Den Zahn sollten Sie sich ziehen!
Von
Tango-Anfängerinnen wird häufig ein Problemkreis geschildert, den sie in
nicht sehr unterschiedlichen Varianten so umschreiben:
Man
sei ziemlich aufgeregt, wenn man aufgefordert werde – zumal, wenn es sich um
einen recht erfahrenen Tanguero
handelt.
Dass
es ein solcher ist, erfährt man meist von ihm selber. Wenn nicht, fragt
man danach – oder man schätzt es anhand der wahrgenommenen Fähigkeiten ab.
Wenn
etwas nicht klappt, sucht man die Schuld
bei sich. Klar, an dem routinierten Tanzpartner kann es ja nicht liegen!
Oft
traut man sich in der ersten Zeit (und die kann Monate bis Jahre betragen)
deshalb gar nicht, eine Milonga zu
besuchen – stattdessen belegt man Kurs um Kurs.
Gerne
lässt man sich bei Fehlern vom Tanzpartner belehren
– seine Tipps werden oft als hilfreich empfunden.
Nach
einiger Zeit macht sich dennoch ein Gefühl der Stagnation breit: Weitermachen oder eher eine Tangopause einlegen?
Krisen
entstehen auch dadurch, dass man mit fortgeschrittenen Tänzern gelegentlich
überhaupt nicht zurechtkommt. Als Symptome werden öfters eine undeutliche Führung und eine „Schraubstock-Umarmung“ beschrieben.
Insgesamt werden solche Erlebnisse als „Rückschritt“
in der eigenen Tangoentwicklung betrachtet, und nicht selten sucht man die Schuld dennoch bei sich.
Äußerungen
dieser Art lese ich nicht nur immer wieder in diversen Tangoforen (ich sag jetzt nicht, wo…) – auch live gehören solche Dialog-Bausteine während des Tanzes zum
festen Repertoire vieler Anfängerinnen. Das geht vom sofortigen Bekenntnis,
dass man noch nicht lange tanze und
daher noch fast nichts könne, über die
Erkundigung, wie lange ich schon tanze
bis zum Bekenntnis, dass die Dame diese
Figur noch nicht kenne, sowie der Frage, was das hätte sein sollen und welchen
Fehler sie gerade gemacht habe. Wenn ich besonderes Pech habe (und schon
einmal mit der Frau getanzt habe) erwartet mich nach spätestens drei Stücken
die Erkundigung, ob sie diesmal nicht
schon ein wenig besser getanzt habe.
O mei‘!
Werte
Damen,
stellen
Sie sich einmal vor, Sie müssten sich einen Zahn ziehen lassen – und da es dringend ist, durch einen Doktor vom
Sonntagsdienst. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen der junge Arzt sofort
mit dem Bekenntnis käme, er praktiziere
erst seit drei Wochen? Und dem Geständnis: „So einen vereiterten Backenzahn habe ich noch nie extrahiert.“ Und
wenn er dann auf die Ampulle mit dem Betäubungsmittel mit den Worten schaut: „Kenne ich nicht, aber wird schon helfen.“ Sie
könnten die Situation noch merklich eskalieren, indem Sie Ihrem Behandler
mitteilen: „Übrigens arbeite ich selber
seit dreißig Jahren als Zahnärztin.“
Für
medizinische Anfänger gilt übrigens
die Regel: „Blut abnehmen muss man nur so
lange, bis man’s kann.“
Daher:
Es gibt Wahrheiten, die man nicht ausspricht, da sie niemandem nützen.
So
sind auch die drei größten Medizinlügen
entstanden:
·
Das tut überhaupt
nicht weh.
·
Das machen wir hier
jeden Tag.
·
Der Chefarzt ist gerade
bei einem dringenden Fall.
Bei
Letzterem haben Sie wahrscheinlich sogar Glück, denn der hat sicher seit Jahren
kein Blut mehr abgenommen…
Im Einzelnen:
Wieso
erzählen Sie Ihrem Tanzpartner, dass Sie noch
Anfängerin sind? Soll er sich gleich wieder wegbewegen mit den Worten: „Ach so, dann nicht…“? Und wenn er selber noch
nicht so weit ist, machen Sie ihn nur nervös – bei größerer Tanzerfahrung dagegen bemerkt
er Ihren Status eh nach drei Takten.
Warum
fragen Sie ihn, wie lange er schon Tango
tanzt? Brauchen Sie das für Ihre Statistik? Und wie gehen Sie anschließend
mit der Auskunft um, er tanze schon 25 Jahre? Macht Sie das entspannter? Sollte
der Typ es Ihnen dagegen ungefragt auf die Nase binden, wissen Sie immerhin: Aha, ein Depp.
