Kölner Krawehle
„Wer will,
dass die Welt so bleibt, wie sie ist,
der will nicht, dass sie bleibt.“
der will nicht, dass sie bleibt.“
(Erich Fried)
Am
vergangenen Sonntag veranstaltete „Concerto
Köln“ in der dortigen Philharmonie einen Abend mit Werken der Neuen Musik,
aber auch Stücken von Johann Sebastian und dessen Sohn Carl Philipp Emanuel
Bach.
Der Solist, Mahan
Esfahani, geboren 1984 in Teheran, studierte in den USA und Italien
Cembalo und Orgel, lebt heute in England und unterrichtet Cembalo an der
Londoner Guildhall School of Music and
Drama. Er gehört zu den führenden Cembalisten der Gegenwart.
Im Laufe des
Konzerts spielte er auch die 1967 entstandene Komposition „Piano Phase“ von Steve
Reich (in der Neuen Musik bereits ein „Klassiker“). Ein Ausschnitt aus
dem Werk, welches auf den Klanginterferenzen zwischen Cembalo und Tonband
beruht: https://www.youtube.com/watch?v=yJyGKP-WjKs
Der „Kölner
Stadt-Anzeiger“ berichtet hierzu:
„Hatte bereits die von Esfahani in
gut verständlichem Englisch gegebene Einführung in das Werk einzelne Rufe von
der Güte ‚Reden Sie doch gefälligst Deutsch!‘ provoziert, so folgte der Saal
der Aufführung dann mit zunehmender Unruhe. Sie überschritt rasch den bei
solchen Ereignissen erwart- und tolerierbaren Geräuschpegelstand. Schließlich,
als der Künstler fünf, sechs Minuten des original 16 Minuten langen Stücks
absolviert hatte, erzwangen Lachen, Klatschen, Pfeifen und andere Geräusche des
Missfallens den Abbruch der Darbietung.
Obwohl noch ein Cembalokonzert des
Bach-Sohnes auf der Agenda stand, ergriffen nicht wenige Zuhörer die Flucht.
(…)
‘Why are you afraid?‘ – Warum haben Sie
Angst? Mit dieser wiederholten Frage wandte sich daraufhin ein sichtlich
erregter Cembalist an das Publikum. Er habe das Stück schon oft im Konzert
gespielt, aber noch nie eine Reaktion von der Kölner Güte erlebt. Man solle
doch froh sein, hier solche Musik hören zu können: ‚Ich komme aus einem Land,
in dem sie verboten ist.‘“
Zeit Online:
„Es war nicht die nächste
‚Sturmabteilung‘ sozial schwacher Ungebildeter, die am Sonntag in der
Philharmonie wie in einem späten Weimar gegen die Avantgarde anbrüllte. Es
waren, wie Esfahani in seinem klugen Posting beschreibt, wütende alte Männer,
Abonnenten, sogenannte Bildungsbürger. Akademiker, die vor der Veränderung der
Welt – und sie verändert sich jetzt! – so viel Angst haben, dass sie die eigene
(Kultur-)Geschichte vergessen.“
Jochen
Schäfsmeier, Geschäftsführer der Alte-Musik-Formation Concerto Köln:
„Das haben wir vom Kölner Publikum
nicht erwartet. Wir können es uns auch nicht erklären. Teile des Saals ließen
jede gute Erziehung vermissen, das war schlicht unerträglich.“
Kölner
Philharmonie:
„Wir schaffen ein Forum für
kulturelle Vielfalt, mit unserem Engagement im Bereich der Musikvermittlung
nehmen wir gesellschaftliche Verantwortung wahr, und wir unterstützen soziale
Projekte und eine gelebte Willkommenskultur. (…) Wir erwarten einen
respektvollen Umgang.“
Ein
Internet-Kommentar:
„In einem Konzert, für das ich per
Ticket und per Steuersubvention doppelt bezahle, möchte ich mich entspannen und
die Musik genießen, mich aber nicht mit den Ergüssen neurotischer Komponisten
zwangsweise auseinandersetzen müssen.“
Im
Kommentarforum von „Zeit Online“ finden sich neben vielen Äußerungen, welche
die Aufführung unterstützen, allerdings auch nicht wenige Beiträge des
folgenden Zuschnitts:
Saralyan:
„Wenn die Leute Eintritt bezahlt
haben, dann ist dass natürlich äussert ärgerlich, sowas geboten zu bekommen. Da
dürfen sich die Leute bei sowas beschweren. Es ist ja nicht immer so, dass man
wie ein Zombie klatscht, egal was man für sein Geld geboten bekommt.“
Uwe M:
„Einige gehen nur in ein Konzert
weil es zum guten Ton gehört und man zu den "Intellektuellen"dazu
gehören möchte, aber letztendlich haben sie von der Musik so wenig Ahnung, wie
eine Kuh vom Trompete spielen.“
Penny Black:
„Manch Künstler tut halt alles, um
aufzufallen.“
piasko:
„Sorry, aber egal ob moll oder dur.
