Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 27

Das weibliche Lamento Nummer eins beim Tango besteht in der Klage, keinen Tanzpartner zu finden: Wahlweise bereits bei der erstrebten Buchung eines Tangokurses – oder halt hinterher auf den Milongas, wo Frau mehr sitzt, als ihr guttut.

Ich kann es den Tangolehrkräften nicht ersparen: Auch in diesen Fällen sind sie Teil und nicht Lösung des Problems! Zu den dämlichsten Statements in unserem Tanz gehört aus meiner Sicht neben „Der Mann führt“ die Ankündigung, welche man zu vielen Kursen und „Workshops“ liest: „Anmeldung nur paarweise“. Ich kann niemandem empfehlen, an solchen Instituten Tango lernen zu wollen!

Dem Lehrpersonal, welches solche Geistesleistungen publiziert, ist scheinbar völlig unbekannt, dass man beispielsweise auch zwei Frauen (oder sogar Männer) miteinander tanzen lassen kann, dass ein Erlernen (oder zumindest Kennenlernen) beider Rollen unschätzbare Vorteile mit sich bringt. Zu den „goldenen Tangozeiten“ tanzten Anfängerinnen und Anfänger die erste Zeit fast nur mit Vertretern des eigenen Geschlechts. Aber während man in der „traditionellen“ Tangoszene 80 Jahre zurückliegende Musik und Verhaltensnormen in den höchsten Tönen preist, ignoriert man tapfer die historischen Formen des Tangolernens.

Glücklicherweise gibt es auch eine Menge Frauen, welche das Privileg eines oft sogar angetrauten Lebens(abschnitts)partners auszeichnet: Die Verheißung „Schatz, wir unternehmen zu wenig miteinander – jetzt habe ich uns zu einem Tangokurs angemeldet“ wird vom männlichen Part häufig als heftige Drohung empfunden. In der Regel ergibt Mann sich jedoch zunächst seinem Schicksal, um der Alternative „Yoga-Wochenende im Wellnesshotel“ zu entkommen. Nicht selten wird jedoch nichts Dauerhaftes daraus, da ihm bald die alte Sprunggelenks-Verletzung aus Fußballer-Zeiten zu schaffen macht. Die Idee, den Kurs dann halt allein fortzusetzen, kommt weder der Gattin noch den Tangolehrern.

Dies trieb mich in meinem Tangobuch zu der bitteren Erkenntnis:

Ein Wahnsinn: Da erkämpfen sich fünfzehnjährige Mädchen mit Zähnen und Klauen die Erlaubnis ihrer Eltern, bis spät in die Nacht außer Haus zu bleiben – und etliche Jahre später ist durch den Wechsel zum neuen ‚Eigentümer‘ schon wieder alles vorbei…“

Bestenfalls bleiben die beiden, im Unterricht wie im Leben, doch zusammen – und das wortwörtlich: Sie tanzen, auch auf den Milongas oder Prácticas, ausschließlich miteinander. Ich durfte diese Ödnis oft genug bewundern. Klar, er traut sich überhaupt nicht, eine andere Tänzerin aufzufordern, da er sich hoffnungslos unterlegen fühlt. Dann darf sie natürlich auch nicht fremdgehen"– wäre ja noch schöner! Sollte sie dennoch einmal ein Tanzangebot annehmen, kann das zu heftigen Eifersuchtsattacken führen: Ja, wie denn jetzt, wieso lässt sie sich von einem anderen problemlos führen, während sie bei mir herumzickt? Dass dies den Normalfall darstellt, bleibt unverstanden. Ebenso, dass erfahrene Tangueras auch einen Anfänger gut aussehen lassen können, weil sie das Tanzen halt selber beherrschen.

Daher, meine Damen: Am wenigsten lernen Sie das Tanzen mit dem eigenen Mann – und umgekehrt ebenso! Die Ursache ist sehr einfach: Mit diesem tragen Sie die gesamte Geschichte Ihrer Partnerschaft aufs Parkett. In meinem Tangobuch habe ich das so beschrieben:

„Ich bin jedoch immer wieder entsetzt, wie viele offenbar langjährig verbundene Paare es gibt, die auf dem Parkett ein eklatantes physisches Unverständnis füreinander zeigen (weitergehende erotische Kontakte zwischen den beiden mag man sich gar nicht vorstellen…). Hier beweist es sich, dass die Körpersprache viel ehrlicher ist als andere Kommunikationsformen. Man kann im Alltag Diskrepanzen ausklammern, Kompromisse schließen und Frustrationen wegstecken – auf der Tanzfläche holt einen all das wieder ein, spürt man die Verspannungen und Blockaden. Gerade solche zwanghaften Zweierbeziehungen suchen sich meistens einen Tanzunterricht, der ihnen strenge Regeln und Gesetzmäßigkeiten vorgibt, orientieren sich an Begriffen wie ‚falsch‘ oder ‚richtig‘, um dann über dieses selbst gestellte Hindernis zu stolpern: Wenn es nicht funktioniert, muss ja zwangsläufig einer von ihnen einen ‚Fehler‘ begangen haben! Das sind die Paare, die im Unterricht und bei Prácticas (schlimmstenfalls sogar auf Milongas!) ständig den Tanz unterbrechen, um verbissen eine bestimmte Figur immer wieder zu probieren, die mehr diskutieren als sich bewegen. Es fällt mir oft schwer, bei einem solchen Anblick ruhig zu bleiben und die Unglücklichen nicht entweder zu fremden Tanzpartnern oder zum Beziehungstherapeuten zu schicken!“

