Der Frauen Reiz

Gestern Vormittag habe ich – wie üblich an diesem Datum – die zahlreiche Weihnachtspost gelesen, die wir erhalten haben. Die Lektüre ist immer wieder schön, manchmal sogar interessant, wenn nahestehende Menschen nicht nur Grüße schicken, sondern vom zurückliegenden Jahr berichten.

Dabei stelle ich meist fest: Der Deutsche hat zwei Leidenschaften: zu verreisen und sich mit Verwandten zu treffen. Beide Sehnsüchte rangieren bei mir fast auf Null-Niveau – nicht nur, weil ich kaum noch eigene Familienangehörige habe.

Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit steigt bei mir die Sehnsucht, mich zurückzuziehen und meinen Sehnsüchten zu frönen: nachzudenken und zu schreiben (schafft ja dann Kontakt zu Leserinnen und Lesern – immerhin).

Nachdem ich neulich meinen „Frauenversteher-Artikel“ verfasste, kam mir der Gedanke: Wenn es schon ungehörig sein sollte, sich als Mann in Personen des anderen Geschlechts hineinzuversetzen, vielleicht öfters ihre Gedanken und Gefühle wirklich zu ergründen darf man dann zumindest mal den eigenen Blick auf Frauen beschreiben?

Was den Tango betrifft:

Die Tendenz, besonders jüngere und gutaussehende Damen aufzufordern, ist grauenvoll, aber unbestreitbar. Was die Sache noch abstruser macht: Die tänzerischen Fähigkeiten sind weniger ausschlaggebend – eher im Gegenteil: Gerade um sich sehr gut bewegende Frauen machen die Kerle eher einen Bogen – sie fürchten wohl, im Vergleich abzustinken.

Für mich sind beim Tango Alter und Aussehen einer Tänzerin völlig belanglos. Wichtiger erscheint mir: Man muss auf der Piste wissen, wer man ist und was man will. In dieser Hinsicht rangiert das weibliche Geschlecht eh nicht auf den Spitzenplätzen – und je jünger, also weniger erfahren, desto stärker ist dieser Mangel greifbar. Ich habe schon hinreißende Tänze mit zirka Achtzigjährigen erlebt – und belangloses Gestolper mit Mädels unter dreißig. Was im zweiten Fall erotisch oder gar „sexy“ sein soll, müsste man mir noch erklären.

Ebenso schreckt mich eine allzu aufdringliche Kostümierung tendenziell ab. Ich frage mich dann oft: Wovon möchte die Dame damit ablenken? Oder: Welchen Männertyp will sie damit anlocken? Sicherlich nicht Leute wie mich! Daher überlasse ich sie gerne anderen Tänzern.

Das heißt ja nicht, dass man beim Tango in den Klamotten erscheinen sollte, mit denen man vorher im Garten arbeitete – oder bereits übernachtet hat. Aber dies stellt eh eine Domäne der Männer dar! Weiterhin möchte ich schöne Röcke, Kleider oder hochhackige Schuhe nicht verteufeln. All das kann im Einzelfall sehr gut aussehen – oder aber fürchterlich.

Ich glaube, es kommt entscheidend darauf an, ob eine Frau sich auch im sonstigen Leben so kleidet oder sich nur zum Behufe des Tango in dieser Weise verkleidet. Meine Damen, glauben Sie mir, das merkt man! Einen Rock oder High Heels zu tragen, erfordert ein anderes Bewegungsmuster – so wie bei Männern Jeans respektive Anzug und Krawatte. Es gleicht dem Fasching: Auch wenn sich da Menschen als Matrosen oder 20er Jahre-Vamp verkleiden – man merkt, dass sie es nicht wirklich sind!

Stets bewundere ich Damen, die einen unverwechselbaren modischen Geschmack haben und diesen auf der Tanzfläche ebenso zeigen wie im normalen Leben. Ihre Bewegungen wirken dann in beiden Bereichen gleichermaßen attraktiv.