Was
soll die Protzerei? Ich kenne Männer, die schon eine zweistellige Zahl von Jahren im Tango aktiv sind und bei deren
tänzerischen Aktionen ich weinend unter den Teppich kriechen könnte. Merke:
Zwischen Tanzalter und Können besteht allenfalls eine sehr
lockere Proportionalität…
Wieso
müssen Sie eines der schönsten Hobbys mit negativen
Begriffen wie „Schuld“ und „Fehler“ belasten? Stehen Sie vor
Gericht oder schreiben eine Examensarbeit? Zudem ist die verwackelte Nummer
nach einem Taktschlag „rum ums Eck“ – ein Nachdenken darüber steigert die Verspannung und mindert Ihre Konzentration auf die nächste Aktion.
Besser lachen Sie beide darüber, welch „originelle“ Kombination Ihnen gerade
gelungen ist. Merke: Tango ist stets nur hier
und jetzt – nicht vorher und schon gar nicht nachher!
Daher
bringt es Ihnen genau nichts, wenn Ihnen nun der Tanguero erklärt, was er da führen
wollte (wenn er das überhaupt selber weiß). Wenn er ein Könner wäre, hätte er
es ohne Worte hinbekommen oder die „Figur“ gar nicht erst versucht. Es ist wie
beim Skifahren: Der Erfahrenere muss
die Fähigkeiten des anderen einschätzen können. Wer einen Neuling von der Piste
semmelt, ist stets selber dafür verantwortlich!
Und
ja: Wer eine Anfängerin im Schraubstock-Klemmgriff
in teuer erkaufte Figuren zwingen
will, hat vom Tango alles Mögliche, aber keine Ahnung!
Liebe
Anfängerinnen,
da
hat Sie also ein Mann zum Tango
aufgefordert. Das ist doch erstmal schön – nicht alle Ihrer Kolleginnen erleben
dieses Glück oft genug.
Überlegen
Sie keinesfalls, warum dies geschah.
Ich kenne die Männer besser als Sie und garantiere Ihnen daher: Sie wollen es
nicht wirklich wissen!
Sie
dürfen den Herrn gerne kurz begrüßen, sich ihm vorstellen oder sich für die
Aufforderung bedanken. Spätestens danach sollten Sie die Klappe halten! Hoffen Sie inständig, dass er Ihrem Beispiel
folgt! Wenn nicht, dürfen Sie gerne sagen: „Tanzen
und Reden gleichzeitig kann ich nicht.“
Versuchen
Sie stattdessen, sein Bewegungsintentionen
zu spüren. Wenn die einmal unklar sind: Machen Sie nichts oder etwas Eigenes!
Wenn er wirklich so ein Könner ist, wird er darauf eingehen. Wenn nicht – so what?
Eine Tanda dauert höchstens eine Viertelstunde – und so lange müssen Sie es
sogar mit Ihrem Zahnarzt aushalten… Und wenn Sie eine Figur noch nicht kennen: Gratulation, Sie tanzen Tango!
Und sollte der Herr Ihnen unbedingt seine hochmögenden
Theorien zum perfekten Tangotanz erläutern wollen, kann er Sie ja hinterher
an die Bar einladen oder – noch besser – sich mit Ihnen zu einer gemeinsamen
Practica verabreden, oder?
Gibt
es Stagnationen oder gar Rückschritte in der Tangoentwicklung?
Mag sein – ich hatte dieses Gefühl jedenfalls schon sehr oft. Mir hat dann
nicht neuer Unterricht geholfen, sondern der Wechsel von Milongas: Häufig schon hatte ich an einem Abend das
Gefühl, der Tango hänge mir meterlang zum Hals heraus – nur noch Langeweile!
Mit 67 Jahren erwägt man natürlich auch den Rückgang der körperlichen
Leistungsfähigkeit. Am Abend danach legte der DJ so wunderbar abwechslungsreich
auf, dass ich kaum von der Piste kam. Und erst die Tänzerinnen dort… wunderbar!
„Auch
andere Mütter haben schöne Töchter“ ist für mich eine der Grundregeln des
Tanzens überhaupt!
Ach
ja – und liebe männliche Anfänger:
Das
meiste in meinem Artikel gilt natürlich auch für Sie! Man muss sich bei keiner
Tänzerin dafür entschuldigen, dass man noch nicht so weit ist wie sie. Im Gegensatz
zu vielen Männern verstehen das die Damen meist sehr gut. Und sollten Sie
einmal an eine hochnäsige Zicke geraten:
Das meinst du doch nicht im Ernst... ich schmeiß' mich weg! |
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