Mit einem fremden Partner hingegen geht es (zunächst und hoffentlich ganz lange) ausschließlich ums Tanzen – und man hält höflicherweise meist die Klappe, anstatt Debatten anzuzetteln, wer warum etwas „falsch“ mache. Das wirkt sich wohltuend auf die Entwicklung der Körpersprache aus!

Immer wieder höre ich von Damen, welche dann doch mal mit mir statt wie üblich mit ihrem Lebenspartner tanzen, die (meist von diesem erfundene) Selbstdiagnose: „Ich lasse mich nur schwer führen.“ Ich habe noch nie erlebt, dass diese zutraf. Wahrscheinlich wehrte sie sich nur dagegen, herumgezerrt zu werden – und sich dann noch Vorwürfe anhören zu müssen. In solchen Fällen gebe ich mir große Mühe, sanft zu tanzen und der Tanguera Freiräume zu geben. Der Erfolg ist meist schon in den ersten Minuten spürbar.

Meist kommt dann auch der Satz: „Ich bin noch Anfängerin“ oder „Ich weiß gar nicht, was ich da tanzen soll“. Meine Standardantwort: „Macht nichts, tu einfach, was du meinst. Ich tanze es dann mit.“ Glaubt mir zwar keine, trägt aber dennoch zur Beruhigung bei…

Wirklich schwierig sind hingegen Frauen, die mir mit der Feststellung kommen: „Wenn ein Mann gut führen kann, kann ich ja tanzen.“ Da läuten bei mir alle Alarmglocken, da solche Damen eher nicht danach streben, ihren eigenen Part zu verbessern.

Die vornehmste Aufgabe des Tango-Lehrpersonals wäre es also, fest verbundene Zweiergruppen auseinanderzusprengen. In unserer Tango-Frühzeit ging das noch: Unser erstes Lehrerpaar schickte nach jedem Tanz die Männer eine Dame weiter. Bei dessen autoritärem Gehabe wagte eh keiner zu widersprechen.

Inzwischen, so glaube ich, ist den Unterrichtenden zwar vielfach klar, dass dies die Lernfortschritte steigern würde. Allerdings fürchtet man wohl, eifersüchtige Kerle würden den Kurs verlassen, falls ein Konkurrent Tuchfühlung mit ihrer Holden aufnähme – und sie selber eine Partnerin vermissten, die sie rumkommandieren können.

Wieder einmal wird also das Bessere zum Opfer des Gewinnstrebens. Es gibt fast kein Thema im Tango, wo man nicht früher oder später auf die Nachteile der Kommerzialisierung stößt. Selbstbewusstes Vertreten der eigenen Linie ist eher selten anzutreffen.

Dennoch, liebe Paare: Ihr könnt gerne beide Tango lernen – aber bitte möglichst wenig miteinander! Den Vorteil solchen Handelns habe ich in meinem Tangobuch so beschrieben:

„Paare, die aus Freude an der musikalischen Bewegung Tango lernen, haben eine realistische Chance, diese Unternehmung ohne Schaden für ihre Zweisamkeit zu überstehen – umso mehr, je stärker sie sich nach außen öffnen und mit anderen Partnern üben. (…) Man hat sich allerdings darauf einzustellen, den eigenen Partner fallweise mit einem/einer Wildfremden noch viel entrückter über das Parkett schweben zu sehen, als man das selber jemals hinbekommen hat. (…)

An diesem Punkt zeigt es sich dann endgültig, ob die eigene Partnerschaft eine ‚Spaßverhinderungsgemeinschaft‘ darstellt, in welcher der eine sorgsam darauf achtet, dass der andere zu ja nicht mehr Vergnügen kommt als er selber – oder man halt dem Partner ein Maximum an Glück gönnt und auf ‚Kollateralschäden‘ nicht allzu zimperlich reagiert. Aus eigenem Erleben weiß ich: Toleranz lohnt sich letztlich für beide!“

Dazu noch ein seltenes Video – denn normalerweise bilden Tango-Lehrkräfte nur sich selber ab und nicht ihre Schülerinnen und Schüler (sie werden wissen, warum…). Die Münchner Tangolehrerin Sonja Armisén bildet nicht nur in dieser Hinsicht eine rare Ausnahme. Hier zeigt sie, wie man Tango auch üben könnte – ganz ohne „Paarzwang“:

https://www.youtube.com/watch?v=JKuc0E6UxRA

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