Karin Law Robinson-Riedl: Alle Jahre wieder
„Niemals
wird die Satire ihr Examen bestehen.
In der Jury sitzen
ihre Objekte.“
Stanislaw Jerzy Lec
Es
gibt für Ehefrauen lustigere Beschäftigungen als bereits zum Frühstück die
dritte negative Besprechung der Bücher ihres Gatten innerhalb weniger Tage zu
lesen!
Zunächst
äußerte die beste Tanguera von allen etwas nicht Zitierfähiges – gefolgt von „Immerhin
ist Satire eine literarische Gattung“. Meine sofortige Reaktion: „Magst
dann nicht etwas dazu schreiben?“ Schließlich bin ich nur ein Hobbyautor, Karin
dagegen hat Deutsch studiert und fast 40 Jahre lang unterrichtet!
Sie
tat mir den Gefallen und setzte sich ein paar Stunden vor den Computer.
So präsentiere
ich mit großem Stolz ihren Gastbeitrag:
Alle
Jahre wieder…
fliegen – nun bereits zum dritten Mal – maskierte,
geharnischte Racheengel los und stürzen sich auf ihre Beute – ein Buch über den
Tango!
Was im Lauf von sechs Jahren vom „Großen Milonga-Führer“ zur 2016 erschienenen 2. Auflage des „Noch größeren Milonga-Führers“ weiterentwickelt
wurde, ist das Ergebnis einer langjährigen, intensiven und kontinuierlichen
persönlichen Beschäftigung mit diesem Tanz, der Musik sowie den „Verhältnissen“
auf Tangoveranstaltungen in Deutschland im Wandel vor allem der Zeit, die der
Autor aus eigener Erfahrung erlebt hat.
Und – obwohl er nicht müde wird, immer wieder anzumerken,
dass es sich weder um ein Buch eines Experten,
noch um allein selig machende Wahrheiten
handelt, die er verkündet – wird man umgekehrt nicht müde, immer wieder die
gleichen (manchmal sogar dieselben) Vorwürfe zu erheben:
Ein selbstverliebter
Autor, der nur seine Meinung gelten lasse und eine völlig subjektive Meinung zur aktuellen
Tangoszene vertrete, die mit der Realität
nichts zu tun habe.
Realität
zu
definieren ist gar kein so einfaches Unterfangen, diesen Begriff benützen wir
viel zu „leichtfertig“: Als real gilt in der Regel, was nicht von Vorstellungen
und Wünschen einzelner Menschen beeinflusst ist.
Und jetzt kommt’s: Sind denn die Wahrnehmungen der
geschätzten Kritiker ganz frei davon? Ist „Realität“ überhaupt von irgendjemand
in ihrer Reinform wahrnehmbar? Wohl kaum! Daraus ergibt sich logischerweise,
dass keiner vollkommene Objektivität
für sich beanspruchen kann, da dies schlichtweg nicht möglich ist.
Wie aber soll man dann jemandem eigentlich seine noch
dazu eingestandene (!) Subjektivität
zum Vorwurf machen, in der man selbst befangen ist?
Ein Zitat wie das folgende beweist jedoch, dass der Autor sich seiner Subjektivität
sehr wohl bewusst ist und nicht vorhat, anderen seine Sicht der Dinge aufzuzwingen:
„Gebt
meinen Ideen die Chance, sie zumindest ein einziges Mal auszuprobieren!“ („Der noch größere Milonga-Führer“, 2.
Auflage, S. 43)
Redet so ein Diktator oder einer „vom Stasi“, wie es ein Kritiker formulierte?
Die allererste Ausgabe „Der große Milonga-Führer“ trug den Untertitel „Was Sie schon immer über Tango wissen wollten, aber nie zu fragen
wagten“. War die satirische Absicht dieses Satzes etwa nicht deutlich genug
– nicht nur für Kinofans? Nun wiesen ja die beiden folgenden Bücher aber ganz unmissverständlich
darauf hin, was den Leser erwarte: „Ein
amüsant-satirischer Ratgeber zum argentinischen Tango“.
