Liebes Tagebuch… 30
Derzeit
müssen es meine über 400 „Buchkunden“ wieder einmal ertragen, von mir mit einer
Werbemail belästigt zu werden – diesmal zum Erscheinen der zweiten Auflage
meines Tangobuches. Neben vielen Bestellungen (danke!) erhielt ich gestern auch
die folgende Nachricht:
„Lieber Gerhard,
bitte nehme mich aus dem Verteiler. Danke
Beste Grüße…“
Na
gut, Alltagsroutine eines Buchautors – ich habe die Stornierung kurz bestätigt,
fertig. Beim Wühlen im dicken Ordner mit der Kundenpost fiel mir dann aber wieder
die Geschichte dazu ein:
Wir trafen die Dame vor etlichen Jahren auf einer Milonga – sie war bereits
auf den ersten Blick als Anfängerin erkennbar. Da sie länger herumsaß, habe ich
sie aufgefordert und – damit sie denn beim Tango bliebe – so mit ihr getanzt,
dass es funktionierte. Es war meines Wissens ihre erste Milonga, sie hatte nur
die vorhergehende Practica mitgemacht.
Ich
erntete bei ihr die übliche Erst-Faszination. Irgendwer (sicher nicht ich) hat
ihr dann wohl erzählt, ich hätte ein Tangobuch verfasst (damals noch in der
ersten Version), was das Glitzern in ihren Pupillen verstärkte. Sofort
bestellte sie ein Exemplar, welches ich ihr am nächsten Tag zuschickte.
Daraufhin entstand der folgende E-Mail-Dialog (keine Angst, die Anonymisierung
ist perfekt – erstens habe ich einige solcher Geschichten erlebt, und zweitens
kennen diese spezielle außer mir genau zwei Personen):
„Lieber Gerhard,
ich habe heute Deinen
Führer bekommen, und wenn auch nichts aus meiner Tango-Karriere werden sollte
(was ich nicht glaube) hat es sich schon gelohnt, da ich dieses herrlich
amüsante Buch kennengelernt habe. Bin sehr gespannt, was mich noch für
‚Weisheit‘, Erfahrungen und Einblicke erwarten.“
„Liebe …,
Dein Lob freut mich
natürlich sehr! Wie weit Deine ‚Tango-Karriere‘ geht, entscheidest Du ganz
allein mit drei einfachen (?) Mitteln: tanzen, tanzen, tanzen. Ich hoffe, mein Buch
motiviert Dich dazu.“
„Lieber Gerhard,
ich muss Dir vehement
widersprechen… Nicht nur Argentinos haben ein Ego, von dem aus ein Suizid ohne
Weiteres möglich ist. .. Hab erst zwei Milongas hinter mir… Aber irgendwie
haben fast alle Männer dort ein entsprechendes Ego bzw. viele (ja, ich weiß,
ich verallgemeinere) stellen dieses zur Schau… Ich will doch eigentlich nur
eines, TANZEN…“
(Anmerkung:
Dies bezieht sich auf einen Satz in meinem Buch, den ich Wolfram Fleischhauer geklaut habe: „Wie begeht ein Argentinier Selbstmord? Er steigt auf sein Ego und
springt!“)
„Liebe …,
Du willst eigentlich
nur tanzen? Dann herzlich willkommen bei der absoluten Minderheit auf Milongas!
Aber nur Geduld, so nach hundert oder mehr Tangoveranstaltungen wirst Du
etliche Menschen kennengelernt haben, denen es genauso geht. Diese Ego-Darstellung
ist meist eine Maske (…) und soll lediglich das mangelnde Selbstvertrauen
überdecken. (…) Viel Spaß, und lass
Dich nicht entmutigen!“
„Lieber Gerhard,
(…) einer meiner
Leitsprüche (soweit es sowas gibt): ‚Gottes Spielwiese ist unendlich‘ lässt
mich die Macken meiner Mitmenschen sehr gut ‚er’tragen.
Alleine am … (ich
glaube, ihr wart schon gegangen) hatte ich mehrere der Erlebnisse, die Du im
Führer beschreibst. Bei dem Spruch ‚Du solltest einen Anfängerkurs machen, dann
bist Du unter Deinesgleichen‘ kam mir nur eine Antwort in den Sinn: ‚Und was
soll ich von Anfängern lernen?‘ Einer meiner Partner hielt mich gefühlte drei
Meter von sich weg und beschwerte sich dann, dass sich mein Oberkörper von ihm
wegdrehte. Zu allem Verdruss hörte er dabei jedes Mal auf zu tanzen (soweit man
das so nennen kann).
So eine Milonga hat
ein wenig was von einer Seifen-Oper (…) – Drama, Tragödie und ein paar Momente,
bei denen es richtig Spaß macht. Es macht Spaß zuzusehen, wie sich dieses
Biotop gestaltet. Daher ist es nicht so schlimm, manchmal rumzusitzen. Vor
allem, wenn ab und zu ein Paar vorbeikommt, das authentisch wirkt und dem man
gerne zusieht.
