sich nicht rühmen, etwas Originales zu tanzen und nicht eine billige Nachahmung? Zumal das ja auf die entsprechende historische Musik nicht allzu schwierig ist.
Du schreibst, es stelle sich auf dem Parkett heraus, was sich mit der Zeit durchsetze. Gut, dann schaffen wir aber auch faire Evolutionsbedingungen und stellen nicht haufenweise Códigos auf, wie denn zu tanzen oder aufzufordern sei, welche Musik der DJ gefälligst in welcher Reihenfolge zu spielen habe! Seit vielen Jahren kämpfe ich gegen den Druck, welcher da von einer gewissen Tangofraktion ausgeübt wird.
Und auch bei einem zweiten Dreh mache ich nicht mit: Man kapert den Begriff „Tango“ für eine bestimmte Form, welche aber beileibe nicht die einzige Variante darstellt. Dieser Oberbegriff beinhaltet ganz verschiedene Formen, zum Beispiel auch den finnischen Tango oder den Standardtango. Daher ist „Uno“ stets ein Tango – egal, ob ihn nun Iglesias oder Goyeneche singt. Und natürlich darf es dabei auch Ballett-Einflüsse geben wie in dem „Pas de deux“ im Video.
Durch diese Besetzung des Wortes „Tango“ ist es dann sehr leicht, anderen Formen zu attestieren, kein Tango zu sein.
Oder man stellt zumindest fest, das eine oder andere sei halt „nur“ Bühnentango. Ist die Spielweise vom FC Bayern München „Bühnen-Fußball“? Hunderttausende Buben und Mädchen wollen so spielen wie Thomas Müller oder Robert Lewandowski. Haben sie die falschen Vorbilder, weil es „eitel“ ist, wie solche Profis den Ball behandeln?
Mein Hinweis auf Nationalität und Werdegang von Nadtochi und Kalganova sollte nur den Unsinn vom „Tango im Blut“ ironisieren – ebenfalls ein grandioser argentinischer Werbe-Gag. Viele dieser Klischees sind Folge der zunehmenden Kommerzialisierung unseres Tanzes.
Danke auch für die drei abschließenden Videos. Ja, okay, schön getanzt – besonders das dritte. „Originäres“ sehe ich da nicht. Eher erinnert mich das an einen Spruch unseres besten Tangolehrers, wenn er im Ergebnis sah, was von seiner vorgetanzten Figur bei uns hängen geblieben war: „So kann man’s auch machen.“
Nochmal danke und liebe Grüße
Gerhard
Lieber Gerhard
AntwortenLöschenoriginärer Tango und seine stetige Weiterentwicklung schließt sich doch nicht aus, sondern gehören logisch zusammen. Was sonst, wenn nicht irgendein Original kann sich denn weiterentwickeln? Das Attribut "originär" gefällt mir allerdings jetzt selbst nicht mehr, darüber sollen sich Historiker den Kopf zerbrechen… Vor 150 Jahren war die Tanzerei ja ein ziemlich multiples Gebräu, und die Frauen hingen wie erlegtes Wild an den Compadritos dran… an sowas, glaube ich, denken wir beide nicht. Was ich mit originär meinte, ist das, was den Tanz ausmacht, so dass man ihn von anderen Tänzen unterscheiden und Tango nennen kann - also seine Bestimmungen, also die Musik und der Tanz, der sich (ohne Wertung/Geschmack) in den Salon-Jahren der sog. Èpoqa d'Oro rauskristallisiert hat. (Die Unterscheidung zwischen klassisch/traditionell und nuevo teilen wir vermutlich, denn du machst sie in deinem Blog auch..) An der Tanztechnik ausgedrückt: Der frei improvisierte Paartanz mit seiner eigentümlichen Kommunikation über die Projektion und Dissoziation. Mit seinem parallelen und gekreuzten System, das den Grundstein legt für den ganzen Beinsalat namens Ganchos, Barridas, Boleos, usw. usf. und letztlich seinen Achsenkillern namens Volcada, Colgada usw.
Was dann alles im Lauf der Zeit gemäß Dinzel an "Figuren und Verzierungen" dazugekommen ist - (die Spielarten, die man sich heraussuchen kann), ändert nichts am Wesen des Tango: er ist und bleibt die freie Improvisation und die tangoeigene Verbindung und Kommunikation im Paar (egal, ob eng oder offen getanzt). Denn wenn sich das Wesen einer Sache verändert, dann ist es keine Entwicklung ihrer selbst mehr, dann ist sie etwas Neues, dann ist sie in unserem Fall kein Tango mehr. Es gibt viel Spielarten von Tischen, aber wenn ich aus einem Tisch einen Stuhl zimmere, sagst du dann zu dem Stuhl auch es wäre ein weiterentwickelter Tisch?
Als Beispiel dieses Nuevo-Video von dir: Denis Tagintsev + Ekaterina Krysanova https://www.youtube.com/watch?v=BLNFOZoQlEc
[Hier wäre jetzt ein Screenshot, den ich aber nicht in den Kommentar reinkopieren kann...]