Wer sich auch nur in Ansätzen mit Satire beschäftigt hat, weiß, dass diese eine „literaturwürdige“
Gattung seit der Antike darstellt, natürlich aber auch in nicht-literarischen
Texten vorkommt und sich in ihrer Absicht zwischen „lachen“ und „strafen“ (Friedrich Schiller) bewegt. Die
„Gestraften“ finden die Inhalte natürlich oft nicht „lustig“. Je mehr sie sich
„getroffen“ fühlen, desto böser die Reaktion – historisch etwa ablesbar am
Kampf Molières um sein Heuchler-Stück
„Tartuffe“, das immer wieder verboten
wurde. Er hatte unter den Intrigen der Höflinge zu leiden; nur sein Glück, dass
Ludwig XIV. immer halbwegs zu ihm
hielt…
Viel schlimmer noch: In unserer heutigen scheinbar so
aufgeklärten Zeit kommt es zu „Strafen“ im furchtbarsten Ausmaß, die die
angeblich „Gemeinten“ und „Beleidigten“ verhängen, wie die Redaktion von „Charlie Hebdo“ sie erleiden musste.
Welchen Grad des „Angriffs“ oder der „Bloßlegung“ durch
Satiriker jemand aushält, ist eine Frage des individuellen Selbstbewusstseins,
der Sicherheit über den eigenen Standort und – der Art seines Humors (!).
Entsprechend fällt dann auch die Reaktion aus.
Klar ist, dass Satiriker oft über einen scharfen Blick
verfügen, selbst von massivem Unwohlsein wegen herrschender Missstände
gebeutelt sind und ihre Eindrücke in Worte zu fassen vermögen oder dies sogar
„müssen“ – ob das dann den Rezipienten gefällt oder nicht!
Satiriker sind „umstritten“ (vgl. eine interessante
Diskussion hierzu:
Deutlich wird die große Unterschiedlichkeit in der
Wirkung von ein- und demselben Künstler: Das Urteil lautet mal langweilig,
seicht, überheblich, aber auch tapfer
gegen die Verblödung kämpfend usw. Man kann sich’s raussuchen!
Ich hoffe, dass sich die so Titulierten und
Qualifizierten nicht allzu sehr beeinflussen lassen.
Menschen, die ihre Meinung, noch dazu unter Klarnamen,
auf welchen Foren auch immer präsentieren, brauchen Mut.
Sie benötigen eigene Reflexion, Anregungen, Kritik, neue
Impulse. Da sie aber – im Gegensatz zu vielen „Stillen im Lande“ – bereit sind,
sich der Öffentlichkeit zu stellen,
geht es nicht an, ihnen allein aus diesem Grund „Selbstverliebtheit“, ja sogar diktatorische Verhaltensweisen zu
unterstellen. Diese Art der Kritik bedeutet bestenfalls eine Themaverfehlung,
schlimmstenfalls eine Verunglimpfung, die den begründeten Verdacht erweckt,
ausschließlich personenbezogen, aber nicht mehr sachbezogen zu sein.
Es waren die Heuchler, die Molières „Tartuffe“ nicht mochten, die Spießer erregten sich über Eichendorffs als spitznasig, pfeifenrauchend
und morgenrocktragend dargestellten „Philister“ im heimischen Gärtchen, und
auch Goethes Leser mögen die Passage
nicht geschätzt haben, in der er mit unübersehbaren Satiresignalen einen Bürger
sagen lässt:
„Nichts
Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als
ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn
hinten, weit, in der Türkei
Die
Völker aufeinanderschlagen.