Ich sehe das momentan
ganz mit den Augen eines Kindes und freu mich darauf, Neues und Unbekanntes zu
entdecken. Da ich kein Kind mehr bin, weiß ich auch, dass ich das eine oder
andere Mal auf die Nase fallen werde. (…)
Ich bin bei Deinem
Buch erst auf Seite 128 (…), aber eines weiß ich – ich werde mich nicht mehr
entschuldigen bzw. rechtfertigen, dass ich erst angefangen habe. Ich werde
jeden Tanz auf mich zukommen lassen und nicht mehr darauf warten, dass ich
erkenne, was der Mann von mir erwartet. Ich werde das tun, was ich am liebsten
tue – tanzen mit meinem Herzen.
Vielen lieben Dank –
Du hast mir sehr vielen eigen auferlegten Druck genommen.“
Nun,
in der Summe war der wohl doch zu hoch: Auf Milongas habe ich sie dann (soweit
ich mich erinnere) noch ein- oder zweimal gesehen.
Ich
hörte also, seit damals und bis gestern, nichts mehr von dieser Frau – obwohl
ich ihr gelegentlich Einladungen zur unserer „Wohnzimmer-Milonga“ geschickt
habe.
Eine Antwort erhielt ich nie.
Hat
sie – trotz ihres geradezu enthusiastischen Optimismus – längst wieder mit dem
Tango aufgehört? Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Vielleicht hat sie ja
einen Partner kennengelernt, für den Tanzen (zumal Tango) ein rotes Tuch ist,
oder sie ist in der Salsa-Szene gelandet, wer weiß?
Dem
häufig, gerade von Frauen, gehörten Satz „Ich
will doch eigentlich nur tanzen“ begegne ich mit großer Skepsis – nicht nur
wegen des stets verräterischen Wortes „eigentlich“: Oft steckt dahinter viel
Einsamkeit und daher Suche nach einem Partner. Und das Bekenntnis „daher ist es nicht so schlimm, manchmal
rumzusitzen“ wird halt, gerade von Anfängerinnen und/oder Damen ab einem
gewissen Alter, zunächst nicht in der vernichtenden Dimension erfasst, in
welcher es schließlich daherkommt.
Dabei
war meine Buchkundin (im Tango-Vergleich) relativ jung und gut aussehend.
Dennoch hat es die hiesige Tangoszene anscheinend wieder einmal geschafft,
aufgeschlossenen, ja begeisterten Nachwuchs zu vergraulen.
Wohlgemerkt:
Dies fand auf einer traditionsorientierten Milonga statt, deren Klima ich als
relativ locker und aufgeschlossen erlebe. Wie wäre es dieser Frau erst woanders ergangen? Wahrlich, die „Willkommenskultur" im Tango trägt Pegida-Züge!
Gerne
wird in den einschlägigen Kreisen verlautbart, man strebe das Ritual der
Milongas aus der „Blütezeit“ des Tango, also den vierziger Jahren an, in denen
wohl ein Drittel der Einwohnerschaft von Buenos Aires Tango tanzte und die „einmalige
Symbiose“ von Orchestern und Tanzenden entstand. Was man gerne ignoriert: Heutige
Versuche, diesen Zustand zu reanimieren, müssen scheitern, da man – wie bei
Ritterspielen – die zugehörige Population nicht zurückzüchten kann. Zudem glaube ich nicht, dass dies erstrebenswert wäre.
Ersatzweise
angelockt wird teilweise ein Menschenschlag, welcher meint, mit seinen
engstirnigen, bornierten Einstellungen den damaligen Zeitgeist zu treffen –
letztlich sind es aber, wie auf Faschingsbällen, keine echten Musketiere,
sondern Menschen von heute, die sich beim Kostümverleih eindeckten.
Wenn
dann solche Pseudo-D'Artagnans vom Schaukelpferd steigen sowie ihren Plastikdegen zücken, und naive Anfängerinnen, die
glauben, mit Menschen von heute zu tanzen, damit ins Herz treffen, hat man
wieder einmal die Chance vertan, Tango als etwas darzustellen, was sich
verändern und der Zeit anpassen kann – auch hinsichtlich der inzwischen
glücklicherweise veränderten Geschlechterrollen.
Leider,
das muss ich hinzufügen, beklagen sich gerade Personen über mangelnde
Sozialkompetenz, welche darin auch keine Meisterschaft errungen haben. Hätte
ich es meiner Kundin nicht wert sein können, eine meiner vielen Mails einmal
mit einer aktuellen Zustandsbeschreibung zu beantworten? Freilich hätte sie
dann wohl zugeben müssen, dass ihre einstige Begeisterung, trotz aller
Warnungen meinerseits, zu blauäugig war.
Sicherlich
fällt das schwer, würde aber eine Persönlichkeit kennzeichnen, die durchaus
tangokompatibel wäre – und dann wäre sie wohl trotz demütigender Erfahrungen
dabei geblieben. Aber es ist eine Schande, dass von Frauen, die Tango lernen, Leidensfähigkeit geradezu erwartet wird!
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