Dies ist kaum auszuhalten und hat mit musikalische koennens rein gar nichts zu
tun, hip-hop ist ähnlich dämlich.“
Raymond
Luxury Yacht:
„WDR5 war so 'freundlich'
das Stück in einem ca. zweiminütige Auszug zu spielen. Es stellen sich nach
kurzer Zeit aufgrund der 'Interferenzen' die merkwürdigsten - und von
mir bis dahin nie wahrgenomenen - körperlichen Veränderungen ein, die es
jederzeit möglich erscheinen lassen, im nächsten Moment seines Verstandes
beraubt zu werden.“
herr
minister:
„Ein Künstler provoziert ja ganz
gerne mal, so wie in diesem Falle ja offensichtlich auch geschehen. Wenn´s ganz
gut für ihn läuft, gibt es dann einen Tumult, also alles bestens. Nur die
Spassbremsen der Redaktion haben nichts verstanden und entrüsten sich lieber
über eine Banalität und packen dann gleich noch ihren ganzen aktuellen Polit
Ballast mit drauf.“
benutzernamenzwang:
„Interessant, wie die ZEIT so einen
Pipifax zu einem bildungsbürgerlichen Weltuntergang und Sieg des dummen
Wutbürgers und Proletariers über die Kunst hochjazzt. Es fehlt noch der
Nazi-Vergleich, dann haben wir alles zusammen. Das 'Stück' ist a)
scheiße im Quadrat und b) provokant - es fordert eine Antwort geradezu heraus.
Die Antwort erfolgte prompt, so what? Hätte das Publikum diese Körperverletzung
wirklich 20 Minuten durchstehen sollen? Warum verlangt man ausgerechnet von
Bildungsbürgern, alles kommentarlos zu schlucken und hinzunehmen, was als Kunst
serviert wird? Kadavergehorsam?“
Ggmeel:
„Musikgeschmack ist so individuell
wie die Fingerabdrücke des Menschen. Leider hat sich seit langer Zeit eine
Arroganz einiger selbstverliebter Theaterleute und Musiker durchgesetzt, die
dem Publikum in eindeutig pädagogischer Absicht entgegentritt. Schaut her,
Leute! Wenn Ihr nicht versteht, was wir hier machen.....oder wenn es Euch nicht
gefällt.... dann seid Ihr eben zu dumm dafür! Viele Zuhörer beugen sich dem und
tun so, als ob sie verstehen, als ob rs ihnen gefallen würde. Sie haben Angst,
dumm dazustehen. Andere geben es offen zu: das gefällt mir nicht! Das verstehe
ich nicht! Und schimpfen, pfeifen, buhen, verlassen das Konzert oder den
Theatersaal. Mir sind Letztere sehr viel lieber als die Heuchler, die einfach
nur dazugehören wollen.“
Hinterschinken:
„Ja wenn meine Hertha nicht
anständig spielt, dann pfeiff ich die auch aus. Warum soll's von Steuergeldern
bezahlten Musikanten besser gehen?“
DrStatistik:
„Ich frage mich immer wieder, warum
die Spielpläne nicht so aufgebaut sind, dass die ältere harmonische von der
neueren atonalen Musik getrennt wird, anstatt diese gezwungenermaßen zu
verbinden.“
Woher kenne
ich bloß diese Logik nebst Tonfall – und auch die Flucht ins Pseudonym?
Ach ja –
liebe Kölner Konzert-Abonnenten, ein Vorschlag zur Güte: Lernt doch Tango (in eurer
Heimatstadt ja kein Problem) und besucht sodann ausschließlich traditionelle
Milongas! Dort trefft ihr voraussichtlich etliche Männer eures Alters sowie
ähnlicher Bildungsdefinition und Toleranzschwelle. Und sollte es da mal einer wagen,
Piazzolla aufzulegen – ihr wisst ja, was zu tun ist…
P.P.S. Andererseits gilt natürlich für solche Fälle die Einschätzung des von mir hoch verehrten Curt Goetz, der sinngemäß sagte: Moderne Theaterstücke kann man beim ersten Eindruck gar nicht umfassend würdigen - und ein zweites Mal schaut man sich so etwas nicht an.
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