Grütze für zwei Cents
Haferbrei oder Porridge (engl. für „Brei“) oder Oatmeal
(US-amerik. für „Hafer-Mahlzeit“) ist ein Getreidebrei (Grütze), der aus
Haferflocken oder Hafermehl sowie Wasser und/oder Milch zubereitet wird. (...)
Haferbrei gilt als magenschonend und wird auch bei Auftreten von Durchfall
verabreicht, da er durch seinen hohen Flüssigkeitsgehalt neben Suppe oder
Reisbrei gut dazu geeignet ist, den hierbei auftretenden Flüssigkeitsverlust
auszugleichen.
(Quelle: Wikipedia)
Auf ihrem Blog “Melina’s two cents“ redet die
Chefideologin des traditionellen Tango, Melina Sedó, nun der zunehmenden
Spezialisierung der Branche das Wort. Unter dem Titel „ABC of Tango Events - No More
Porridge!” erfahren wir, mit dem Haferschleim des “einfach Tango” sei
nun Schluss. Gerade dem erfahrenen Adepten unserer Kunst stehe der Sinn nach Besserem,
und daher habe jeder Veranstalter sein hoffentlich anspruchsvolles Menü genauestens
zu benennen, denn „a Pizza is no Flammkuchen“. (Oh, I forgot: Melina
parliert englisch – da jedenfalls ich noch ein paar deutschsprachige Leser
habe, liefere ich die meisten Zitate in Übersetzung!)
Folglich bietet ihr Text eine Reihe von Fachtermini für Tangoevents, welche sie
genauestens nach den Kriterien
„definition; duration; milongas/dancing; demos; music; classes; booking;
balance of gender or dance-roles; separate seating of men, women and couples;
participants; number of participants; behavioural codes; typical examples”
unterscheidet:
-
Encuentro Milonguero
-
Festival
-
Festivalito Milonguero
-
Marathon
-
Milonga
-
Milonga Weekend
-
Workshop Weekend
O
Gott, fängt das beim Tango jetzt auch an? Neulich habe ich mir per Katalog ein
„Senioren-Handy“ bestellt, da ich beim Expertengewäsch im Mobiltelefonladen
inzwischen nur noch „Bahnhof“ verstehe… Aber gut, wer Interesse hat, kann’s ja
hier nachlesen:
Was mich zusätzlich verwirrt: Wo bleibt in diesem ABC denn
bitteschön die wunderschöne Veranstaltungsform der „Wohnzimmer-Milonga“? Fragen
über Fragen…
Spannender finde ich einige allgemeine Vorbemerkungen
Melinas, die sich auf zentrale Begriffe der momentanen Tangodiskussion
beziehen:
1.
Códigos milongueros
Die “códigos milongueros”
sind eine Zusammenstellung von Richtlinien, empfohlen von Organisatoren von
Tangoveranstaltungen, welche häufig „traditionell“ genannt werden.
Eine kurze Anmerkung:
Wir sollten nicht vergessen, dass einige dieser Códigos das Ergebnis einer sehr
kurz zurückliegenden Entwicklung sein könnten. Soweit ich weiß, dürften beispielsweise
Mirada und Cabeceo in der „Época de Oro“ (im Originaltext steht hier “época
d’óro”, Anm. d. Übers.) nicht verwendet
worden sein – zumindest nicht überall. Die Männer gingen einfach zu ihren
Partnerinnen und baten sie – oder ihre Mütter – um einen Tanz. Und wie hätte
man die Musik in „Tandas“ arrangieren sollen, wenn nur ein Orchester auf einer
Milonga Live-Musik spielte? Ich glaube tatsächlich, die „Códigos milongueros“
sind eine sehr moderne Zusammenstellung von Leitlinien, entwickelt, um mit dem
unvermeidlichen Chaos und den Missverständnissen zurechtzukommen, die mit der
Wiedergeburt des Tango in den 80-er und 90-er Jahren entstanden.
