Liebes Tagebuch… 32
Es
gibt eine Milonga, auf die ich nicht vorwiegend wegen der Musik gehe – die
schwankt zwischen annehmbar und todlangweilig. Und auch das tänzerische Niveau
ist eher mäßig. Aber ich kann mich bei einem Besuch fast schon darauf verlassen,
dass ich aus dem dortigen Kabarett (dessen Protagonisten mir ziemlich geläufig
sind) die eine oder andere Idee für einen neuen Blogbeitrag mitnehme!
An
diesem Abend wurde mir endgültig klar: Es geht heute nicht mehr um Varianten
des Tango, sondern um zwei verschiedene Tänze. Der Unterschied erinnert mich an
diverse „Kellerpartys“ in meiner Jugendzeit: Da wurde zunächst auch recht
munter getanzt, und viele versuchten dabei durchaus, ihre
Tanzstunden-Kenntnisse bei einem Cha-Cha, einer Rumba oder gar einem Jive
umzusetzen. Dann, sobald die Kontrollbesuche der betreffenden Eltern offenbar
eingestellt waren, wurde unter dem Kichern hoher Stimmen und den Bravorufen eine Oktave tiefer das Licht maximal
gedimmt, und das Tempo der Musik sank beträchtlich: Man tanzte sodann
„Stehblues“…
Na
gut, der auch auf dieser Milonga praktizierte „Tango-Blues“ hat einen Vorteil:
Ich merke mir zu Beginn der Musik, wo jedes Paar steht, und komme dann gut um
alle rum!
Wahrlich,
der „alte Tango“, den wir früher getanzt haben, stirbt allmählich aus. Noch treffe
ich gelegentlich eine Tänzerin, die in ihrer eigenen Balance steht, ohne sich
an mir festklemmen oder auf mich stützen zu müssen – die in jeder
Zehntelsekunde präsent ist, blitzschnell auf rhythmische Kapriolen, plötzliche
Impulse oder Verzögerungen reagiert, ihr eigenes Ding dreht und dennoch ständig
mit mir verbunden bleibt.
Und
die anderen – na gut, I’ll do my very
best, und solange man das tanzt, was alle tanzen, kommt man einigermaßen
durch. Es amüsiert mich aber jedes Mal wieder, wenn mir eine kleine
Verrücktheit einfällt und sofort der Ganzkörper-Schock fühlbar wird: Access denied, 404 not found.
Der
Kabarettist Dieter Nuhr erzählte in einem seiner ersten Programme eine
wunderbare Geschichte, die mir an diesem Abend bei einer solchen Tanzrunde wieder
einfiel:
Er habe sich jetzt
ein elektronisches Notizbuch mit einem Handschriften-Erkennungsprogramm
zugelegt. Da gebe er beispielsweise ein: „Morgen Bernd anrufen“ – und sein
Notebook verstehe „Buenos Aires“. Und wenn er dann am nächsten Tag „Buenos
Aires“ lese, falle ihm natürlich ein: Ja klar, er wollte doch den Bernd
anrufen!
Mit
Tänzerinnen der neuen Art ist es umgekehrt: Ich schreibe „Buenos Aires“ – und
auf ihrem Display erscheint: „Bernd anrufen“…
Und
bei solchen Gedanken muss man ohne Heiterkeitsanfall weitertanzen! Tango ist schließlich eine ernste Sache...
Aber
man soll die Milonga nicht vor dem Heimgehen loben:
Ich
war allein in der Garderobe, als ein mir unbekannter Tänzer sich neben mich
stellte und mich immer wieder ansah. Kein Zweifel, er hatte etwas auf Lager! Ich
sollte mich nicht täuschen:
„Ich habe dir öfters
beim Tanzen zugesehen, und ich muss sagen, du hast heute Abend deine
Partnerinnen sehr glücklich gemacht, mit der Art, wie du tanzt.“
Huch,
was soll man dazu sagen, noch dazu jemandem, den man gar nicht kennt? Nach kurzer
Verlegenheitspause rang ich mir den Satz ab: „Na, wenn beim Tango die Frauen mit einem zufrieden sind, hat man doch
das wichtigste Ziel erreicht.“
Doch
der Herr war noch nicht fertig: „Ja, das
hast du sicher. Ich habe zwar nicht mit allen gesprochen, aber das sieht man.
Und eine Frau hat es mir direkt gesagt: 'Es sieht vielleicht nicht so aus, aber
er führt großartig.'“
Gott
sei Dank kam kurz darauf meine Frau dazu, und ich verabschiedete mich – zur
Vermeidung weiterer Bekenntnisse – ziemlich rasch.
Doch
seit diesem Abend beschäftigt mich ein einziger Gedanke:
WAS SIEHT DA NICHT SO AUS??
Nachtrag 2023: Inzwischen habe ich das Rätsel gelöst - ich bin ja ein Meister des „Tunix-Tangos"...
Da fällt mir nur ein:
AntwortenLöschensieht es schwer aus, ist es schlecht getanzt, sieht es leicht aus, ist es schwer erarbeitet und gut getanzt. Was also gut ist, sieht man nicht (unbedingt). Viele Grüße und einen guten Rutsch Jürgen Engel
Völlig klar – ist bei meiner anderen Leidenschaft, der Zauberei, noch extremer: Da darf man manches, was hart erarbeitet ist, überhaupt nicht sehen.
LöschenÜbrigens ist diese Situation (nach der Milonga in der Garderobe) ideal für überraschende „Bekenntnisse“, weil die Emotionen des Abends noch da sind, die Spannung aber nachlässt. Unbedingt mal ausprobieren!
Vielen Dank und ein gutes Neues Jahr!
Ein schönes Lob von einem Mann. Noch schöner wäre es wohl gewesen, hätte eine deiner Tanzpartnerinnen das gesagt. Ob die Frauen merken, wenn man(n) gut führt?
AntwortenLöschenNa klar merken die das!
AntwortenLöschenUnd Lob von meinen Tanzpartnerinnen kriege ich natürlich haufenweise, aber sowas veröffentliche ich nicht - könnte ja wie Eitelkeit wirken...
Von Männern (Rivalen) kriegt man das selten zu hören, aber auch das hätte ich nicht publiziert, wenn es nicht so schön doppelbödig gewesen wäre!