Liebes Tagebuch… 16
Derzeit
bietet ein Tangolehrer eine donnernde neue Erkenntnis an:
„Das ‚Führen‘ hat sich verändert –
es wurde daraus eine Einladung, welche die Frau annimmt.“
„Versteht
die Frau diese Aufforderung, dann folgt der Mann der Frau, um gemeinsam eine
bestimmte Sequenz zu tanzen oder zu erfinden.
So zu
tanzen, ist genussvoll – es ist ein gemeinsames Hineingleiten von Bewegungen in
die Musik. Diese Art des ‚männlichen‘ Tanzens raubt der Tänzerin nicht ihre
Individualität. Im Gegenteil: Ohne ‚männlichen Rahmen‘ (eine höfliche
Umschreibung für ‚Du hast das zu machen, was ich will‘) interpretieren ihre
Schritte den Rhythmus und den ‚Charakter‘ der Musik. Dadurch, dass der Führende
der Tänzerin folgt, erkennt er deren Absicht und stellt sich darauf ein. Es
entsteht ein besonderer Dialog.“
„Das
bedeutet für den Mann, dass er die Frau quasi vorschickt (einlädt); kurz bevor
die Frau ihre Bewegung beendet, startet der Mann mit seinem Schritt. Er holt
die 'verloren gegangene' Zeit nach und beide landen gemeinsam im Schritt und
Taktschlag.“
Echt jetzt? Werden nunmehr Geheimnisse offenbart, die ich schon in der
ersten Fassung meines „Milonga-Führers“ vor fast 6 Jahren verraten habe? Siehe:
Timing, Impulsübertragung, Biophysik und
Führen (S. 159-169) – oder was ich letztes Jahr dazu im Blog geschrieben
habe: http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/08/warum-ich-wenig-fuhre.html
Natürlich müssen solch aktuelle Eingebungen nun gleich in einer ganzen „Workshop-Serie“ vermittelt werden: „männliches Tanzen – weibliches Tanzen“.
Wer will, kann gerne noch einsteigen: http://tango-x.de/maennliches-tanzen-weibliches-tanzen.html
Jetzt also endgültig Feierabend mit der männlichen Dominanz, dem „Durchdrücken“
von „Schritten und Figuren“? Nun, auch das neue Konzept lässt offenbar noch ein
bisschen Raum zum Schlagen eines Rades:
„MAN SIEHT
ES GUTEN TÄNZERINNEN NICHT AN, WAS SIE KÖNNEN
Gut
männlich zu tanzen, bedeutet, eine Partnerin zu haben, die sich ihrer
weiblichen Bewegungen bewusst ist, die nicht in Konkurrenz zu dem Mann steht.“
Vielleicht darf ich – wegen der Gender-Balance – noch ergänzen: MAN SIEHT
ES SCHLECHTEN TÄNZERN NICHT AN, DASS SIE WAS KÖNNEN.
Und woher stammt nun – wenn schon nicht von mir – diese revolutionäre
neue Tanztheorie? Auch hierüber erhalten wir Auskunft:
„Es dürfte
so um die Jahrtausendwende gewesen sein, da nahmen meine Frau (…) und ich (…)
an einem Super-Workshop von Gustavo Naveira und Giselle Anne teil (die Leser
haben es bemerkt, dass wir Fans der Beiden sind). Bei der Erklärung einer Figur
machte Gustavo eine Bemerkung, die mich aufhorchen ließ – und das sei vorab
verraten, meinen Tango maßgeblich beeinflußte. Er sagte ‚I have to follow the
woman‘ – Ich muss der Frau folgen. Ich
war mir nicht sicher, hatte ich ihn richtig verstanden? Der Mann folgt der
Frau? In der Pause sagte Gustavo zu mir, dass es genau so sei. Nahezu alle
Top-Lehrer verwenden eine ähnliche Formulierung.“
Das liebe ich so an Tangolehrern: Da machen sie eine neue Entdeckung –
und schon schlappe 15 Jahre später vermitteln sie diese ihren Schülern!
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