Wie lange sie auch
existieren, man kann sie auf das Folgende reduzieren:
- Aufrechterhaltung der Umarmung während des ganzen Tanzes
- Respekt für die Ronda und die anderen Tänzer: Die
Führenden nehmen Blickkontakt beim Betreten der Tanzfläche auf; Vermeidung von Aktionen,
die zu viel Raum benötigen oder andere Tänzer stören könnten; konstante
Bewegung auf dem Parkett im Gegenuhrzeigersinn in der eigenen Spur
- Respekt vor dem persönlichen Freiraum jedes Einzelnen und
gleiche Beteiligung von Folgenden und Führenden beim Aufforderungsprozess:
Gebrauch von Mirada und Cabeceo
- Förderung des häufigen Partnerwechsels, sodass niemand
ausgeschlossen wird: Verlassen der Tanzfläche nach einer Tanda, damit jeder
einen neuen Partner wählen kann
2.
Milonguero, Milonguera,
Tango Milonguero
Ein Milonguero oder
eine Milonguera ist eine Person, die auf regelmäßiger Basis und mit hohem
Engagement Tango tanzt und sich gemäß den „códigos milongueros“ verhält.
Manche beziehen den
Begriff „Milonguero“ auf einen bestimmten Tanzstil, welcher sich oft auf ein
kleines Repertoire typischer Schritte und eine aneinander gelehnte Umarmung
(„apilado“) bezieht. Nach meiner Meinung sollte der Ausdruck nicht in dieser
Weise eingeschränkt werden. Nach allgemeiner Ansicht können Milongueros
unterschiedliche und individuelle Stile verwenden, variierend von sehr
traditionell bis hoch modern. Die Stile werden oft durch den Platz beeinflusst,
der auf ihren gewohnten Milongas zur Verfügung steht. Die Milongueros der
gerammelt vollen Milongas im Zentrum von Buenos Aires haben offensichtlich
einen Stil mit kleinen, rhythmischen Bewegungen entwickelt – im Gegensatz zu
ihren Kollegen in den Vierteln am Stadtrand, denen große Tanzhallen zur
Verfügung stehen. Sogar die Umarmung kann von einer leicht offenen v-förmigen
Haltung bis zu einem sehr engen Brustkontakt gehen. Allgemein kann man sagen,
dass ein Milonguero Salontango tanzt.
Es gibt neuere
Meinungen, welche die auf Códigos basierende Definition mit der Feststellung
angreifen, dass ein Milonguero nicht notwendigerweise mit den „Milonguero-Códigos“
einverstanden sein müsse. Nach diesen Ansichten beschreibe der Begriff
„Milonguero“ lediglich einen hingebungsvollen Tangotänzer. Ich finde diese
Verallgemeinerung nicht hilfreich. Die meisten Tangotänzer sind überzeugt von
der Tangokultur, und es gibt einen Ausdruck, der sie beschreibt: Tangueros. Ein
Milonguero oder eine Milonguera zu sein setzt voraus, eine Philosophie zu
teilen, eine Festlegung auf ein Reihe von Werten, die dabei helfen, die Gemeinschaft
und ihre Erwartungen zu definieren.
3.
Tango de Salon
Seit vielen Jahren
bezeichnet dieser Begriff den Tango, wie er auf Milongas, den Salons, getanzt
wird. Er unterscheidet den sozialen Tango vom choreografierten Bühnentango
(„tango escenario“). Da sozialer Tango stets in einer Ronda mit anderen Paaren
getanzt wird, macht es Sinn, auf Bewegungen zu verzichten, welche die anderen
Tänzer gefährden könnten (z.B. hohe Boleos, bestimmte Formen von Ganchos oder
Volcadas, Sentadas, Sprünge, riesige Colgadas u.ä.). Da die Ronda es
erforderlich macht, dass ein Paar sich der Bewegung der anderen Tänzer anpasst,
verbieten sich vorgefertigte Figuren oder Choreografien. Improvisation ist von
höchster Bedeutung.
Seit der
Jahrhundertwende gibt es die Tendenz, den Begriff „tango de salón“ auf einen
bestimmten Stil einzugrenzen: „Tango Villa Urquiza“ (benannt nach einem
Stadtteil von BA; Anm. d. Übers.). Dies geschah, um diesen elaborierteren Stil
vom vermutlich sehr eingeschränkten „Milonguero-Stil“ zu unterscheiden. Aber
ich glaube nicht, dass es einen einheitlichen „estilo milonguero“ gibt, und ich
sehe ebenso wenig die Notwendigkeit, „Salontango“ auf so eine enge Bedeutung zu
beschränken. Ich werde das weiterhin als Sammelbegriff verwenden.
