Stechschritt und Kungfu
„Sie bewegen sich so komisch – sind Sie auch Tänzer?“
Menschen mit böhmischer Abstammung wie mir steht der „brave Soldat Schwejk“ näher als das preußische Exerzierreglement, und der Prager Hundehändler bevorzugte halt eher die subtilen, unauffälligen Bewegungen, um sich vor jeglichem, kräfteverzehrendem Heldentum zu drücken. Immerhin aber, das muss ich zugeben, kommt man mit dem Stechschritt wenigstens flott voran. Selbst daran mangelt es oft im Tango.
Da
ich mich eher außerhalb von traditionellen Milongas bewege, leide ich eher
weniger unter einem Tanzstil, der für mich ewig mit der Einschätzung einer
Tangofreundin verbunden bleibt: „Da hängt
der Hund tot überm Zaun“. Will sagen, die Tanguera tappt in solchem Kontext
wie angeleimt vor einem her: nur keine Emotionen, Aufregungen oder sonstige
exzessive Ausbrüche! Die gleichförmig und lustlos vor sich hin plätschernde
Musik verheißt einem: Sollte sich jemals etwas Lebendes in der Hose verborgen
haben – nun ist es garantiert tot.
Leider
aber machen mich die tänzerischen Erlebnisse auf moderneren
Tangoveranstaltungen auch nicht immer glücklich, zumal, wenn der meist ebenso
alte DJ die Hits der Reha-Disco aus den 70-ern abfeiert: Oft fühle ich mich
schon nach einer Tanda derart durchgeschüttelt, als wäre ich mit einem Jumbojet
durch ein Gewitter geflogen.
In
Erinnerung ist mir beispielsweise eine Szene, in welcher mir eine Tanguera
schon drei Tänze lang bewies, dass der schwarze Gürtel beim Tango nicht nur zum
Festhalten der Hose dienen kann. Zum krönenden Anschluss ließ sie sich
plötzlich nach hinten fallen und landete in einer waagrechten Körperhaltung
knapp über dem Boden. Mein erschrockenes „Vorsicht!“
quittierte sie mit der Erläuterung: „Ach
geh‘, das balanciere ich schon selber aus!“ Na prima, hätte man mir auch
vorher sagen können! Dennoch gemahnen mich solche Äußerungen an den
Standardsatz des bayerischen Ingenieurs, wenn er schließlich aus den rauchenden
Trümmern seiner technischen Anlage krabbelt: „Normal derfat’s des ned geb’m!“
Ähnliche
körperliche Schmerzen, wenn auch nur beim Zusehen, bereiten mir manische
Verrenkungen von Tänzern, welche zu wummernden Beats die optische Botschaft
verbreiten: „Guck mal, ich kann mich mit
dem rechten großen Zeh am Hintern kratzen!“ Schön für sie – aber muss man
wirklich alles machen, was einem anatomisch (noch) möglich ist?
Wir
sollten uns daran erinnern, dass Tanzen am schönsten ist, wenn es eine natürliche Bewegung darstellt. Die
meisten Männer erreichen, selbst wenn es zeitlich knapp wird, ihre
Bushaltestelle in relativ ästhetischen Gehbewegungen. Mit Tanzschuhen an den
Füßen wirkt dies öfters, als unternähme Frankensteins Monster nach initialen
Stromstößen die ersten Schritte.
Ebenso
stressig wird es, wenn Frauen bei einer sanften Ochoführung (gar noch zu einem
Di Sarli-Streicherteppich) hektische Hupfer hinlegen, als gelte es, das
letzte Rettungsboot auf der „Titanic“ zu
erreichen: Ein riesiger, übereilter Rückwärtsschritt endet in einer
Aufwärtsbewegung, welche blitzartig in eine Schockstarre übergeht. Mit einer
Kraft, welche sie anschließend selber ins Schlingern bringt, reißen sie sich herum,
und das böse Spiel beginnt von vorne, nur heftiger. Gerne werden auch sanfte
Drehungen vom Gegenüber dazu missbraucht, den Partner herumzureißen, als müsste man dringend einem Kampfhund ausweichen.
Ich
plädiere nachdrücklich für die Impulserhaltung:
Setzt man anfangs etwas Energie ein und vernichtet diese nicht durch zu viele
Stopps oder Verkrampfungen, reicht diese für weitere sanfte Bewegungen. Zumal
sollte man in der Tiefe drehen: Die Stabilität ist größer, und durch die
Abwärtsaktion entsteht zusätzliche Bewegungskraft, sodass die nächste Aktion
mühelos, „wie von selber“, abläuft. Im gegenteiligen Fall schaukelt sich oft
das Energielevel immer weiter hoch, bis es das Paar „zerlegt“ (oder der Mann
mit viel Kraft die Katastrophe verhindern muss).
