Des Tangos alte Kleider

„Aus dem Bewusstsein, gut angezogen zu sein, empfängt eine Frau mehr innere Ruhe als aus religiöser Überzeugung.“
Ralph Waldo Emerson (1803 - 1882)

 
Disclaimer:
Durch die teilweise ironische, ja satirische Beschreibung diverser Tango(ver)kleidungen könnte bei Lesern der subjektive Eindruck temporären Beleidigtseins entstehen. Daher betone ich, dass gerade Ihr individuelles Tango-Outfit vermutlich hervorragend zu Ihrem Typ passt, ich in meinem Text jedoch zu Generalisierungen gezwungen bin.
Empfindsamen Naturen mit defizitärem Selbstbewusstsein (sog. „Blogtrolls“) wird daher dringend von der Lektüre abgeraten!

Die sicherlich sachkundigen Damen des Blogs „Berlin Tango Vibes“ haben sich jüngst zur „Tango-Uniform“ geäußert:

„Tangosandalen mit Absätzen zwischen 7,5 und 8,5 cm, manchmal auch höher, enge Stretch-Popo-Röcke, hinten schön gerafft, oder weite fließende Röcke mit Tail und V-Ausschnitt am Bund. Dazu wahlweise Neckholder- oder Waterfalltops, mal rückenfrei, mal schulterfrei. Manchmal auch als Kleid. Individualität beschränkt sich auf Farbe und Muster.“

Ich muss gestehen, dass die feminine Fachsprache mich teilweise überfordert: Worum es sich bei „Röcken mit Tail und V-Ausschnitt am Bund“ handelt, konnten mir weder meine Gattin noch die Internet-Suchmaschinen verraten. Aber immerhin weiß ich jetzt, was „Waterfalltops“ sind – wobei mich in dem Zusammenhang das Bild von senkrecht an nackten Felsen herabstürzenden Wasser nicht gerade antörnt. Und der Typus „Raffung an der Kimme plus Arschgeweih“ ist mir bekannt, nachdem eine Tangofreundin darüber öfters ablästert…

Sehr schön wird jedoch die Dialektik des Themas herausgearbeitet: Eine bestimmte „Ausrüstung für ihr Hobby“ bräuchten Tangotanzende – im Gegensatz zu Tauchern oder Skifahrern – eigentlich nicht, zumal sich bei den Teilen Individualität „auf Farbe und Muster“ beschränke. Andererseits: Wenn man spezielle Tango-Kleidung trage, werde ersichtlich, dass man dazugehöre, in sein Tango-Ich investiert habe, dass man nicht erst seit gestern Tango tanze.

Wikipedia definiert eine Uniform wie folgt:

„Als Uniform (umgangssprachlich Kluft) bezeichnet man gleichartige Kleidung, um optisch einheitlich (lateinisch-französisch: uniform) in der Öffentlichkeit aufzutreten. Beim Militär ist die Uniform notwendige Bedingung für den Kombattantenstatus.“

Letzterer bedeutet: Nur durch diese Bekleidung ist der Soldat berechtigt, an Kriegshandlungen im Sinne des Völkerrechts teilzunehmen (ansonsten wäre er ein Partisan). Liegt doch beim Tango nahe, oder?

Grob gesagt hat eine Uniform zwei Funktionen: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und die Position innerhalb dieser (in Form der Rangabzeichen). Auch dies ist natürlich äußerst tangokompatibel.

Da ich mich als Pazifist bereits mit Achtzehn der Pflicht, in Uniform gesteckt zu werden, widersetzt habe, verfüge ich – was nicht auf jeden zutrifft – über ein staatlich geprüftes Gewissen und habe deshalb lieber geistig Behinderte gepflegt als ihnen gehorcht. Daher wird niemand ernsthaft erwarten können, dass ich mich für Uniformen – weder beim Militär noch beim Tango – begeistern könnte.

Das Hauptproblem unserer Szene scheint mir auch kleidungsmäßig darin zu bestehen, dass sie zu einem hohen Grad aus Singles besteht. Bei den Damen fehlt daher der Partner, der sie mit der Bemerkung „Ist das nicht ein bisschen zu viel?“ vor der altersmäßig zu großflächigen Enthüllung schön gewesener Körperareale abhält. Für den männlichen Blick ist überdies die Frage „Wie kommt sie da raus?“ erotischer als die Grübelei „Wie kam sie da rein?“ Den Herren hingegen ist häufig anzusehen, dass ihnen schlichtweg die „Mutti“ fehlt, welche ihnen in der Früh die passenden Anziehsachen bereitlegt.

