Liebes Tagebuch… 51
Kürzlich
weilte ich einmal wieder in einer größeren
Stadt, auf deren üblichen Milongas in den letzten Jahren wohl kein einziges modernes Tangostück
erklungen ist. Aber oft ist es dort ganz nett, man kann ja auch mit rein
traditioneller Tangomusik einen halbwegs unterhaltsamen Tangoabend gestalten –
oder es einfach nur lustig finden. Und immerhin verzichtet man bislang auf die Deklaration von Códigos – man darf dort also (offiziell) noch auffordern und
tanzen, wie man möchte.
Wir
älteren Zeitzeugen wissen natürlich,
dass die musikalische Stagnation an
diesem Ort auf ein Paar zurückgeht, welches vor vielen Jahren den Vorstand des
dortigen Tangovereins auf traditionell
getrimmt und Andersdenkende konsequent hinausintrigiert hat. Betroffene haben die Geschichte auf
meinem Blog schon erzählt:
Später
zogen sich die besagten Herrschaften aus dem Vereinsleben zurück –
wahrscheinlich lief das eigene Tango-Reisebüro
inzwischen gut genug, um auf derlei Gemeinnützigkeit verzichten zu können. Schon
länger betreibt man eine eigene Milonga,
was den dortigen Gastgeber nicht hindert, auch auf anderen Veranstaltungen aufzulegen
– inzwischen auch wieder denen des Vereins.
Was
mir neulich auffiel: Vor dem Computer war ein kleiner Bildschirm installiert, auf dem das jeweils spielende Orchester zu
lesen war – regelmäßig unterbrochen von der Anweisung:
„Bitte in der Ronda tanzen!“
Meine
Tanzpartnerin bedauerte, nicht auch ein Display dabeizuhaben, um den Herrn das
einschlägige Götz-Zitat einzublenden.
Man
mag mich für überempfindlich halten – doch dies sind die üblichen Manöver, mit denen die Vertreter eines rein historischen
Tango immer wieder versuchen, Veranstaltungen
„in den Griff“ zu kriegen. Dass nun der DJ und nicht der Veranstalter
Spielregeln verkündet, ist mir allerdings noch neu. Aber man lernt nie aus.
Nebenbei: Dass er so lebendig auflegt wie 70 Meter Feldweg, ist natürlich „Ehrensache“.
Da
ich noch sehr genau weiß, welche Spur
der Verwüstung der Herr im Tango seiner Heimatstadt schon hinterlassen hat, möchte ich die Faust nicht nur in der Tasche ballen, sondern verspreche: Ich
werde die Entwicklung dort akribisch
verfolgen und nötigenfalls hier darüber berichten.
Dazu
passt eine Unterhaltung, welche ich ebenfalls vor kurzer Zeit mit zwei
Tangofreundinnen führte. Eine hatte sich verleiten lassen, eine ziemlich angesagte Münchner Milonga zu besuchen.
Ich
hätte ihr abgeraten, da ich die Situation dort kenne: Die Veranstalterin, deren Verdienste ich durchaus anerkenne, steht
modernem Tango durchaus nicht feindselig gegenüber. Allerdings setzt sie, wohl wegen
des Verdiensts, immer mehr auf „rein
traditionellen“ Modus. Aus der Ankündigung:
„Mirada & Cabeceo, eine Umarmung, die sich gut
anfühlt, feinfühlig und musikalisch tanzen. Freude, Kommunikation,
Zurückhaltung, Melancholie: alles hat seinen Platz im (...).
Hervorragende DJs legen feine traditionelle Musik
aus dem Goldenen Zeitalter des Tango (Epoca de Oro) in Tandas & Cortinas
auf. Hier findest du harmonisches Ambiente zum Genießen. Wir freuen uns auf
Tangueras und Tangueros aus Nah und Fern, die das Tanzen in einer
rücksichtsvollen Ronda mögen.“
Für meine Tangofreundin stellten
sich „Kommunikation“ und „harmonisches Ambiente“ wie folgt dar:
Sie tanzte den ganzen Abend lang genau eine einzige Runde
mit einem Mann – der ihr
gut bekannt und nicht aus München war.