Man
steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und
sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann
kehrt man abends froh nach Haus
Und
segnet Fried und Friedenszeiten.“
Ein weiterer Bürger setzt noch eins drauf:
„Herr
Nachbar, ja! So lass ich’s auch geschehn:
Sie
mögen sich die Köpfe spalten,
Mag
alles durcheinander gehen;
Doch
nur zu Hause bleib’s beim alten.“
(„Faust I“)
Seien wir froh, dass wir in unserer immer verteidigungsbedürftigen
freiheitlichen Gesellschaftsordnung Meinungsvielfalt
haben, und nennen wir nicht ausgerechnet diejenigen oberflächlich und
vielleicht auch neidisch „Selbstdarsteller“, die genau für dieses freie Denken
plädieren und vor allem selbst bereit sind, ihre persönlichen Perspektiven zur
Diskussion zu stellen!
***
Dankeschön! Da kann man als Satiriker doch
frohgemut weiterarbeiten, wenn es sogar der eigenen Frau gefällt…
P.S. Ich empfehle
nachdrücklich die Lektüre des oben verlinkten „Spiegel-Forums“!
Es zeigt, dass man es mit
sanfterer Satire, wie beispielsweise Dieter
Nuhr, auch nicht jedem recht machen kann. Über den sehr erfolgreichen Düsseldorfer
Kabarettisten werden u.a. folgende Sprüche geklopft:
·
Pseudo-Kabaret
·
Soft-Comedian, kein Satiriker
·
Nuhr reißt seine Witzchen, aber mit Satire hat das nichts
zu tun.
·
einer der überschätztesten Comedians (mehr ist er nicht)
·
Nuhr schläfert ein
·
Er unterhält, aber hinterfragt nicht
·
weder witzig noch feinsinnig
·
habe noch nie über ihn oder seinen Beitrag lachen können
·
arroganter Pinsel, selbstgefällig und weit weg von einem
Satiriker
·
eintönige Scherzakrobatik mit politisch kritischem
Zuckerüberzug
·
Seine Zeitkritik stößt nur an die Grenzen der
Selbstdarstellung sonst nichts
·
Den Stammtisch zu bedienen, wie Nuhr es tut
·
ein Lobhudler der Regierenden
·
eher für Frauen und Homosexuelle interessant
Ach, da seid Ihr in guter Gesellschaft! Donald Trump findet z.B. die Satire von Alex Baldwin gar nicht lustig. Er twittert z.B. "..unwatchable! Totally biased, not funny,.."
AntwortenLöschenSiehe hier:
https://www.youtube.com/watch?v=MRduodsgYY8 (ich schmeiß mich wech...)
Auch Heinrich Heine musste fliehen, weil seine Gedichte zu frech waren. Die Uni Düsseldorf, die jetzt doch Heinrich-Heine-Uni heißt, hatte sich jahrelang gegen diesen Namen gewehrt, der wurde vor allem von den Studenten gefordert. Es gab nämlich ein sehr satirisches Gedicht über deutsche Professoren, das in studentischen Blättern öfter mal zitiert wurde. Eines Tages, in den 80er Jahren, prangte auf dem Rasen des Uni-Geländes in 1 Meter hohen Lettern: "Heinrich-Heine-Universität". Es hat keine zwei Stunden gedauert, da war der Rasen umgepflügt.
Grüße von Annette
Liebe Annette,
AntwortenLöschendass man über eine Satire lachen können muss - zumal, wenn sie einen trifft - ist ein unausrottbarer Irrtum.
Aber Alex Baldwin ist schon köstlich!
Die bayerischen Politiker haben längst dazugelernt: Einmal im Jahr sitzen sie am Nockherberg und tun so, als ob sie sich über das "Derblecken" (bayerisch für "Satire") freuten...
Von dem Streit um die Namengebung der Uni Düsseldorf wusste ich - dass er über 20 Jahre dauerte, allerdings nicht. Eine Parallele in unserer Gegend ist wohl Augsburg und Bert Brecht!
Liebe Grüße
Gerhard
Liebe Annette,
AntwortenLöschenfaszinierend, wie sich die Dinge wiederholen, welche Parallelen man so oft zwischen Vorgängen in der Vergangenheit und heute entdeckt.
Engstirnigkeit wird aber leider durch ihre Verkleidung mit modernen Gewändern nicht besser…
Danke für die interessanten ergänzenden Geschichten!
Liebe Grüße
Karin