Mit dem Begriff „Schönheit“ kann ich dabei wenig anfangen. Es gibt eine Menge weiblicher Berühmtheiten, denen man diese nachsagt. Was ich dann zu sehen bekomme, spricht mich meist nicht an, wirkt oft künstlich und gewollt. Von den wenigen Gegenbeispielen fallen mir Barbra Streisand und Julia Roberts ein: Sie sind nicht im landläufigen Sinne schön, aber ungeheuer ausdrucksstark. Ausstrahlung fasziniert mich – nicht nur bei Frauen.

https://www.gettyimages.de/detail/nachrichtenfoto/barbra-streisand-in-funny-girl-nachrichtenfoto/526892512?adppopup=true

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Vielleicht hängt es mit meiner Leidenschaft fürs Tanzen zusammen, dass mir „Standbilder“ eh wenig sagen. Auf Frauen aufmerksam werde ich eigentlich erst, wenn sie sich bewegen. Beim Tango also auf dem Parkett.

Daher kann ich in den wenigsten Fällen nach einem Tanz sagen, wie meine Partnerin gekleidet war, welche Haarfarbe oder Frisur sie hatte. So gerate ich öfters in peinliche Situationen, wenn mir eine Milongabesucherin mitteilt, wir hätten schon mal miteinander getanzt. Meine Standard-Antwort lautet dann: „Was ich mir bei Frauen merke, ist ihr Tanzstil.“ Namen, Gesichter oder Aufmachung vergesse ich meist sehr schnell. Und dass sich beim Tango immer mehr ein Einheitsstil verbreitet, macht es noch schlimmer! 

Grundsätzlich ist es mir ziemlich egal, wie gut oder schlecht eine Partnerin tanzt. Was ich allerdings spüren möchte, ist die feste Absicht, in diesem Bereich voranzukommen, mehr Selbstständigkeit zu entwickeln. Und etwas dafür zu tun. Das bewirkt eine unverwechselbare Ausstrahlung. Damen, welche nach Jahren noch ebenso uninspiriert tanzen wie zuvor, törnen mich gewaltig ab – ebenso wie eine Tangomusik, welche sich in steten Wiederholungen erschöpft.

Worüber ich nur noch den Kopf schütteln kann, ist die Passivität vieler Tänzerinnen. Wie beim Tanztee der 1950er Jahre sitzen die Damen brav herum und warten demütig, bis sie die Aufforderung eines Mannsbilds ereilt. Dabei ist gerade bei diesem Thema die Diskussion inzwischen im Fluss: Auf vielen Veranstaltungen gilt es nicht mehr als Fauxpas, wenn eine Frau um einen Tanz bittet – auf einigen Milongas ist dies sogar explizit erwünscht.

Vor mehr als sieben Jahren habe ich die Berliner Tangolehrerin Vio zitiert, welche hier eine „neo-viktorianische“ Entwicklung sieht.  

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/09/der-tango-der-neu-viktorianer.html

Auf jeden Fall sind für mich Damen, welche nur darauf warten, was ihnen ein Mann vorgibt, so uninteressant wie hundert Meter Feldweg – im Tango wie im „richtigen Leben“.

Auch dabei gilt: Wer nichts ändern will, muss umso mehr reden. Gerne sehr laut, verbunden mit schrillem Gegacker und Gekreische – auf Milongas eine gewohnte Geräuschkulisse. Ganz schlimm wird es, wenn man mir was von Achtsamkeit" erzählt.