Ich
möchte diese drei Punkte kommentieren:
1. Man muss es Melina
lassen: Blöd ist sie nicht. Sie gibt hinsichtlich der Brüchigkeit der so
genannten „Tangotraditionen“ mehr zu als ihre Gesinnungsgenossen – um anschließend
beim gleichen Resultat zu landen: Códigos müssen halt sein.
Immerhin könnte man in ihren Kreisen dann
aber endlich auf den Marketing-Begriff „traditionelle Milonga“ verzichten.
(Wird man aber nicht tun, da dessen Werbewirkung unersetzlich ist.)
Ansonsten habe ich diese Argumentation ja
schon hinreichend beleuchtet:
http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/10/two-years-for-gerhard-and-two-cents-for.html
Ironie: Das alte FDJ-Motto aus den 50-ern ("Auseinandertanzen verboten" - siehe meinen Beitrag zum "Lipsi") feiert nun fröhliche Urständ!
Ironie: Das alte FDJ-Motto aus den 50-ern ("Auseinandertanzen verboten" - siehe meinen Beitrag zum "Lipsi") feiert nun fröhliche Urständ!
2. Auch hier zunächst
eine Abkehr vom Mantra des allein seligmachenden Tanzstils hin zur Einsicht,
dieser sei auch schon früher z.B. vom Platzangebot auf dem Parkett abhängig
gewesen (weshalb ich persönlich überfüllte Milongas ebenso meide wie
Supermärkte mit ellenlangen Schlangen vor der Kasse).
Am Ende jedoch das Einschwenken auf
knallharte Ideologie: Den Titel „Milonguero“ verdiene man sich nicht allein durch
Tanzkünste oder Begeisterung für den Tango – entscheidend sei die Unterordnung
bezüglich eines Regelkanons (der Begriff „Werte“ erscheint mir dabei zu hoch
gegriffen). Ansonsten sei man lediglich ein „Tanguero". In fast jeder Sekte gibt es solche Spezialbegriffe für diejenigen,
welche den höchsten Grad der „Erleuchtung“ erlangt haben.
3. Die Abgrenzung des “sozialen
Tango” (welch ein Wort in diesem Zusammenhang!) zum „Bühnentango“ ist ein
szenetypischer Textbaustein. Allerdings ist Letzterer beileibe nicht immer
choreografiert – und der „Salontango“ nicht stets improvisiert.
Was mir hierbei siedend heiß einfällt: Sind
Tänze wie der folgende, bei denen Melina mit ihrem Engel dreieinhalb Minuten
das Parkett umkreist, etwa auch noch choreografiert? Oder ist das kein
Bühnentango?
So
ist das mit den Definitionen beim Tango: Übrigens fehlt in diesem System der Tango nuevo als Tanzform völlig. Wie wäre es stattdessen damit, jeden bei der Entwicklung seines individuellen Tanzstils zu fördern?
Vielleicht
sollte sich die Autorin noch einmal die Einleitung ihres Posts durchlesen:
Der Tango trotzt
jeder Art von Standardisierung. Er stellt eine höchst individualisierte
Tradition dar, basierend auf den persönlichen Perspektiven, Stilen und
Philosophien tausender Menschen in der ganzen Welt. Das ist es, was Tango so
vollständig und interessant macht. Seine Vielfalt oder den Einfallsreichtum von
Organisatoren in der Schaffung neuer Veranstaltungsformen will ich sicherlich
nicht verkleinern.
Na
eben: Viele Köche müssen den Brei nicht unbedingt verderben – solange mit
möglichst wenig Ideologie gewürzt wird. Hauptsache, es schmeckt!
P.S.
Damit mir nicht wieder irgendwelche Links blockiert werden, verknüpfe ich die
zentralen Stellen des Originaltexts mit der Facebook-Seite des „Entdeckers“ Thomas Kröter (kann man nicht so leicht
sperren, gell?):
https://www.facebook.com/thomas.kroter.5/posts/1049772505102319
Wie wär's mit "Melinguero"? Ließe sich bestimmt leichter schützen als "Milonguero". Den Begriff tät ich ihr sogar schenken.
AntwortenLöschenIch schlage ein Diplom vor, welches natürlich von einem offiziellen Kontrollorgan verliehen werden müsste und zur Teilnahme an den entsprechenden Tangoevents berechtigt.
AntwortenLöschenDie Gründung des "Bundesverbands der traditionellen Tangoveranstalter" ist also unausweichlich!