Je nach Orientierung der Milonga treten ja 70 bis 90 Prozent der Tänzerinnen im Rock oder Kleid auf. Nicht, dass ich generell etwas dagegen hätte: In meiner Kindheit und Jugend trugen das die meisten weiblichen Wesen – Hosen dagegen galten für dieses Geschlecht eher als unmoralisch (und waren daher an manchen Schulen sogar untersagt). Heute hingegen verstecken im Alltag 90 Prozent der Frauen ihre Beine in mehr oder weniger formschönen Röhren. Dies mag praktisch und fallweise sogar bequem sein – häufig aber finde ich, die Damen sähen in der früheren Bekleidungsvariante besser aus als in einem Beinkleid, das noch tiefer gelegt ist als der Hintern, dessen wahre Form jedoch peinlich genau modelliert.

Ebenso gilt dies für die Schuhe: Hoher Absatz war früher die Norm, heute dagegen latschen die Damen in allen flachen Varianten dahin, welche sich zumindest mit einer Schlaufe zwischen erstem und zweitem Zeh am Fuß befestigen lassen.

Beim Tango nun plötzlich der absolute Umschwung: Raus aus Birkenstock-Sandale und speckdrückender Goldgräberhose – die Beinchen nunmehr zart umflattert und die Fersen gestielt! Ist das Motiv die Freude, mit denen die kleinen Mädchen dereinst auf dem Speicher Großmutters alten Koffer plünderten und „Verkleiden“ spielten?

Nun will ich dieses Vergnügen ja niemandem nehmen. Man sollte jedoch bedenken: An Röcke, Kleider und Schuhe mit Absatz muss man gewöhnt sein, sonst verrät die Bewegungsweise, dass man sich auf neuem Terrain befindet! In dem Zusammenhang muss ich mit Schmunzeln an diverse Milongas gerade in ländlichen Regionen denken, auf denen rustikale Schönheiten zunächst gewandet wie die Rauschgoldengel erschienen. Mit fortschreitender Dauer drückte oder schmerzte dann doch das eine oder andere – und so wurden die begehrten leeren Stühle zunehmend als Ablagefläche für nackerte Käsefüße und unrasierte Beine verwendet. Lecker! Dies gilt natürlich ebenso für die Herren: Wenn Krawatte oder Jackett, dann bleibt das dran. Ein zunehmender Abbau von Eleganz ist schlimmer als deren anfänglicher Mangel.

Persönlich ist es mir ziemlich egal, was eine Tanguera anhat und was sich – außer Zehen -  an ihren Füßen befindet. Ich spüre halt, ob sie sich in ihrer Klamotte wohlfühlt, und das wirkt sich riesig auf ihren Tanz aus! Dies gilt inbesondere für die Schuhe: Eine Super-Tänzerin liefert in nahezu jedem Schuhwerk eine eindrucksvolle Performance. Unterhalb dieses Levels stelle ich oft fest: Der Einsatz bequemer Schuhe, die dem Fuß Halt geben, erleichtert das Tanzen wesentlich mehr als irgendwelche Riemchen-Highheels. Und verhindern Fußschmerzen! Zudem bilden Flatter-Dingsis um die Beine und spitze Absätze eine ideale Kombination, sich zu verfangen und dann hinzufallen (sofern einen der Partner nicht festhält).

Bei Männern hingegen ist man ja schon für ein wenig Styling dankbar. Dennoch meine ich: Gestreifte Bratenröcke und Schlaghosen plus zweifarbige „Budapester“ Schuhe sind nicht tangospezifisch. Man trug solche Teile halt zu den Zeiten, deren Musik uns heute leider noch zu oft umweht. Aber bitte – wer Freude an historischen Verkleidungen hat und wem auf Ritterspielen einfach zu wenig Tanz geboten wird, darf ja gerne – ebenso wie die Mädchen beim Plündern von Omas Wäscheschrank. Aber Gamaschen bitte nur in Kombination mit Gangster-Citroen und Maschinenpistole!

Schlimmer ist der oft als Normalfall sich bietende Anblick: Durchgehend verätzen da abgewetzte Jeans und ausgeblichene T-Shirts sowie Hawaiihemden die Netzhaut. Und Frisöre verdienen an den Tangueros noch weniger als Milongaveranstalter. Lieber zwirbelt man die kümmerlichen Reste zu einem Fohlenschwanz zusammen. Woran mir jedoch besonders liegt: Schöne Beine sind beim Tango nicht Voraussetzung, jedoch können Hosen aus gut „fallenden“ Stoffen die Eleganz von Bewegungen fördern. Unmöglich ist dies jedoch in jahrelang an den entsprechenden Gelenkstellen eingekrümpelten Behältnissen, welche Louis de Funès in einem seiner Filme als „Furzharmonikas“ bezeichnete!

Eher zu Sandeimer und Schäufelchen gar passen kurze Männerhosen – und wenn die noch mit schwarzen Tanzschuhen und Socken kombiniert werden, könnte ich schreiend aus dem Tanzsaal laufen. Und nebenbei, für beide Geschlechter: Mit Brille zu tanzen ist wegen der erotisch aneinander plauzenden Gestelle schon schlimm genug – diese Seh- oder Sonnenschutzhilfen fest in der Frisur eingearbeitet zu transportieren finde ich abartig. Schließlich: Man geht heute meist barhäuptig. Die einzige männliche Kopfbedeckung, mit der ich mich abfinden kann, sind elegante Hüte. Strickmützchen, lederne Krawallhütlein vom Typus „Lagerverwalter“ oder Käppis aller Art sehen für mich beim Tango einfach nur bescheuert aus.