Daher lüfte ich ein lange gehütetes Geheimnis: Mich faszinieren Frauen, die sich nur spärlich äußern. Und wenn, dann mit einer sonoren Altstimme und nicht mit dem Baby-Gequäkse, das vor allem bei jüngeren Popstars vorherrscht. Mein Vorbild ist Heinrich Bölls junger Rundfunkredakteur Dr. Murke, welcher der Geschwätzigkeit des Kulturbetriebs entflieht, indem er Bandschnipsel mit Schweigen sammelt. Darum bittet er auch seine Freundin:   

„Ach Rina“, sagte er, „wenn du wüsstest, wie kostbar mir dein Schweigen ist. Abends, wenn müde bin, wenn ich hier sitzen muss, lasse ich mir dein Schweigen ablaufen. Bitte sei nett und beschweige mir wenigstens noch drei Minuten…“

(Heinrich Böll: „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Doktor_Murkes_gesammeltes_Schweigen

Das bedeutet nicht, dass mir Frauen nichts sagen sollen – im Gegenteil: Sätze, über die ich lange nachdenken kann, finde ich höchst anziehend. Die Damen sollen nur nicht andauernd reden. Und schon gar nicht beim Tango, bei dem es doch angeblich eine Körpersprache geben soll…

Und ja: Mich faszinieren weibliche Wesen, die mein erotisches Verhältnis zur Sprache teilen – vermutlich, weil sie gebildet sind. Was wenig mit Schul- oder Universitätsabschlüssen zu tun hat. Es gibt Akademikerinnen, welche pausenlos Blech erzählen – und kluge Frauen, welche dort gelernt haben, wo es sich am meisten lohnt: im Leben.

Daher meine ich: Die beste Waffe der Frau ist nicht der Cajal-Stift, sondern der Bleistift!


Welche weibliche Eigenschaft zieht mich am meisten an? Ich kenne dafür nur einen englischen Ausdruck: sophisticated.

Meine Stimmung dabei gibt sehr gut der Duke Ellington-Standard „Sophisticated Lady“ wieder – hier gespielt vom unvergesslichen Max Greger:


https://www.youtube.com/watch?v=ADm71bhzVOE

P.S. Liebe Leserinnen, Sie dürfen mir zum Thema gerne einige Kommentare beschweigen!

Kommentare

  1. Antworten
    1. Herzlichen Dank für das wunderbare Eingehen auf meine Anregung!

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  2. „…..uninteressant wie 100 Meter Feldweg“ Der Vergleich erscheint mir als eine Beleidigung des Feldweges zu sein. Die seelenlosen Nachgeherinnen, bar jeglicher Eigenpräsens haben für mich eher die Sinnlichkeit von Tausend Meter Schienenstrag im Hochsommer. Ein Feldweg hat für mich immer einen reichhaltigen und tiefgründigen Charakter. Ansonsten wieder ein erheiternder Einwurf zum ewigen Thema. Danke Gerhard. Frauen, die mir beim ersten Tango sagen, sie seien noch Anfängerinnen, frage ich, was ich damit jetzt anfangen soll. Ich habe sie ja aufgefordert, aufgrund einer sichtbaren Präsenz, und habe mir ja nicht erst ihren Tangoführerschein zeigen lasse, wo ihre verschiedenen Sterne eingetragen sind. Noch wird ja nicht mal in Encuentros verlangt, dass man verliehene Sterne auf der Schulter tragen müßte. Wenn die Präsenz stimmt, die Dame eben mir ein Gegenüber ist, dann kann ich auch nen ganzen Abend die Basse mich paar Ochos tanzen. Viele ältere Frauen stehen ja im berufliche Leben ihre Frau, erstaunlich oft in Führungspositionen, und sind damit nicht weniger reichhaltig, nur weil sie im Tango kein seelenloses Saltomortale könnnen
    Fridolin Lützelschwab
    Berlin

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    1. Lieber Fridolin,

      beim Vergleich mit dem Feldweg bin ich von meiner Abneigung gegen "Spaziergänge in der freien Natur" ausgegangen - sorry!
      Ansonsten kann ich Dir nur zustimmen: Die Frauen sollten im Tango mehr Selbstbewusstsein zeigen - auf Grund ihrer oft eindrucksvollen Lebensleistung hätten sie es mehr als verdient.
      Aber leider geht der Trend im Tango schon längere Zeit in Richtung "Anpassung an die Führung". Das macht die Tänze dann derart seelenlos.

      Vielen Dank und herzliche Grüße nach Berlin
      Gerhard

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