Ist das eine Weiterentwicklung des Tango?
Wirst du künftig sowas auf Piazzolla mit mir tanzen?
Frägt mit bangen Grüßen
Nena
(Lass es mich bitte rechtzeitig wissen, damit ich für die Hebefigur schon mal an meiner Körperspannung arbeiten kann…;-))
Liebe Nena,
Löschendu darfst beruhigt sein: Schon deshalb, weil sich unsere Wege auf dem Parkett wohl nicht mehr kreuzen werden. Du wirst wohl keine Milongas mit „artfremder Musik“ (mehr) besuchen – und ich tanze zwar öfters zu historischen Aufnahmen, aber bei bestimmten Hardcore-Traditionalisten lasse ich mich nicht mehr sehen. Möglicherweise würde ich dort sogar des Saales verwiesen.
Zum anderen tanze ich mit 71 Jahren ganz gewiss keine akrobatischen Aktionen. Ich bin schon froh, wenn auf einer Milonga mal „Libertango“ aufgelegt wird.
Auch bei diesem Artikel von mir frage ich mich, was eigentlich aus der Tangoszene geworden ist: Da entdecke ich ein, zwei Tanzvideos, welche mir gefallen – und veröffentliche sie mit einigen lobenden Sätzen. Natürlich im Bewusstsein, dass niemand meinen persönlichen Geschmack teilen muss.
Aber nein, ich trete damit eine akademische Diskussion über die „Wesensart“ des Tango los, die letztlich darauf hinausläuft, dass man mir wieder mal erklärt, was denn kein Tango wäre.
Natürlich zeigt das von dir monierte Video eine Weiterentwicklung des Tango. Ich habe mich damals bemüht, ein Beispiel für den Tango nuevo-Stil zu finden. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber offenbar darf man sich in der Tangoszene heute nicht mehr über einen schönen, vielleicht ungewöhnlichen Tanz freuen. Nein, man zieht sich sofort eine „Reinrassigkeits-Debatte“ zu. Ich gebe nur zu bedenken: Das Großhirn kann zwar intellektuelle Definitionen formulieren – tanzen jedoch kann es nicht!
Ich finde, die Argumente sind ausgetauscht. Als gelernten Katholiken erinnert mich das Ganze an Diskussionen mit den Pfarrern meiner Jugendzeit. Da wurden zwar gerne einige Globuli Liberalität verstreut, aber im Endeffekt hatte eben doch die Kirche recht, am Katechismus war ebenso wenig zu rütteln wie am Zölibat. Und vorehelicher Sex blieb eine Todsünde.
Der Kabarettist Werner Schneyder hat dazu einmal gesagt: „Es wird sich nicht durchsetzen.“
In alter Verbundenheit
Gerhard
P.S. Es heißt „Época de Oro“.
Woran erkenne ich, dass diese Choreo ein Tango ist?: weder wird hier frei zur Musik und im Folgen und Führen improvisiert, noch über eine Projektion oder Dissoziation körperlich und intuitiv kommuniziert. Ich erkenne nur die Musik und das Klischee von pasión als Tango. Es ist eine Mischung aus Ballroom-Show-Tango und Modern Dance, vom traditionellen Tango ist da nichts zu erkennen und genau das ist doch daran auch der Spaß und Genuß, oder? Lass es doch darauf beruhen, dass du den klassischen Tango langweilig, schrammelig und beschränkend findest, aber lass doch den Begriff existieren. Du benutzt ihn doch selber.
AntwortenLöschenLassen wir doch diese Bestimmungen einfach alle gelten, ohne sie gleich mit der Wertung zu verquicken und was Ideologisches darin zu wittern!? Das ist es, was ich meine: die Wertung kommt doch erst dazu…- klar, dass der klassische oder "originäre" der bessere, der echte oder sonstwas glücksbringende Tango sein soll - das halte ich auch für dogmatischen Blödsinn.
Aber da es alles das gibt, das Alte, das Originäre, die Entwicklung und das Neue, den Nuevo, denke ich, dass dort unsere Differenz nicht liegt und sich letztlich eben doch auf den Geschmack und die Vorlieben bezieht. Die Tangovarianten wie finnisch und Standard, bestätigen auch nur, dass man den argentinischen Tango von anderen Tanzstilen abgrenzen kann - mehr ist mit "Original" sachlich nicht gemeint. "Durch diese Besetzung des Wortes „Tango“ ist es dann sehr leicht, anderen Formen zu attestieren, kein Tango zu sein…" Was ist daran eigentlich schlimm??? Wäre mir als Finne ziemlich schnuppe…
Mit den besten Grüßen
Nena
Kann ich nichts dazu sagen. Ich maße mir nicht per "kulturelle Aneignung" an, zu wissen, was die Finnen denken.
LöschenOkay, du steigst aus. Hast recht, bevor wir anfangen würden uns hier im Kreise zu drehen - dann doch lieber auf dem Parkett! Liebe Grüße Nena
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