Zurück zur Ausgangsfrage: Kleidet man sich bei unserem Tanz ganz speziell, weil man sichtbar „dazugehören“ möchte? Männer eher nicht, und wenn schon, würde eher die Zugehörigkeit zur Gruppe der Gärtnereihelfer oder Rohrreiniger begründet. Und die Damen? Ich glaube eher, dass sie optische Signale aussenden wollen, um gesehen und aufgefordert zu werden. Öfters schon las ich, dass Frauen ohne Highheels oder Tangoflatterkleidchen damit mehr Probleme hätten.

Daher, meine Damen, abschließend eine Gewissensfrage: Wollen Sie mit Tänzern oder Fetischisten aufs Parkett? Wir haben doch beim Tango alle die Volljährigkeit überschritten und sollten allmählich wissen, welche Kleidung wir als für uns passend und chic empfinden. Die sollten wir nicht nur beim Tango tragen, sondern öfters auch im normalen Leben.

Und für Uniformen gilt der Paragraf 3 (1) des Versammlungsgesetzes:

 „Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen.“

Kommentare

  1. Gerade erreichte mich ein Kommentar von Annette:

    Hallo Gerhard,

    lange habe ich nichts geschrieben, obwohl ich gern alles immer lese. Ich
    habe zu viele verschiedene Aktivitäten gleichzeitig am Hut.

    Aber zum Thema Klamotten und Auftakeln kommt jetzt mal was:

    Also, ablästern macht Spaß, immer wieder gerne. Vor allem wenn die Leute
    sich klischeehaft aufplustern.

    Allen, die genervt sind von Uniformität, starren Regeln, bierernster
    Affigkeit und Hochnäsigkeit, möchte ich empfehlen, uns mal bei Tango
    Diavolo zu besuchen. TD findet ja bekanntlich in einem Fetisch-Klub
    statt. Wer nicht weiß, was das ist: Es ist ein Tempel der Toleranz bei
    gleichzeitiger Freude an der spielerischen Selbstdarstellung. Bei uns
    ist alles erlaubt, und wer bewundert werden will, bekommt großzügig
    freundliche Bewunderung. Wer einfach im normalen Sommerkleid bzw.
    schlichter Hemd-Hose-Kombi auftaucht, gerne. Wer sich gern total
    übertrieben aufdonnern will - herzlich willkommen. Wer mal so richtig
    verrucht daherkommen will - wunderbar. Wer einfach nur tanzen will -
    aber klar doch! Diskutiert wird bei uns manchmal über Klamotten und
    Äußerlichkeiten, aber hauptsächlich unter den Aspekten Bezugsquellen und
    Phantasie. An der Bar, wo neben Tangofreunden auch Nichttänzer sitzen,
    sieht man manchmal auch Erstaunliches: Lack und Leder, durchsichtige
    Spitze oder Schuhfetischisten mit 18cm-Absätzen, weniger zum Tanzen oder
    Laufen geeignet, umso mehr zum Bewundern und zur Gesprächseröffnung. Und
    alles mit Augenzwinkern, weil es alles ein Spiel ist und nicht
    bierernst. Mit anderen Worten, einen gewissen Humor sollte man schon
    mitbringen.

    Was bei uns eigentlich nicht passiert: Dass über Aussehen gelästert
    wird, oder dass Leute verächtlich ignoriert werden. Und gerade, weil wir
    oft mit Dominanz und Unterwerfung spielen, hat der gegenseitige Respekt
    die allerhöchste Priorität. Blöde Anmache gibt es eher nicht. Aber gerne
    immer wieder ein Spiel mit Äußerlichkeiten, gleichzeitig ist das aber
    kein Muss.

    Und Tango lieben wir! Die einzige Regel, die uns dabei wichtig ist, ist,
    dass alle allen helfen sollten, sich wohlzufühlen.

    Liebe Grüße
    Annette

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    Antworten
    1. Liebe Annette,

      schön, wieder einmal von Dir zu hören!
      Es freut uns, dass es bei Euch mit dem Tango weitergeht – die Einstellungen Eures neuen Lehrers klingen ja überaus vernünftig.

      Ich empfehle meinen Lesern, sich selber Eure Website anzuschauen, insbesondere auch die veröffentlichten Playlisten: http://www.tango-diavolo.de/

      Da ich selber schon einmal bei Euch zu Gast war, kann ich nur bestätigen: Mit Toleranz und Humor kann man im Tango viel erreichen – das gilt nicht nur für die Kleidungsfrage.

      Herzliche Grüße nach Offenbach
      Gerhard

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