Vielleicht
sollte es sich auch einmal herumsprechen, dass ein guter Tanz von Kontrasten lebt: Beim Tango
beispielsweise werden Schritte oft schnell angesetzt, laufen dann aber ruhig
aus. Dynamische Moves wie Boleos oder Sacadas konzentrieren sich (hoffentlich
passend zu Musik) nur auf einen kurzen Augenblick – und ihre Faszination wird
durch sofortiges Herunterfahren erhöht. In der Praxis dagegen kann man
Tangueras entweder kaum beschleunigen – oder sie brettern mit einem über
alle Taktstriche und Pausenzeichen quer über die Piste.
Tänzerinnen, von denen ich weiß, dass sie Kurse besuchen, frage ich manchmal zwischen zwei Stücken: "Hat dein Tangolehrer schon einmal diese Themen angesprochen?" Nein, natürlich nicht...
Tänzerinnen, von denen ich weiß, dass sie Kurse besuchen, frage ich manchmal zwischen zwei Stücken: "Hat dein Tangolehrer schon einmal diese Themen angesprochen?" Nein, natürlich nicht...
Daher wäre ein Solo-Tanztraining dringend anzuraten (und auch preiswerter): Ich bin ziemlich sicher, dass
viele dann merken würden, dass sie sich durch die eigene Kraftmeierei schnell in Sturzgefahr bringen.
Tanzende,
welche in der beschriebenen Weise mit allen Vieren herumrudern, habe ich früher
oft mit den Begriffen „Karate“ oder „Kungfu“ bedacht. Nachdem
ich mich nun etwas näher mit diesem Metier befasst habe, nehme ich diese
Vergleiche mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.
Karate
(„leere Hand“) ist keine „Klopper-Lehre“, sondern hat einen spirituellen Kern
und wurzelt in den Lehren des Zen und Taoismus.
Im
Chinesischen bedeutet Kungfu „harte Arbeit“ und bezeichnet die Mühen beim
Erlernen einer Kunst. Der Kampfsport ist sozusagen nur eine Anwendung:
„[Kung Fu ist das]
Unterfangen des Menschen, sich durch ständiges Bemühen zu vervollkommnen. [...]
[Was immer wir auch tun], stets kommt in unserem Tun unsere innere Verfassung
zum Ausdruck.[...] Wenn wir unser Handeln vervollkommnen, vervollkommnen wir
uns selbst.“
(Taisha Abelar, amerikanische Autorin, zitiert nach Wikipedia)
Ist
Tango davon so weit entfernt? Die Mühen zu dessen Perfektion sind vergleichbar,
und für mich ist er eine stete Gratwanderung zwischen Aktion und Ruhe, Kraft
und Entspannung, Tempo und Entschleunigung.
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenich bin überzeugt, dass es viele Künste gibt, die mit Tango viel gemeinsam haben. (Dazu habe ich mal einen Beitrag auf dem Tanzmitmir-Forum geschrieben, das hat aber anscheinend niemand verstanden).
Vor meiner Tango-Zeit habe ich jahrelang Aikido betrieben. Ich habe nur aufgehört, weil ich mit meinem Mann ein gemeinsames Hobby wollte. Der war jahrelang Wettkampftänzer (Standard), und wir kamen mit unseren verschieden Hobbies nicht zusammen. So wurde es Tango Argentino, da treffen sich beide in der Mitte.
Beim Aikido gibt es ebenfalls Führen und Folgen, wobei allerdings die Rollen ständig wechseln. Es geht ebenfalls um Stabilität, das Spüren der Bewegung des Partners, die Konzentration, und natürlich das Genießen. In diesem Video wird das sehr schön vorgeführt, sowohl langsam als auch schnell:
https://www.youtube.com/watch?v=OOsPAM2v3Ak
Für mich gibt es da sehr viele Gemeinsamkeiten.
Grüße von Annette
Liebe Annette,
Löschenvielen Dank für den Video-Link.
Ich glaube, die Gesetzmäßigkeiten sind bei allen „Bewegungskünsten“ ähnlich. Wir sollten beim Tango öfter mal über den (selbst erbauten) Zaun gucken, anstatt von unserem „unvergleichlichen“ Tanz zu schwobeln…