Dazu muss man wissen: Die Dame
gehörte vor vielen Jahren zur „Gründergeneration“ des Münchner Tango, weilt inzwischen wohnortbedingt
aber kaum noch dort. Und sie ist eine überaus feine Tänzerin.
Eine Bekannte, welche inzwischen zu den „Tango-VIPs“ gehört, fragte sie später am Abend, wie es ihr
gefalle. Meine Freundin war wütend genug, ehrlich zu antworten: Sie sitze nur
herum und werde nicht aufgefordert. Darauf bekam sie eine Antwort, die es wert
ist, der Nachwelt erhalten zu bleiben:
„Was bildest du dir eigentlich ein? Ja, glaubst du denn,
du brauchst nur einmal herzukommen und schon tanzt man mit dir? Da musst du
dich schon drei Monate lang wöchentlich hier sehen lassen, damit man
dich kennt und auffordert!“
Da ich für mein Blog die strafrechtliche
Verantwortung trage, ist
es mir leider nicht möglich, in Originalzitaten zu belegen, was die Kollegin von dieser Replik
hielt. Ich unterbrach sie schließlich mit der Bemerkung: „Ja, da hat sich halt seit den Gründerjahren viel verändert.“ Darauf
sie: „Ach Unsinn, dieses arrogante Volk
kenne ich noch von früher, das war dort schon immer so.“
Um nicht in Depressionen zu
verfallen, ließen wir anschließend kichernd verschiedene heute hochwichtige Charaktere Revue passieren, deren jahrelanges Bemühen, auf dem
Parkett nicht wie ein Mehlsack herumzufallen, uns noch in lebendigster Erinnerung
waren. Die andere am Gespräch beteiligte Dame meinte schließlich:
Heute erreichte mich dazu ein Kommentar von Robert Wachinger. Im Einvernehmen mit ihm habe ich die in seinem Beitrag genannten Veranstalter anonymisiert:
AntwortenLöschen„Ja, glaubst du denn, du brauchst nur einmal herzukommen und schon tanzt man mit dir? Da musst du dich schon drei Monate lang wöchentlich einmal hier sehen lassen, damit man dich kennt und auffordert!“
Der Spruch ist ja extrem heftig, sagt viel über die reale Sozialität der angeblich so sozialen traditionellen Milongas aus.
Ich fordere ja auch immer wieder mir bislang unbekannte Frauen auf, und diese klagen mir dann auch gelegentlich ihr Leid, dass sie alleine auf ner Milonga waren und nur rumgesessen sind, weil sie keiner kennt.
Die betreffende Milonga war die sonntägliche Tradilonga von (…)? Als sie noch gelegentlich vorher ihre Neolonga machte, blieb ich da auch mal länger. Und hatte dabei den Eindruck, dass da einige Damen explizit über mich weg geguckt haben, meiner Interpretation nach, damit nur ja nicht ich (dort) unbekannter Underdog sie auffordere (hab ich dann auch nicht gemacht).
So ausgeprägt hab ich derartiges allerdings bislang nur dort und (als es die Milonga noch gab) in der Freitagsmilonga von den (…) erlebt (auf deren Dienstagstradilonga im Nachtcafe bin ich hingegen recht gern). Derartiges hängt also wohl im Wesentlichen von der anwesenden Klientel und nur zum kleinen Teil vom Veranstalter ab.
Ciao, Robert
Lieber Robert,
Löschenja, tendenziell ist das Auffordern bei moderneren Milongas nicht so schwierig, da weniger „ideologisch“ belastet.
Nach meinen Erfahrungen besteht aber zwischen Veranstaltern, DJs und Klientel ein direkter Zusammenhang: Wenn man die Gäste persönlich begrüßt und auch mal mit ihnen tanzt, überträgt sich dieses Verhalten auf die Besucher. Wie sollte es auch anders sein? Der Mensch lernt durch Nachahmen von Vorbildern.
Danke und beste Grüße
Gerhard